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Kritische Wissenschaft. Studierende beim Barcamp Gender an der TU Berlin.
© Christian Demarco/promo

Aktionstag Gender Studies: „Fröhliche feministische Weihnachten“

Am bundesweiten Aktionstag wehren sich die Gender Studies gegen Anfeindungen von rechts. Impressionen aus der TU Berlin.

Ein „Barcamp Gender Studies“? Das klingt nach einem Geschlechterforscher*innen-Zeltlager mit Ausschank. Tatsächlich sitzen die über 100 Teilnehmenden des Barcamps Gender am Dienstag an der TU Berlin aber nicht am Tresen, sondern auf Stühlen und aus Platzmangel auch auf dem Boden: Ein Barcamp ist eine offene Veranstaltung mit Workshops, deren Themen die Diskutanten spontan festlegen. „Bar“ bezeichnet in der Informatik einen Platzhalter.

Eingeladen hat die Arbeitsgemeinschaft der Frauen- und Geschlechterforschungseinrichtungen Berliner Hochschulen (AFG), in der sich die Berliner Genderforschung vernetzt. „,AFG’ bitte deutlich aussprechen“, mahnt eine Wissenschaftlerin gleich am Anfang. Sonst klinge es wie „AfD“ und man zucke zusammen.

Die AfD ist ein wichtiger Grund für das Barcamp an der TU. Die Partei überziehe die Parlamente mit kleinen Anfragen zu den Gender Studies, berichtet Sabine Hark, Leiterin des Zentrums für Geschlechterforschung an der TU Berlin. Dabei solle die Geschlechterforschung als Ideologie diskreditiert werden. Auch nach Namen von Genderforschenden frage die AfD. Den seit Jahren zunehmenden Anfeindungen, auch von kirchlichen Gruppen, „besorgten Eltern“ oder, wie Hark sagt, „rechten Journalisten“ setzt die Wissenschaft in diesem Jahr zum zweiten Mal ihren bundesweiten „Aktionstag Gender“ entgegen. In den sozialen Medien und auf Veranstaltungen soll über die Geschlechterforschung informiert werden.

"Jeder meint, mitreden zu können"

An der TU verteilen sich die Teilnehmenden auf elf Workshops. „Gendertribunale: Wenn Medien richten“, heißt einer, ein anderer befasst sich mit „hegemonialer Männlichkeit“, ein weiterer mit der Konstruktion der „Mathehürde“ in den MINT-Fächern.

„Ich will mich hier vernetzen“, sagt ein ganz in schwarz gekleideter Student, während die Teilnehmenden zu ihrem Workshop gehen. „Wenn ich sage, dass ich Gender Studies studiere, reagieren die Leute sofort emotional und jeder meint, mitreden zu können.“ Dabei seien nur wenige Fächer so nah am Alltag wie die Gender Studies. Eine Studentin mit Mütze und Kaffeetasse sagt, dass sie ihre Masterarbeit zum Thema „Ideologie“ schreibt. Die Gender Studies seien gerade als „kritische Wissenschaft“ von besonderer Bedeutung.

„Meine Eltern müssen sich ständig dafür rechtfertigen, dass ihre Tochter Gender Studies studiert“, erzählt eine Teilnehmerin. Die Rechtswissenschaftlerin Ulrike Lembke sagt, dass es gerade in der Weihnachtszeit oft zu Konflikten mit Familienmitgliedern über die Gender Studies kommt. In ihrem Workshop will sie Wege finden, wie Gender Studies verständlich kommuniziert werden können.

Neben der Übertreibung des „Genderwahns“ sehen sich Studierende auch oft mit dem Vorwurf der „Pseudo-Wissenschaft“ konfrontiert, wie sie erzählen. Die aggressive Abwehr rühre daher, dass die Gender Studies eine soziale Ordnung hinterfragen, in der sich viele gemütlich eingerichtet haben, erklärt Lembke: „Die letzte Sicherheit ist in Gefahr.“ Darüber, wie man den Anfeindungen am besten entgegentreten könnte, herrscht allerdings noch Ratlosigkeit. Ein weiterführender Workshop dazu wäre nützlich, sind sich die Studierenden einig.

Wie wäre es mit einer "linken Herdprämie"?

Um „Feministische Ökonomie“ geht es im Workshop der Wirtschaftswissenschaftlerin Aysel Yollu-Tok. Die teilnehmenden Studierenden kommen aus allen möglichen Disziplinen, von BWL über Computer Science bis zu Bildungswissenschaft und Public Health. Sie alle interessieren sich dafür, wie die Arbeitswelt geschlechtergerechter organisiert werden kann – und ob das innerhalb des kapitalistischen Systems überhaupt möglich ist.

Die Probleme sind schnell benannt: Frauen verdienen weniger als Männer, übernehmen dafür aber anderthalbmal so viel Reproduktionsarbeit. Alleinerziehende Frauen haben außerdem kaum eine Chance, auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen.

Die Ideen, um diese Ungleichheit zu bekämpfen sind vielfältig: Wie wäre es zum Beispiel mit einer „linken Herdprämie“, die Männer anspornt, mehr Haus- und Sorgearbeit zu übernehmen? Oder mit Führungspositionen, die von mehreren Personen in Teilzeit übernommen werden?

In der öffentlichen Debatte werden andere Diskriminierungsformen wie Rassismus allerdings oft außer Acht gelassen, wendet jemand ein. Oft gehe es darum, wie ohnehin privilegierte, weiße Frauen in Führungspositionen kommen. Dass die übrig gebliebene Hausarbeit und Kinderbetreuung dann häufig von Frauen aus Osteuropa oder Frauen of Colour übernommen wird, werde dabei nicht reflektiert. Mehr Intersektionalität ist nötig, sind sich alle einig, also ein Fokus auf sämtliche, sich überschneidende Formen der Diskriminierung.

Anne Fleig, Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der FU Berlin, hat Studierende im ersten Semester mit in ihren Workshop genommen. Dort diskutieren sie über den literarischen Kanon, in dem Autorinnen bis heute kaum vorkommen. „Es wurde nur über Männer gesprochen, ich kann mich an keine einzige Frau erinnern“, berichtet eine FU-Studentin aus einer Einführungsvorlesung. „Durch solche Lehrveranstaltungen geht es immer weiter so“, sagt eine andere Studentin, „bis in die Schule“.

Fazit: Dass die Gender Studies im Zuge einer bevorstehenden allgegenwärtigen Geschlechtergerechtigkeit bald überflüssig werden, glaubt in der Runde niemand. Die Professorin wünscht den Studierenden zum Abschluss „fröhliche feministische Weihnachten“.

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