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Die Sterne sind in ständiger Bewegung. Die Spuren auf diesem Bild zeigen, wie sich 40 000 Sterne, die alle innerhalb von 326 Lichtjahren vom Sonnensystem entfernt sind, in den nächsten 400 000 Jahren über den Himmel bewegen werden.
© ESA/Gaia/DPAC

Katalog der Sterne: Gaia-Mission liefert eine Landkarte für den Himmel

1,8 Milliarden Objekte enthält der neue Sternenkatalog. Die Daten sind ein Schatz für Astrophysik und Raumfahrt.

Was den Biologen das Monitoring ist – die umfassende Zählungen von Tieren und ihren Bewegungsmustern – das sind den Astronomen die Sternenkataloge. Sie enthalten neben der exakten Position auch die Bewegungsdaten der Himmelsobjekte.

Sie helfen, Forschungsfragen zu beantworten, aber auch Weltraumsonden, sich zu orientieren und ihr Ziel zu finden.

Am heutigen Donnerstag wurde der neueste Sternenkatalog veröffentlicht. Er enthält 1,8 Milliarden Objekte, die von der Mission „Gaia“ kartiert wurden.

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Messungen im Erdschatten

Seit 12 Uhr (MEZ) steht er der Wissenschaft zur Verfügung und wird eifrig genutzt werden, schätzt Katja Weingrill vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP).

„Gaia-Kataloge werden die Referenzdatenbank der kommenden Generationen von Astrophysikerinnen und Astrophysikern sein“, sagt sie. „Bereits jetzt werden pro Tag circa fünf wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht, die auf Gaia-Daten basieren. Gemessen an den Publikationen ist es die erfolgreichste astrophysikalische Mission aller Zeiten.“

Die Gaia-Sonde ähnelt der berühmten fliegenden Untertasse, nur dass es die Sonde nachweislich gibt. Sie wurde im Auftrag der europäischen Raumfahrtagentur Esa für 650 Millionen Euro gebaut, 2013 gestartet und anderthalb Millionen Kilometer hinter der Erde positioniert, zumindest von der Sonne aus gesehen.

Ausgestattet mit zwei Teleskopen rotiert die Sonde und scannt so den Himmel. Zusätzlich umkreist sie mit der Erde einmal pro Jahr die Sonne und nutzt so unterschiedliche Beobachtungspositionen.

Das ist entscheidend, um die Entfernung der Sterne zu messen, wie Michael Biermann von der Universität Heidelberg bei der Präsentation der Daten erläuterte: „Halten Sie den ausgestreckten Arm vor sich, recken Sie den Daumen und schauen Sie abwechselnd mit dem linken und dem rechten Auge, so scheint der Daumen vor dem Hintergrund hin und her zu springen.“ Der Effekt werde umso größer, je näher der Daumen vor den Augen ist.

Genauso sei es bei Gaia, die sich im Sommer und Winter mal auf der einen, mal auf der anderen Seite der Sonne befinde. „Nahe Sterne verändern ihre Position vor dem Hintergrund der Fixsterne deutlicher als weiter entfernte.“ Wobei Gaia sehr genau hinschaut: Würde auf dem Mond eine Taschenlampe stehen und diese in einem halben Jahr um fünf Zentimeter versetzt werden, dann könnte das Weltraumteleskop dies von der Erde aus messen.

Ferne, leuchtschwache Objekte

Aus solchen Änderungen können die Entfernungen, aber auch die relativen Bewegungen der Sterne berechnet werden. Bei den Objekten im aktuellen Katalog, gingen im Schnitt 50 Positionsbestimmungen pro Stern ein. Möglich wurde das, weil über 34 Monate hinweg vom Juli 2014 bis Mai 2017 beobachtet wurde. Die beiden früheren Gaia-Kataloge basieren auf 14 beziehungsweise 22 Monaten Messzeit.

„Mit 1,8 Milliarden Sternen haben wir rund 120 Millionen Objekte mehr im Katalog als bisher“, sagt Katja Weingrill, die Gaia-Aktivitäten am AIP koordiniert. „Das Besondere ist aber, dass die Genauigkeit der Bewegungen der Sterne im Vergleich zum letzten Katalog verdoppelt wurde.“

Rund 500 Forscherinnen und Forscher weltweit waren und sind mit der Datenanalyse befasst. Die jetzige Version ist ein Zwischenstand, bis 2022 sollen alle Objekte ausgewertet sein. Die gewaltige Menge erfordert neue Methoden für die Verarbeitung von Big-Data und maschinelles Lernen.

Denn es geht noch weiter: Technisch könnte die Mission bis 2025 fortgeführt werden. Je länger Gaia beobachtet, umso genauer sind die Sterndaten, insbesondere auch von fernen, leuchtschwachen Objekten.

Schief im Raum

Wie wertvoll ein genauer Sternenkatalog ist, zeigt folgendes Beispiel der Nasa-Mission „New Horizons“. Die Sonde hatte schon Pluto besucht und Bilder aus der Nähe geliefert, nun sollte sie am 1. Januar 2019 den Asteroiden Arrokoth passieren und Nahaufnahmen machen.

Die Missionskontrolle stand vor einem Problem, wie das Journal „Science“ kürzlich berichtete.  Die Sonde hatte Arrokoth in ersten Bildern nicht genau getroffen, sie schien „schief“ im Raum zu sein. Die Forscher befürchteten, dass New Horizons beim einmaligen Vorbeiflug statt wertvoller Bilder des Asteroiden nur einen öden Blick in den Weltraum liefern würde.

Das Team entschloss sich, den zweiten Himmelskatalog von Gaia als Landkarte zu nutzen, obwohl er damals gerade erst veröffentlicht und kaum getestet war. Erfolgreich, die Sonde wurde daran ausgerichtet und schickte die gewünschten Fotos.

Tausende Zugriffe

Was der dritte und jüngste Gaia-Katalog bringen wird, ist unklar, die Forscher beginnen gerade erst mit der Arbeit. Ein paar Studien wurden bereits angefertigt, um zu zeigen, was möglich ist.  Dazu gehört die Analyse der Magellanschen Wolken, zwei Zwerggalaxien in 160.000 sowie 200.000 Lichtjahren Entfernung.

Die Gaia-Daten zeigten einerseits die Struktur der Großen Magellanschen Wolke, berichtet Weingrill. Dabei wurden sieben unterschiedlich alte Sternpopulationen ermittelt, die zwischen 50 Millionen und einigen Milliarden Jahren alt sind.

„Es zeigte sich, dass die jüngeren Sterne das Zentrum der Großen Magellanschen Wolke schneller umlaufen als die älteren“, sagt die Forscherin. Zudem wiesen die Wissenschaftler erstmals eine Bewegung vor allem der jungen Sterne in der Brücke nach, die die beiden Galaxien verbindet: Sie werden aus der Kleinen Magellanschen Wolke „herausgezogen“ und fliegen der Großen zu.

Eine weitere Studie wurde zur Bewegung unseres Sonnensystems um das Zentrum der Milchstraße erstellt. Demnach wird es immer schneller, um 0,23 Nanometer pro Sekunde. Infolgedessen werde die Bahn pro Jahr um 115 Kilometer abgelenkt, wie es theoretisch vorhergesagt worden sei, heißt es von der Esa.

Zahlreiche weitere Untersuchungen werden noch kommen. Unmittelbar nach dem Freischalten des Katalogs gab es tausende Zugriffe auf die Webseite. Die Daten werden von vier Datenzentren bereitgestellt, darunter auch eines am AIP in Potsdam.

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