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An den verkürzten Fingern (oben die Hände einer betroffenen Frau) können Mitglieder einer türkischen Familie erkennen, ob sie bereits in jungen Jahren an Bluthochdruck erkranken. Die Kurzfingrigkeit wird in dieser Familie immer mit dem Bluthochdruck gemeinsam vererbt. Im unteren Bild zum Vergleich die Hände einer nicht erkrankten Frau.
© Hakan Toka/ Copyright: MDC

Seltener Gendefekt: Forscher finden Gen, das den Blutdruck drastisch erhöht

Berliner Wissenschaftler entdecken ein Gen, das eine seltene, schwere Form von Bluthochdruck auslöst. Die Erkenntnisse könnten vielleicht auch Patienten helfen, bei denen der genetische Defekt nicht vorhanden ist.

„Das liegt bei uns in der Familie“, sagen viele, wenn bei ihnen zum ersten Mal auffällig hohe Blutdruckwerte gemessen werden. Sie haben recht, inzwischen ist klar, dass der Blutdruck zu 60 Prozent durch die Gene bestimmt wird. Allerdings ist es meist nur die „Neigung“ des Blutes, mit zu hohem Druck durch die Gefäße zu strömen, die vererbt wird. Übergewicht, Bewegungsmangel und zu salziges Essen tun dann ein Übriges. Wie so oft spielen mehrere Faktoren eine Rolle und das Geschehen ist in gewissem Umfang durch Veränderungen im eigenen Lebensstil beeinflussbar. Auch unter den Genen gibt es in diesen Fällen keinen „Alleinschuldigen“: Die Regulation des Drucks in den Blutgefäßen ist für ein gesundes Leben offensichtlich so bedeutsam, dass sie von der Biologie nicht einem Gen allein überlassen wurde.

Der Defekt führt zu hohem Blutdruck und Fehlbildungen des Skeletts

Doch es gibt Ausnahmen von dieser Regel. Einer solchen seltenen Form des erblichen Hochdrucks sind Forscher des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) und der Charité um Friedrich Luft seit fast zwei Jahrzehnten auf der Spur. Schon vor einigen Jahren konnten sie seine Lage in einer Region von Chromosom 12 einkreisen. Nun haben sie, nachdem sie das gesamte Genom einiger Betroffener sequenziert haben, das Gen identifiziert, dessen Veränderung zugleich schweren Bluthochdruck und eine Fehlbildung des Skeletts der Hand auslöst. Und zwar bei allen, die es tragen. Das Gen wird als „PDE3A“ bezeichnet, weil es die Bauanleitung für das Enzym Phosphodiesterase 3A enthält. Luft und Kollegen berichten davon im Fachmagazin „Nature Genetics“.

Bedeutsam ist, dass es sich hier um die erste nach den Mendel’schen Regeln vererbte Form von Bluthochdruck handelt, bei der nicht Salz, die Funktion der Niere und das komplizierte Renin-Angiotensin-System, sondern Besonderheiten der Gefäße das Problem sind. Denn das Gen PDE3A sorgt dafür, dass die Muskelzellen der Blutgefäße zu stark arbeiten und sich deren Struktur verändert.

Nur sechs betroffene Familien sind weltweit bekannt

Für die Mitautorin Sylvia Bähring ist der Fund eine Ermutigung, die Forschung zur „Volkskrankheit“ Hypertonie stärker auf diese Eigenarten der Gefäße auszurichten. Denn auch unter Menschen, bei denen nicht eine einzige genetische Besonderheit, sondern das übliche Bündel von Ursachen zu Hochdruck führt, gibt es viele, bei denen Salz keine oder kaum eine Rolle spielt. „Möglicherweise liegt auch bei einigen von ihnen eine Hyperaktivität des Enzyms in den Gefäßmuskelzellen vor, die wir bei den Familien mit dem veränderten Gen gefunden haben“, sagt sie.

Die Betroffenen – bisher sind weltweit nur sechs Familien bekannt – haben bereits in jungen Jahren extrem hohe Blutdruckwerte und erliegen, wenn sie dagegen nicht eine Reihe von Medikamenten nehmen, fast ausnahmslos vor dem 50. Lebensjahr einem Schlaganfall. Sie sind an einer weiteren Besonderheit erkennbar, ihren auffallend kurzen Fingern. In der Fachsprache der Mediziner wird sie nach dem Griechischen „Brachydaktylie“ genannt. Die Veränderungen im Gen PDE3A führen nämlich nicht allein dazu, dass sich die Blutgefäße verengen und versteifen, sie beeinflussen auch das Wachstum der Knorpelzellen und damit die Länge der Finger.

Glücksfall für die Genetiker

Als Glücksfall für die genetische Forschung erwies sich nun, dass die Wissenschaftler das Genom eines 16-Jährigen aus der Türkei untersuchen konnten. Der nämlich hatte zwar ungewöhnlich hohen Blutdruck, allerdings nur unwesentlich verkürzte Fingerglieder. „Die spezielle Punktmutation, die sich bei ihm im Gen PDE3A zeigt, wirkt sich vor allem auf den Blutdruck, aber kaum auf das Skelett aus“, sagt Bähring.

Als Nächstes wollen die Forscher im Tierversuch herausfinden, wie genau das Gen in den Gefäßmuskelzellen agiert und ob man dem gezielt entgegenwirken kann. Möglicherweise eröffnet sich damit eines Tages ein neuer, nebenwirkungsarmer Weg zur Behandlung. Im besten Fall werden davon nicht nur die Träger des veränderten Gens profitieren, sondern auch andere Patienten, bei denen Bluthochdruck aus anderen Gründen „irgendwie in der Familie liegt“.

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