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Kinder in der Schule.
© Kitty Kleist-Heinrich

Ganztagsschulen in Deutschland: Für Millionen Schüler fehlen Plätze

Der Ausbau von Ganztagsschulen geht in Deutschland nur noch schleppend voran. Für 2,8 Millionen Schülerinnen und Schüler fehlen Plätze - so lautet das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Fast ein Drittel der Schülerinnen und Schüler in Deutschland besuchte im vergangenen Schuljahr eine Ganztagsschule – doch der Ausbau von entsprechenden Angeboten geht inzwischen nur noch schleppend voran. So sieht es eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die am Donnerstag veröffentlich wurde. Während in den Jahren zwischen 2003 und 2009 – als der Bund den Ausbau der Ganztagsschulen mit einem milliardenschweren Programm unterstützte – jährlich rund 175 000 neue Ganztagsplätze geschaffen wurden, kommen inzwischen pro Jahr nur noch 104 000 neue Plätze hinzu, heißt es in der Studie, deren Autor, der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm, sich auf unlängst veröffentlichte Zahlen der Kultusministerkonferenz sowie auf eigene Prognosen zum weiteren Ausbau der Ganztagsangebote beruft.

Bei derzeitigen Ausbautempo dauert es zwanzig Jahre, bis es genügend Plätze gibt

Insgesamt waren im Schuljahr 2012/13 rund 2,4 Millionen Schülerinnen und Schüler auf einer Ganztagsschule, was einem Anstieg von 1,6 Prozent auf 32,3 Prozent der gesamten Schülerschaft entsprach. Bleibe es bei dem derzeitigen Tempo des Ausbaus, werde es noch zwanzig Jahre dauern, bis tatsächlich genügend Plätze geschaffen sind, um alle Wünsche nach Ganztagsbetreuung zu erfüllen. Dafür fehlten derzeit 2,8 Millionen Ganztagsplätze. Die Studie beruft sich dabei auf Umfragen, wonach sich 70 Prozent der Eltern eine Ganztagsbetreuung für ihre Kinder wollen. Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, forderte einen Rechtsanspruch auf den Besuch einer Ganztagsschule, um den Ausbau zu beschleunigen.

Gebundene Ganztagsschulen sind noch immer selten

Zwar bietet inzwischen mehr als die Hälfte der Schulen in Deutschland Unterricht bis zum Nachmittag an (55,9 Prozent). Doch vieles davon sind so genannte offene Angebote: Diese sind für Schülerinnen und Schüler fakultativ, der Unterricht des Nachmittags ist schon deswegen kaum mit dem am Vormittag verzahnt. Tatsächlich bleiben an diesen Schulen viele Kinder nicht bis zum Nachmittag – sei es, weil sie das nicht wünschen oder weil die Schulen schlicht zu wenig Plätze vorhalten. Das erklärt auch die deutliche geringere Quote der ganztags unterrichteten Schüler, heißt es in der Studie.

Für besonders sinnvoll halten Bildungsforscher „gebundene“ Ganztagsschulen. Dort ist der Unterricht verpflichtend. Idealerweiser wechseln sich Lern- und Ruhephasen über den Tag hinweg ab, idealerweise erhalten dort Schüler fachkundige Hilfe bei den Hausarbeiten. Auch soziale Ungleichheiten könnten so ausgeglichen werden, wird gehofft. Doch gebundene Ganztagsschulen besuchen nur 14,4 Prozent aller Schülerinnen und Schüler und damit auch deutlich weniger als die Hälfte derjenigen, die überhaupt auf eine Ganztagsschule gehen.

"Mit gutem Ganztagsunterricht wäre Debatte um G8 überflüssig"

In der Studie wird das vor allem in Bezug auf die verkürzte Gymnasialzeit kritisiert. Dräger erklärte, mit einem schnelleren Ausbau des Ganztagsunterrichts wäre die aktuelle Debatte um G8/G9 ganz „überflüssig“. Denn gute Ganztagsschulen machten es möglich, „dass die Stofffülle auch in acht Jahren bewältigt werden kann“, wie es in der Studie heißt. Das Problem sei umso augenfälliger, als nur 9,7 Prozent aller Gymnasien in Deutschland gebundenen Ganztagsunterricht anbieten.

Berlin liegt vorne bei der Ganztagsbetreuung

Enorm sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. Während in Sachsen 79,1 Prozent der Kinder und Jugendlichen bis in den Nachmittag hinein an der Schule bleiben, sind es beim Schlusslicht Bayern nur 12,4 Prozent. In Berlin (53,1 Prozent) ist die Beteiligungsquote nach Hamburg (61,7 Prozent) die drittgrößte.

Soll die Quote der Schüler an Ganztagsschulen tatsächlich signifikant steigen, muss auf jeden Fall viel Geld in die Hand genommen werden. Um den Bedarf an Ganztagsplätzen für 70 Prozent der Schüler zu decken, rechnet die Bertelsmann-Stiftung allein für zusätzliche Lehrkräfte und Erzieher mit jährlich 1,7 Milliarden Euro im Jahr. Bei dieser Rechnung wird sogar nur davon ausgegangen, dass die Schüler an drei Tagen die Wochen ein siebenstündiges Schulangebot wahrnehmen. Sollen alle Schüler an allen fünf Schultagen acht Stunden lang betreut werden, fielen jährlich sogar knapp acht Milliarden Euro für zusätzliche Pädagogen an. Hinzu würden weitere Milliarden für Schulbauten kommen.

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