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Ins Bett getrommelt. Der Sonnenuntergang im Valle Gran Rey, hier eine Aufnahme von 2006, wird nach wie vor zelebriert. Heute schauen auch Pauschaltouristen zu.
© Reinhard Schmid/huber-images.de

La Gomera: Für jeden einen Platz im Licht

Die Hippies sind greis, Aussteiger haben Lokale, Normaltouristen sind da. Aber sonst? La Gomera hat sich kaum verändert.

Auf die Sonne ist Verlass. Auch an diesem Wintertag wird sie am frühen Abend wieder ins Meer plumpsen. Und deshalb eilt ein langhaariger Mann, seine Gitarre geschultert, frühzeitig die Avenida maritima entlang und bekommt noch einen Platz auf dem Strandmäuerchen. Unten im Sand sitzen Menschen jeden Alters in Reih’ und Glied. Manche haben eine Bierflasche in der Hand, andere ein Weinglas. Einige hocken im Schneidersitz, eine Trommel vor sich hingestellt. Den ganzen Tag über war es an der Playa nicht so voll wie jetzt. Eine junge Frau im zipfligen Ledermini macht Dehnübungen. Das muss die Feuertänzerin sein. Auch an diesem Tag wird also nichts schiefgehen beim Sonnenuntergang im Valle Gran Rey.

Eine Frau um die 60 schlendert an der Bar El Paraiso vorüber. Dort auf der Terrasse entdeckt sie zwei Bekannte ähnlichen Alters. „Mensch, Rolf und Martin? Ich glaub’s ja nicht. Dass ich Euch wiedersehe ... “ – „Ach, die Renate. Tja, nach vielen Jahren endlich geschafft“, antwortet Rolf. „Wohnt ihr wieder oben in La Caleta?“ – „Ja“, sagt Martin, „aber dieser Weg da runter zur Playa und abends wieder rauf, das geht ganz schön auf die Gelenke. Mit dreißig hat uns das nichts ausgemacht.“ Rolf ergänzt: „Heute gibt’s ja zum Glück Fahrräder.“ Sein Kumpel schiebt nach: „Und Autos, viele Autos. Früher undenkbar.“ Renate – „ich bin jedes Jahr auf Gomera“ – lächelt. „Aber sonst hat sich im Valle doch kaum was verändert, oder?“ – „Nee“, sagen die Männer und heben ihre Biergläser: „Lass uns mal drauf anstoßen.“

Die Hippies und Aussteiger der 70er Jahre sind verschwunden oder greis geworden. Wer geblieben ist, verdient sein Geld mit jenen „Normaltouristen“, die einst verhasst waren. In Boutiquen sollen die Urlauber ihr Geld ausgeben, deutsche Wurst und deutschen Kuchen kaufen, ihr „Menu del Dia“ in deutschen Restaurants bestellen und gern auch in die Ferienwohnungen deutscher Besitzer ziehen. Dem „Tal des großen Königs“ konnten diese Entwicklungen nicht viel anhaben.

Es geht nicht nur um Profit, sondern um Nachhaltigkeit

Als das Hotel Gran Rey 1996 in erster Strandreihe gebaut wurde, waren die Alternativtouristen entsetzt. Das, so unkten sie, sei „das Ende vom Valle“. 99 Zimmer hat der eher schlichte Bau mit seinen drei Etagen. „Wir sind ein Drei-Sterne-Hotel mit Aha-Effekt“, sagt Manager Martin González. Für vier Sterne fehlten nur ein paar Zentimeter an der Zimmergröße. Macht nichts. „Unsere Preise entsprechen denen eines Vier-Sterne-Plus-Hotels auf Teneriffa, aber“, setzt González, selbst ein wenig staunend, hinzu, „unsere Gäste zahlen ohne Widerworte.“ Der überwiegende Teil komme aus Deutschland.

Und diese Urlauber haben offenbar einen beträchtlichen Anteil daran, dass sich das „Gran Rey“ mit zahlreichen Ökolabels schmücken kann. „Unsere Gäste haben viele Ideen, und die greifen wir auf“, erzählt González. So liege die Butter nicht mehr in kleinen Päckchen auf dem Büfett, sondern werde vom großen Block geschnitten. Die Minibar werde nur noch mit Mehrwegflaschen bestückt, und die Bettwäsche würde, weil die Gäste es anregten, seltener gewechselt. Akribisch (und unnötig) sortieren die Feriengäste ihre Abfälle in farbig unterschiedliche Behälter. Gomera, so verriet ein Einheimischer, besitzt gar keine Recyclinganlagen.

Der Manager führt zur Landseite des Hotels. „Sehen Sie, da wollte ich gern ein Spa hinbauen lassen, stattdessen wachsen auf der ehemaligen Brache nun Bio-Kräuter.“ Die Hotelbesitzer, alteingesessene Gomeros, die im Hinterland noch eine Bananenplantage betreiben, hätten es so gewollt. Es ginge ihnen nicht um mehr Profit, sondern um Nachhaltigkeit.

Handytelefonierer haben Pech

Im östlichen Zipfel des Tals, auf dem Weg zur legendären, heute verlassenen „Schweinebucht“, liegt die Finca Argayall, „the Place of Light“. Vor Jahrzehnten wurde die Farm nebst Herberge von Sannyasins gegründet.

Meditation, Yoga, Bodywork und „Healing“ stehen auf dem Gästeprogramm. Wer hier Ferien macht, so heißt es, wünsche „friedliche Gemeinsamkeit und spirituelle Entwicklung“.

Handytelefonierer haben Pech. Aber auch sonst im Valle funktionieren Mobiltelefone und Internet oft schlecht. Immer wieder, so sagt ein Einheimischer, würden die Sendemasten zerstört. Weg mit dem Teufelszeug. „Ganz

strahlenfrei sind wir aber auch nicht“, sagt die junge Frau am Tresen des „Argayall“, „wir haben zwei schnurlose Telefone.“

„La Gomera – Wo die Zeit stillsteht“, mit diesem Slogan wirbt die offizielle Tourismusbroschüre. Die eher abgegriffene Reklameformel entpuppt sich täglich mehr als erstaunliche Wahrheit. Vor allem, wenn man das Innere der zweitkleinsten Kanareninsel durchstreift. Deutsche Urlauber tun das gern zu Fuß. Ungezählte, gut beschilderte Wanderwege sind vorhanden. Etliche führen durch den Nationalpark Garajonay. Hier hat sich der größte zusammenhängende Lorbeerwald der Erde erhalten, von der Unesco längst als Naturerbe geadelt.

Reich wird man mit einer Herberge nicht

Zehn Prozent der Inselfläche bedeckt das Gespensterdickicht. Flechten und Moose umhüllen knorrige Stämme, Farn wächst meterhoch. Immer wieder sind Aussichtspunkte ausgeschildert. Spektakulär dürfte sein, was man dort sehen könnte. Doch oft hat man Pech. Die grandiosen Gipfel und Schluchten verbergen sich unter Nebelwolken.

„Vor allem Deutsche wandern gern bei uns“, sagt Fernando Martín von der Tourismusregion Vallehermoso. Logieren könnten sie im Ort im Tamahuche, ein 1896 erbautes, nun liebevoll renoviertes Herrenhaus. Die Spanierin Maria hat das Tamahuche vor sechs Jahren gekauft. „Wir wollen nicht, dass hier auf der Insel alles den Deutschen gehört wie im Valle Gran Rey“, sagt sie. Aber reich wird man mit so einer Herberge nicht.

Und so fand sich noch kein Pächter für das schön restaurierte Landhaus Triana. Auch in anderen Orten wurden alte Gebäude nach allen Regeln des Denkmalschutzes von den Gemeinden wiederhergerichtet. Doch Betreiber sind rar. Die Pacht sei zu hoch, heißt es. Da lege man ja fast noch drauf.

Da wäre noch Platz für Urlauber

Typisch La Gomera. Terassenfelder prägen auch das Valle Gran Rey
Typisch La Gomera. Terassenfelder prägen auch das Valle Gran Rey
© imago

Die Plaza de la Constitucion bildet das Zentrum von Vallehermoso. Am späten Abend, wenn die Wanderer schon zu Bett gegangen sind, sitzen ein paar Einheimische in den beiden Bars Amaya und Central. Doch gegen 22 Uhr verabschieden sich auch sie mit einem „hasta mañana“. In den schmalen Gassen rundherum ist’s zappenduster. Zahlreiche Häuser sind unbewohnt, die Bausubstanz verfällt. „Die früheren Bewohner sind gestorben, und ihre Kinder wohnen nicht mehr auf der Insel“, vermutet Fernando Martín. Folgen der Landflucht in den 60er, 70er Jahren.

Schätzungen zufolge liegt die Arbeitslosigkeit auf La Gomera bei rund 35 Prozent. Könnte man nicht durch den Tourismus mehr Menschen in Lohn und Brot bringen? Nur knapp 170 000 Urlauber kommen jährlich auf die Insel, da wäre doch noch Platz. „Wir haben eigentlich genug Besucher“, sagt Fernando Martín. Viele Gomeros sind seiner Meinung.

Wer auf der Insel außer Natur auch Attraktionen erleben will, steuert das Töpferdorf El Cercado an. In drei, vier Werkstätten kann man dort Einheimischen zuschauen, wie sie ohne Drehscheibe rotbraune Tonkrüge, Schnabeltöpfe und Schalen herstellen. Vieles ist zu groß fürs Fluggepäck und im heimischen Haushalt später kaum brauchbar. „Sie haben alle das gleiche Sortiment und ändern nichts daran“, sagt Gordo, ein Deutscher, der seit 20 Jahren auf der Insel lebt. Entweder man kaufe es oder eben nicht. Tradition verpflichtet, auch wenn damit wenig zu verdienen ist.

Die Pfeifsprache ist inzwischen Pflichtfach

Efigenia ist da schon geschäftstüchtiger. In den 60er Jahren öffnete sie ihr kleines Lokal in den Bergen – und kocht ausschließlich vegetarisch. Das kommt gerade bei deutschen Gästen wunderbar an. Hat sich das Leben auf der Insel verändert? Die 75-Jährige schüttelt den Kopf. „Hier auf dem Land nicht“, sagt sie. Die Leute hätten ein bisschen Ackerfläche und einen Garten, wo sie Gemüse anbauen und Früchte ernten könnten. Man komme zurecht. Nach wie vor sei es ruhig – und das zähle mehr als Geld. Als junges Mädchen hat sie noch erlebt, wie sich die Menschen mit El Silbo, der Pfeifsprache, verständigten.

Sie erinnert sich an einen Arbeiter, der sich in den Bergen vor der Guardia Civil versteckt hatte. „Mittels Pfeifsprache wurde er immer gewarnt, wenn Polizisten in der Nähe waren. Die verstanden das ja nicht.“ Nie hätten sie den Mann gefunden, sagt Efigenia zufrieden. Die Guardia Civil ist noch immer unbeliebt auf der Insel. Dass sie den Widerstand gegen Franco bitter büßen mussten, haben die Gomeros nicht vergessen.

Ob wir mal hören wollen, wie die Sprache funktioniert? Efigenia ruft ihre Schwiegertochter Estefania herbei. Die junge Frau lehrt El Silbo in der Schule, mittlerweile ein Pflichtfach auf La Gomera. Mittels Zeigefinger und Daumen entlockt sie ihrem Mund seltsame Töne. „Dass El Silbo nicht verloren ging, haben wir dem Tourismus zu verdanken“, sagt die junge Frau. Für die Besucher war es eine folkloristische Attraktion, lange bevor die Unesco El Silbo zum Welterbe erklärte.

La Gomera gibt sich gern zugeknöpft

„Wenn Sie’s ganz ruhig mögen, fahren Sie mal nach Alojéra hinunter“, empfiehlt Gordo. Das liegt viele Haarnadelkurven tief am Ufer der Westküste. Dort steigt ein Pärchen aus dem Mietwagen, schaut sich um – und staunt. „Hier ist ja nichts.“ Nun ja, einige recht ramponierte Häuschen säumen eine steinige Bucht. Ob man ein Zimmer mieten kann, erschließt sich nicht. Das einzige Lokal, „dort gibt es sehr guten Fisch“ hatte Gordo gesagt, macht gerade Winterpause. Ähnlich verwaist ist es auf der Ostseite, unten in Playa de la Caleta. Vielleicht verirren sich im Sommer mehr Menschen hierhin, jetzt ist man ganz allein. Die Strandbar öffnet höchstens am Wochenende.

Überhaupt gibt sich La Gomera gern zugeknöpft. Jedenfalls, wenn man zur falschen Zeit ankommt. Zum Beispiel in Valverde. Dort existieren zwar zwei, drei Lokale und ein Lebensmittelladen, aber alle schließen um Punkt ein Uhr mittags. „Das ist für Wanderer natürlich unpraktisch“, sagt Gordo. Auch die vielen kleinen Kapellen lassen sich nur von außen betrachten.

San Sebastian, die kleine Inselhauptstadt, hat sich ganz nett herausgeputzt. Nun gibt es sogar zwei, drei Souvenirläden. Ein schmales Angebot für Kreuzfahrttouristen. Immer mehr stoppen auf der Insel. 78 große Schiffe werden in dieser Saison erwartet. Die Passagiere werden dann in Bussen über die Insel gekarrt. „Nicht so schlimm“, sagt Gordo. „Am frühen Nachmittag sind sie sowieso wieder weg.“ Manche im Valle stehen dann gerade auf.

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