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Rund um Homo und Trans forschen. Die Stiftung ehrt mit ihrem Namen Magnus Hirschfeld, der 1919 weltweit das erste „Institut für Sexualwissenschaften“ gründete. Die Nationalsozialisten zerstörten es 1933.
© imago/Horst Galuschka

Magnus-Hirschfeld-Stiftung: Fördern unterm Regenbogen

Sexuelle Vielfalt: Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld engagiert sich für Bildung und Forschung. So soll beispielsweise endlich die Strafverfolgung schwuler Männer in der frühen Bundesrepublik unter dem Paragrafen 175 aufgearbeitet werden.

An seiner Stelle würde er sofort wieder kündigen, hat ihm ein Kollege gleich am Anfang geraten: „Mit so wenig Stiftungsvermögen können Sie Ihre Aufgaben nicht erfüllen.“ Damals, im Herbst 2011, hatte Jörg Litwinschuh gerade die Geschäftsführung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld übernommen und reiste durch die Republik, um von anderen Vorständen zu erfahren, wie man Stiftungsgelder günstig anlegt. Etwas mehr als zehn Millionen Euro hatte seine Stiftung als Startkapital vom Justizministerium erhalten. Der Mann, der ihm gegenübersaß, arbeite für eine weitaus größere Organisation. Sein Rat spornte Litwinschuh jedoch erst recht an. „So viel war die Gesellschaft eben bereit, für unsere Sache zu geben“, dachte er. Und blieb.

Die Stiftung erinnert an die Verfolgung Homosexueller und forscht zu Homophobie an Schulen

Seitdem will Litwinschuh zeigen, dass man auch mit einem kleinen Stiftungsvermögen viel bewegen kann. Die „Sache“ der Hirschfeld-Stiftung ist das Thema sexuelle Vielfalt, von der Erinnerung an die Verfolgung Homosexueller im Dritten Reich über die Forschung zu Schwulen und Lesben im 20. Jahrhundert bis hin zum Abbau von Homophobie und Transphobie an Schulen heute.

Die Stiftung hat in den zweieinhalb Jahren ihres Bestehens einen Wissenschaftskongress gestemmt, mit der „Hirschfeld Lecture“ eine internationale Vorlesung konzipiert, Fußball-Verbandschefs zur Förderung von Vielfalt im Sport an einen Tisch gebracht und mehrere Projekte zur Aufarbeitung der Strafverfolgung Schwuler angestoßen. Wann immer es in Deutschland um Diskriminierung von Menschen geht, die nicht heterosexuell leben, ist die Hirschfeld-Stiftung nicht weit. Bis Anfang des Jahres war Litwinschuh der einzige fest angestellte Mitarbeiter. Seit Anfang des Jahres hilft ihm eine halbe Verwaltungskraft.

Magnus Hirschfeld gründete einst das erste Institut für Sexualwissenschaften

Besuch empfängt Litwinschuh in seinem Büro – „unserer Werkstatt“ – in der Mohrenstraße, ein Mittvierziger mit Fünftagebart, hoher Stirn und einem sehr offenen Lächeln. Auf dem Fußboden stehen Kartons, in der Ecke eine Pappmascheebüste des Stiftungs-Namensgebers Magnus Hirschfeld. 100 Jahre ist es her, dass Hirschfeld sich in der frühen Homosexuellenbewegung gegen die Verfolgung sexueller Minderheiten einsetzte. 1919 gründete er das weltweit erste „Institut für Sexualwissenschaften“, das die Nationalsozialisten 1933 zerstörten. Litwinschuh nennt Hirschfelds Arbeit „Diversity Management vom Feinsten“, die Stiftung soll an sein Werk erinnern. „Dabei sind wir aber nicht unkritisch“, sagt Litwinschuh. Auch Hirschfeld habe die zweifelhaften biologistischen Ansichten seiner Zeit vertreten. Oft würden zudem Feministinnen wie Johanna Elberskirchen vergessen, mit denen Hirschfeld im „Wissenschaftlich-humanitären Komitee“ zusammenarbeitete. „Viele wissen nicht, wie mutig die Emanzipation von Frauen zu dieser Zeit war.“

Vorstand Jörg Litwinschuh von der Magnus-Hirschfeld-Stiftung.
Fundraiser. Vorstand Jörg Litwinschuh muss Drittmittel für die Magnus-Hirschfeld-Stiftung einwerben.
© Thilo Rückeis

Litwinschuh erzählt voller Begeisterung von seinen Plänen, er ist abenteuerlustig. Wie ein studentisches Start-up organisierte er sein erstes Büro am Leipziger Platz, das ihm ein Unternehmer kostenlos überließ. Ein Zimmer im Justizministerium lehnte er ab. „Wir wollten von Anfang an unabhängig sein.“ Begonnen hat alles vor zehn Jahren. Schwule und Lesben hatten in einem Aktionsbündnis gefordert, dass die Bundesrepublik zur moralischen Wiedergutmachung der Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen im Nationalsozialismus eine Stiftung finanzieren sollte. Tatsächlich verabschiedete die rot-grüne Regierung die Idee im Bundestag, scheiterte aber im Bundesrat. Die große Koalition wagte keinen neuen Anlauf. Erst die FDP – namentlich die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger – holte das Projekt 2011 aus der Versenkung. Diesmal wählte man den Weg durchs Bundeskabinett, was gelang.

Weil sie wenig Eigenmittel hat, muss die Stiftung ständig Drittmittel einwerben. Den Wissenschaftskongress „Gleich-Geschlechtliche Erfahrungswelten“ im vergangenen November förderte das Bundesforschungsministerium. Für die „Hirschfeld-Tage“, die im Mai in Nordrhein-Westfalen stattfanden, hat eine andere schwulen- und lesbennahe Stiftung Geld gegeben. Auf dem privaten Fundraisingmarkt kennt Litwinschuh sich aus: Jahrelang war er Pressesprecher und Fundraiser der Deutschen Aidshilfe.

Die Strafverfolgung vom Homosexuellen unter dem Paragraphen 175 ist bis heute nicht aufgearbeitet

Litwinschuhs jüngster Erfolg ist eine Zusammenarbeit mit dem „Institut für Zeitgeschichte“ in München, das sich nun erstmals mit der Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus befasst. Die Stiftung sieht es als ihre Aufgabe, solche „Forschungsdesiderate“ aufzuzeigen. „In Deutschland konnten Sie ja, die Gender Studies einmal ausgenommen, mit diesen Themen bisher keine Karriere machen“, sagt Litwinschuh. So ist beispielsweise die Strafverfolgung schwuler Männer in der frühen Bundesrepublik unter dem Paragrafen 175 bis heute nicht aufgearbeitet. Bis 1969 waren 50 000 Männer inhaftiert, was diese jedoch oft nicht mehr nachweisen können: Viele Akten sind vernichtet. Um die wenigen Zeugnisse, die es aus der Zeit gibt, zu bewahren, hat die Magnus-Hirschfeld-Stiftung gerade das „Archiv der anderen Erinnerung“ ins Leben gerufen. Nach dem Oral-History-Prinzip erzählen damals Verurteilte, die bis heute nicht rehabilitiert sind, vor einer Videokamera, was sie erlebten. Auch Lesben kommen zu Wort, selbst wenn sie von dem Paragrafen nur indirekt betroffen waren.

Schule und sexuelle Vielfalt - ein schwieriges Thema

Noch ist die Stiftung für solche Aufarbeitung auf finanzielle Hilfe von Ländern und Kommunen angewiesen. Sobald sie mehr Geld ausschütten kann, will sie Forscher und Forscherinnen aus eigener Kraft unterstützen. Litwinschuh träumt davon, einen Magnus-Hirschfeld-Lehrstuhl zu finanzieren und Promotionsstipendien zu vergeben. „Wenn ich etwas vorschlage, halten die anderen oft erst mal die Luft an, weil keiner weiß, ob das jemals gelingen wird.“ Litwinschuh meint das durchaus selbstkritisch und hat deshalb eine „Phase der Konsolidierung“ eingeläutet. Gerade beim Thema Bildung, „dem schwierigsten Bereich überhaupt“, will die Stiftung eher eine Vermittlerinnenrolle einnehmen, anstatt zu viel selbst zu machen. „Wir fragen: Wo gibt es gute Projekte, die sich zum Beispiel mit Schule und Vielfalt beschäftigen?“, erklärt Litwinschuh. „Dann sorgen wir dafür, dass die Projekte in den einzelnen Bundesländern überhaupt voneinander erfahren.“

Tatsächlich scheint die Stiftung aber noch nicht genau zu wissen, wie sie sich im Bereich Bildung von der politischen Arbeit abgrenzt, wie sie etwa der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) betreibt. Für Vielfalt im Fußball oder in Führungsetagen werben auch andere, braucht es dafür eine Bundesstiftung? Litwinschuh, der früher selbst Geschäftsführer des LSVD war, beeilt sich zu sagen, dass man keineswegs in Konkurrenz zur „Community“ stehen wolle, sondern im Gegenteil viele Aspekte der Bewegung unterstütze, bei strategischen Planungen helfe und Modellprojekte initiiere. Dafür könne der Bundestitel hilfreich sein: „Wir öffnen Türen in Wirtschaft und Wissenschaft“.

- Die Hirschfeld-Stiftung bietet gemeinsam mit der Stiftung Akademie Waldschlösschen bei Göttingen auch im Sommer Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen an. Näheres unter mh-Stiftung.de

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