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Kein Löffelchen für Oma. Geht es nach den Verfechterinnen der breifreien Kost, dürfen Babys sich einfach vom Tisch schnappen, worauf sie Appetit haben.
© IMAGO

Babynahrung: Fingerfood statt Füttern

Ist es besser, Babys ohne Brei großzuziehen? Ernährungsexperten haben Zweifel an dem neuen Trend.

Max, sieben Monate, hält seinen Broccoli am Stängel fest, um das Röschen abzuknabbern. Der gleichaltrige Jamie aus London und sein Opa genehmigen sich ab und zu ein Mittagessen im Pub. Es gibt Pommes. Hannah, acht Monate alt, möchte auch Falafel mit Pitabrot, genau wie ihr Vater. Drei Beispiele aus dem Buch der britischen Hebamme, Stillberaterin und mehrfachen Mutter Gill Rapley, das seit 2008 in Großbritannien für erregte Debatten unter jungen Eltern sorgt und 2013 auch auf Deutsch erschien.

„Baby-Led Weaning“ – vom Baby gesteuertes allmähliches Abstillen – nennt Rapley ihre Vorschläge für die Phase, in der ein Säugling noch gestillt wird oder die Flasche bekommt, gleichzeitig aber auch schon andere Lebensmittel zu sich nimmt. „Einmal breifrei bitte!“, so bringen die Schauspielerin Loretta Stern und die Hebamme Eva Nagy die Sache in ihrem Buch auf den Punkt, das kurz vor dem britischen Elternratgeber in Deutschland erschienen ist. Der „stressfreie Beikostweg“, der in beiden Büchern empfohlen wird, ist nicht von Gläschen mit Babynahrung gesäumt. Sobald ein Baby mit am Esstisch sitzen kann, soll es alles in mundgerechten Häppchen probieren dürfen, was Eltern und Geschwister essen.

Die Vorteile liegen sozusagen auf der Hand. Das Kind kann seinen eigenen Impulsen folgen, übt seine Feinmotorik, erlebt das viel beschworene gemeinsame Essen am Familientisch. Und kein Erwachsener macht sich mehr den offenen Mund eines schreienden Säuglings zunutze, um ihm gegen seinen Willen schnell noch einen Löffel vom Brei einer ungeliebten Geschmacksrichtung einzuflößen, nach dem Motto: Ein Löffelchen für Mama, ein Löffelchen für Papa …

Immer mehr Anfragen von Eltern

So weit, so einleuchtend. Doch wenn der Brei ganz vom Speiseplan der größer werdenden Säuglinge gestrichen wird, könnte ihnen in mehrfacher Hinsicht etwas fehlen, fürchtet die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. In der „Monatsschrift für Kinderheilkunde“ hat sie Empfehlungen zur Ernährung gesunder Säuglinge veröffentlicht und dabei wird auch die breifreie Kost berücksichtigt. Aus gegebenem Anlass, denn bei Kinderärzten und Institutionen wie dem Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) in Dortmund häufen sich die Anfragen von Eltern und Fachkräften.

Die Fachleute fürchten, dass Säuglinge, die in Sachen Beikost von der Hand in den Mund leben, dabei zu wenig von einigen wichtigen Nährstoffen abbekommen. Sie denken dabei vor allem an Eisen, mit dem Kinder über die Muttermilch auf die Dauer nicht ausreichend versorgt sind und das von der Beikost geliefert werden muss. „Die Eisenspeicher der Babys sind mit einem halben Jahr praktisch leer. Und wer an einem Stück Fleisch nur saugt, bekommt kaum Eisen ab“, berichtet die Ernährungswissenschaftlerin Annett Hilbig vom FKE in der „Monatsschrift für Kinderheilkunde“.

Während bei der herkömmlichen Breifütterung die Bedeutung des Stillens für die Versorgung mit Nährstoffen nach und nach abnehme, hänge der Nährwert des Fingerfood-Konzepts vom individuellen Entwicklungsstand und vom Geschick des Kindes ab, warnt Hilbig. In dem vom FKE entwickelten „Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr“, seit Jahren Standard der Säuglingsernährung in Deutschland, ist deshalb ein Zeitfenster für die Einführung der Beikost vorgesehen, hauptsächlich, um der unterschiedlichen motorischen Entwicklung der Kinder Rechnung zu tragen. „Wir denken, dass man es in diesem Alter noch nicht den eigenen feinmotorischen Fähigkeiten der Kinder überlassen kann, sich ausreichend mit Nahrung zu versorgen“, urteilt auch Frank Jochum, Kinderarzt im Evangelischen Waldkrankenhaus in Berlin-Spandau und Mitglied der Ernährungskommission.

Neue Nahrungsmittel sollen nur nach und nach auf den Speiseplan kommen

Ihre zeitlich abgestuften Empfehlungen für die Einführung von verschiedenen Breis möchten die Experten nicht als ein Plädoyer für das frühe Abstillen verstanden wissen. Im Gegenteil: Unter dem Schutz der Muttermilch sollen nach und nach neue Nahrungsmittel wie Getreide, Gemüse, Obst, und Fleisch eingeführt werden. Das Risiko, eine Allergie zu entwickeln oder eine Zöliakie zu bekommen, bei der man das in verschiedenen Getreidesorten enthaltene Klebereiweiß Gluten nicht verträgt, lässt sich dadurch senken, wie Studien belegen.

In dem letzten Papier der Fachgesellschaft, das vor zwei Jahren erschienen ist, wurde das mögliche Einstiegsalter für den ersten Brei deshalb auf den Beginn des fünften Lebensmonats vorverlegt. Wird Babys erst feste Nahrung angeboten, wenn sie es schaffen, sich mundgerechte Häppchen selbst von der Hand in den Mund zu führen, dann wird der optimale Zeitpunkt dafür verpasst.

Studien zur Frage, wie sich die Kinder, die Beikost als Fingerfood zu sich nehmen, langfristig entwickeln, fehlen aber noch. „Vielleicht sind wir in dieser Hinsicht überbesorgt“, muss Hilbig zugeben. Ob es so ist, können jedoch nur wissenschaftliche Untersuchungen zeigen. Bis dahin bleiben die Experten für Kinderernährung vorsichtig.

Die Hoffnung: Kinder mäkeln später weniger am Essen, wenn sie früher selbst probiert haben

Immerhin hat sich die Angst, dass die Babys die Bissen verschlucken und daran sogar ersticken könnten, in kleineren Beobachtungsstudien nicht bewahrheitet. Umgekehrt lieferte die Wissenschaft aber auch keine Bestätigung für die Hoffnung vieler Eltern, die Kinder könnten sich durch frühzeitige Kostproben zu weniger mäkligen Essern entwickeln. „Hier sind nicht zuletzt genetische Programme im Spiel“, sagt Hilbig.

Die Ernährungswissenschaftlerin vermutet, dass viele Eltern sich ohnehin an ein gemischtes Konzept halten, ihren Babys also Brei geben und sie am Familientisch verschiedene Speisen probieren lassen. „Fingerfood und die traditionelle Breifütterung schließen einander ja nicht aus.“ Dass mit der Ermunterung zum selbstständigen Essen Neugier und Geschick der kleinen Kinder gefördert werden und Essen schon früh als gemeinschaftliche Aktion erlebt wird, findet auch den vollen Beifall der Ernährungskommission.

Ab dem zehnten Lebensmonat sieht deren Plan für die Babys ohnehin eine allmähliche Einführung in die Familienkost vor. „Aber auch das, was die ganze Familie isst, kann man einem Baby oder Kleinkind ja füttern, wenn es noch Hilfe braucht“, gibt Jochum zu bedenken. Wenn alles gut läuft, beinhaltet die behutsame elterliche Hilfestellung einen Zuwachs an Zuwendung und Kommunikation. Auch das Argument, dass so mehr Lebensmittel im Mund des Babys statt auf dem Boden und letztlich im Müll landen, sollte nicht ganz unter den Tisch fallen.

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