Cern präsentiert Ergebnis: Forscher feiern: Higgs-Teilchen offenbar gefunden
In Genf haben die Forscher am Teilchenbeschleuniger Cern wohl das lange gesuchte Higgs-Teilchen gefunden. Es gilt als Basis des Physik-Standardmodells - nun gibt es deutliche Belege für seine Existenz.
Es gilt als das „Gottesteilchen“ und fast schon als heiliger Gral der Teilchenphysik: das Higgs-Boson. Es bildet einen fundamentalen Baustein unseres heutigen physikalischen Weltbilds - und jetzt haben Forscher im Teilchenbeschleuniger LHC am Cern erstmals handfeste Belege für seine Existenz entdeckt. „Der Nachweis des Higgs-Bosons wäre die Antwort auf eine der größten Fragen der Physik“, hatte Guido Altarelli, theoretischer Physiker am Forschungszentrum Cern bei Genf noch vor wenigen Monaten kommentiert. Jetzt ist diese Frage so gut wie beantwortet. Denn genau dort, wo man es erwartete, bei einer Masse von 125 Gigaelektronenvolt, haben die Physiker am LHC nun ein neues Elementarteilchen entdeckt. Die vorhandenen Daten zeigen mit sehr hoher Signifikanz ein Teilchen bei 125 GeV (Giga-Elektronenvolt), berichteten Forscher am Mittwoch am Teilchenforschungszentrum Cern in Genf. Es spricht vieles dafür, dass es sich tatsächlich um das seit Jahrzehnten gesuchte Higgs-Boson handelt. Cern-Wissenschaftler hatten auf der Suche nach dem Higgs-Boson in den vergangenen Monaten eine Reihe von Experimenten mit dem weltgrößten Teilchenbeschleuniger LHC vorgenommen.
Video: Haben Forscher das Gottesteilchen gefunden?
Die Daten zeigten klare Signale von einem neuen Teilchen im Signifikanzbereich von 5 Sigma. Das gilt als Grenze, damit eine Entdeckung wirklich anerkannt ist. „Die Ergebnisse sind vorläufig, aber das 5-Sigma-Signal im Bereich um 125 GeV, das wir sehen, ist drastisch“, teilte das Cern mit. „Es ist schwer, nicht aufgeregt zu werden bei diesen Ergebnissen“, sagte Cern-Forschungsdirektor Sergio Bertolucci.
Sehen Sie in einer Fotostrecke, wie die Ergebnisse bekanntgegeben wurden und wie der Teilchenbeschleuniger funktioniert:
„Was sich hier anbahnt, ist für mich bisher die Entdeckung des Jahrhunderts“, schwärmte Prof. Joachim Mnich, Forschungsdirektor des Deutschen Elektronen-Synchrotrons Desy. „Am deutlichsten überzeugt mich, dass wir in den zwei unabhängigen Datensätzen aus dem letzten und aus diesem Jahr das gleiche Signal sehen, und das konsistent in beiden Experimenten, Atlas und CMS.“ „Mit dieser bedeutenden Beobachtung wird vielleicht die Tür in eine neue Welt der Teilchenphysik aufgestoßen“, sagte Prof. Bernhard Spaan von der Technischen Universität Dortmund. Er ist Vorsitzender des deutschen Komitees für Elementarteilchenphysik.
Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) gratulierte den Wissenschaftlern in Genf zur Entdeckung eines neuen Teilchens. „Die Suche nach dem Higgs-Teilchen hat nun fast 50 Jahre gedauert, aber nun könnte die Entdeckung gelungen sein. Die Ausdauer und Neugier der Wissenschaftler wurde belohnt.“
Warum das Higgs-Teilchen so bedeutend ist
Das so schwer zu fassende Teilchen gilt als der Urheber für eine der Grundeigenschaften aller Dinge: der Masse. Ohne sie wäre das Universum ein völlig anderer Ort: Es gäbe keine Atome und keine normale Materie. Denn die Masse erst sorgt dafür, dass die Grundbausteine der Materie zusammenhalten und miteinander wechselwirken. Lange Zeit aber konnte das Standardmodell der Teilchenphysik - und damit die Basis unseres physikalischen Weltbilds - nicht erklären, woher die Elementarteilchen diese wichtige Eigenschaft haben.
Erst Mitte der 1960er Jahre entwickelten mehrere Physiker, darunter der Brite Peter Higgs, den Higgs-Mechanismus, eine Theorie, die dieses Manko des Standardmodells beseitigte. Überall im Universum existiert demnach ein sogenanntes Higgs-Feld. Teilchen treten mit diesem unsichtbaren Feld in Wechselwirkung, dadurch bildet es eine Art Klumpen um das Partikel. Dieser Klumpen verleiht ihm seine Masse. „Wenn es diesen Higgs-Mechanismus nicht gäbe, hätten wir keine Substanz, wir würden uns einfach auflösen“, erklärt Joseph Incandela, Sprecher des CMS-Experiments am Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) des CERN.
2010 war Cern zu Gast in Berlin. Im Video erklärt ein Wissenschaftler seine Funktionsweise:
In einer bekannten Analogie vergleicht der britische Physiker David Miller das Higgs-Feld mit einer Cocktail-Party. Betritt eine bedeutende Persönlichkeit, beispielsweise ein bekannter Politiker, den Raum, sammelt sich schnell eine Traube anderer Gäste um ihn. Der Politiker kann sich vor lauter Menschen kaum mehr vorwärtsbewegen - ähnlich einem Teilchen mit hoher Masse, das nur mit viel Energie beschleunigt werden kann.
Doch damit ist das Bild noch nicht vollständig. Denn gibt es den Higgs-Mechanismus, dann muss es auch ein dazugehörendes Teilchen geben - das Higgs-Boson. „Die theoretischen Annahmen sagen dies voraus“, sagt Altarelli. Das Higgs-Boson entsteht demnach, wenn sich das Higgs-Feld an bestimmten Stellen verdichtet. In der Cocktail-Party-Analogie wäre das der Fall, wenn die Gäste Grüppchen bilden, weil sie beispielsweise gerade den neuesten Tratsch austauschen.
Mehr als 30 Jahre lang war das Higgs-Boson das einzige Teilchen im Standardmodell der Physik, das noch nie experimentell nachgewiesen wurde. „Seit mehr als 30 Jahren spekuliert man darüber, wo sich das Higgs-Boson verbergen könnte“, sagt Altarelli. Denn man wisse zwar, dass das Higgs-Boson eine Masse habe, nicht aber, welche. In den letzten Jahren ist es den Physikern immerhin gelungen, den Suchbereich deutlich einzuengen. „Bis zum Sommer 2011 wurde klar, dass Higgs-Bosonen sich nicht oberhalb einer Masse von etwa 140 Gigaelektronenvolt befinden können“, berichtet Incandela. Das hätten Experimente am Teilchenbeschleuniger Tevatron Collider in den USA ergeben. In Elektronenvolt wird die Energie angegeben, die man braucht um ein Teilchen zu beschleunigen. Da sie eng mit dessen Masse verknüpft ist, verwenden Physiker diese Einheit auch als Massenangabe für Elementarpartikel.
Ende 2011 schränkten Ergebnisse am Large Hadron Collider (LHC) des Cern die mögliche Masse des Higgs-Bosons noch weiter ein: Zwischen 116 und 127 Gigaelektronenvolt müsse sie liegen, berichteten die Cern-Forscher damals. Sie fanden sogar erste Indizien für ein Partikel mit 124 bis 126 Gigaelektronenvolt Masse. Für Sommer 2012, so kündigten sie damals an, seien weitere, eindeutigere Ergebnisse zu erwarten - und möglicherweise der lang ersehnte Nachweis des Higgs-Bosons. Entsprechend mit Spannung wurden die am 4. Juli verkündeten neuesten Ergebnisse des LHC erwartet. Und die Erwartungen wurden nicht enttäuscht.
(dpa,dapd,AFP)
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