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Junge Kunst aus Peking. Links „Cinema“ (2013), eine Sieben-Kanal-Videoinstallation von Fang Lu.
©  courtesy of Fang Lu and Boers Li Gallery, ProWinko Collection NL

Kunst aus China: Fernweh und Nahsicht

Drei Berliner Ausstellungen widmen sich den Arbeiten chinesischer Künstler. Sie ermöglichen einen Blick jenseits von Klischees.

Wenn dieser Tage der chinesische Staatspräsident Deutschland besucht, sich die Städtepartnerschaft zwischen Peking und Berlin zum zwanzigsten Mal jährt, der Martin-Gropius-Bau eine große Ai-Weiwei-Ausstellung präsentiert, der Shanghaier Kurator Li Zhenhua im alten Künstlerhaus Bethanien gleich eine ganze Ausstellungsreihe mit hauptsächlich chinesischer Medienkunst präsentiert und in den Uferhallen mit „Die 8 der Wege“ eine Schau mit 23 exemplarischen Künstlerpersönlichkeiten aus Peking gezeigt wird, ist es Zeit von Fern- auf Nahsicht umzuschalten.

Dass dies nicht so leicht fällt, ist eines der Ergebnisse der gerade veröffentlichten Studie „Deutschland und China – Wahrnehmung und Realität", die das Hamburger GIGA-Institut im Auftrag von Huawei erarbeitet hat (vgl. Seite B4). Der deutsche Botschafter in China, Michael Clauss, schreibt im Vorwort der Untersuchung, dass wir „ein Bild voneinander (haben), das teilweise noch durch Stereotype und geringe Kenntnisse der Entwicklungen im jeweils anderen Land geprägt ist. Wir müssen deshalb den Austausch weiter intensivieren, um Unkenntnis und Vorbehalte abzubauen. Diese Anstrengungen sind es wert, denn in der globalen Welt ist China unser Weggefährte und enger Partner geworden.“

In einem Klima relativer Unkenntnis also und starker politischer wie wirtschaftlicher Interessen finden in Berlin nun eine Reihe Präsentationen mit Künstlern aus China statt – allen voran, am dritten Jahrestag seiner Verhaftung, die große Ausstellung „Evidence“ von Ai Weiwei. Aus diesem Anlass wurde ein offener Brief der Freunde Ai Weiweis unter der Überschrift „Passport für Ai Weiwei! Reisefreiheit für Ai Weiwei!“ an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier geschickt, den auch der Autor dieses Artikels unterzeichnet hat. Darin wird zu Recht gefordert, dass Ai Weiwei sein Reisepass wieder ausgehändigt werden soll. Es wird von der Bundesregierung gefordert, dass sie die Causa während des Staatsbesuches des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping anspricht. Auch das ist wichtig: Rechtsstaatlichkeit ist ein hohes Gut, das es genauso zu verteidigen gilt wie das Recht auf freie Meinung und künstlerische Freiheit.

Kunst braucht ein wirkliches Außerhalb

Dass die Forderung dieser Rechte zu existenziellen Konflikten führt, hat Ai Weiwei am eigenen Leib erfahren. Hier in Deutschland verurteilt man das. Was dieser Vorgang jedoch für das Leben in China bedeutet, entzieht sich meistens unserer Kenntnis. Dissens führt hierzulande zu runden Tischen und Mediationsverfahren. Mit anderen Worten: Alles, was hier an Energien entsteht, die in der Lage wären, bestehende Verhältnisse in Frage zu stellen, wird sofort inkorporiert. Dies ist eine sehr effektive Kulturtechnik, die wir entwickelt haben, um etwaige Konflikte sofort zu entschärfen. „Repressive Toleranz“ hat Herbert Marcuse das einmal genannt.

Seien wir ehrlich, die Sonntagsreden auf Künstler, die das vermeintlich Andere oder das Deviante ins Museum und damit ins Zentrum der Gesellschaft holen, dienen der Egalisierung.

Kunst ist, wenn man so will, ein prästabilisierter, virtueller Außenraum geworden, den man im Westen ins Zentrum der Gesellschaft gerückt und somit entschärft hat. Resistance, Widerstand aber braucht ein wirkliches Außerhalb, um überhaupt entstehen zu können.

Genau darin liegt auch unsere Faszination für den Künstler Ai Weiwei. Er ist für uns zu einer Symbolfigur geworden, an der sich solche Diskussionen entzünden lassen. Genau darin besteht unbestreitbar seine Relevanz. Er erinnert nicht von ungefähr an eine Figur wie Joseph Beuys, dessen unterschiedliche Künstlerpersonae – ähnlich wie bei Ai Weiwei – die damals noch nicht so kompromisslos tolerante deutsche Öffentlichkeit unter Strom zu setzen verstanden. Das politische Engagement, das öffentliche Auftreten und die hohe künstlerische Sensibilität der klaren Geste – das alles erkennen wir in Ai Weiwei wieder und erinnern uns an eine Zeit, in der „Avantgardebegriffe“ noch Sinn machten.

Was heißt es, wenn ein Künstler in Peking von Freiheit spricht?

Rechts die Plastik „Der Tod Marats“ (2011) von He Xiangyu aus Silikon, Haaren und Textilien, 175 x 50 x 35 Zentimeter.
Rechts die Plastik „Der Tod Marats“ (2011) von He Xiangyu aus Silikon, Haaren und Textilien, 175 x 50 x 35 Zentimeter.
© Foto Courtesy ALEXANDER OCHS GALLERIES BERLIN I BEIJING

Der Kurator der „Momentum“-Ausstellung Chang Tsong Zung erklärt, dass Begriffe wie „Revolution“ oder der „Andere“ aus einer westlichen, christlich-utopischen Denktradition entstammen. Die chinesische Vokabel für „Revolution“, die Mao benutzte, sei traditionell als eine Art Synchronisierung politischer Realitäten mit den Bestimmungen einer himmlischen Ordnung verwendet worden. Durch diese begriffliche Kooptierung erst habe er China radikal von Innen modernisieren können. Ebenso der Begriff von Freiheit. Was heißt es, wenn ein Künstler in Peking von „Freiheit“ (Yóu Lí ) spricht? Das Zeichen „Yóu“ bedeutet „Reise“ oder „Tour“, während „Lí" für „von, aus“ steht und doch auch unüberhörbar „Verzückung“ und „Hochgefühl“ anklingt?

Was bedeutet es also, wenn ein bekennender transsexueller Künstler den Text eines amerikanischen Kunstkritikers zerreißt, weil er sie als politische Künstlerin darstellen will? Die meisten Künstler einer jüngeren Generation in Peking denken ähnlich, wenn ihnen von außen die Rolle eines politischen Künstlers zugeschrieben wird. Diskutiert werden künstlerische Methoden, Arten und Weisen, die Dinge anders zu sehen und zu machen – alternative Daseinsmodelle also.

Kapital bedrohlicher als staatliche Zensur

Dass sie den Freiraum dafür haben, ist nicht selbstverständlich. Die Generation um 1978, zu der auch Ai Weiwei gehört, hat den Weg dahin frei geräumt. Heute kann man alles tun, wenn auch nicht alles zeigen. Zensur gehört zum Alltag, mit der pragmatisch umgegangen wird. Je mehr Freiräume durch künstlerische Produktion besetzt werden, desto differenzierter werden die Daseinsmodelle, die sich in künstlerischer Arbeit manifestieren. In China gibt es also noch das Außerhalb des Systems der Politik. Kunst ist noch lange nicht im Zentrum der Macht angekommen und will dort auch gar nicht hin gelangen. Das ist keine unpolitische Haltung, sondern ein Beharren auf Räumen im „Außerhalb“.

Viele Künstler in China empfinden deshalb den Zugriff des Kapitals auf ihre Arbeit, dem sie sich nicht mehr entziehen können, problematischer als staatliche Zensur. So gibt es auch in China dieselben Distortionen im Kunstmarkt, wie wir sie im Westen erleben. Der Unterschied besteht zumindest darin, dass in China kein Avantgarde-Kanon in der x-ten Generation abgearbeitet wird, sondern die Entwicklung der Kunst parallel zu den gigantischen gesellschaftlichen Transformationsprozessen verläuft, die China gegenwärtig erlebt. Diese Energien sind auch in den Ateliers in Peking zu spüren, und man spürt die Kräfte, die an den Künstlern wirken.

In diesem Frühjahr haben wir in Berlin die schöne Gelegenheit, in drei Ausstellungen diese Kräfte am Werk zu sehen. Es wird nicht ganz einfach sein, die üblichen Wahrnehmungsraster auszusetzen und jenseits unserer Bedürfnisstrukturen die Künstler hinter den üblichen Diskursmaschinen zu entdecken. Aber genau darum geht es: Schauen wir hin!

Der Autor ist Künstler in Berlin und Ko-Kurator der Ausstellung „Die 8 der Wege: Kunst in Beijing“, Uferhallen, Uferstraße 8-11, 30. April bis 13. Juli 2014

„Der Schrei des Pandas – Drei Generationen Medienkunst aus Shanghai“. Veranstaltungsreihe im MOMENTUM Worldwide, Kunstquartier Bethanien, Mariannenplatz 2, bis 1. Juli 2014

„Ai Weiwei – Evidence“, Martin-Gropius-Bau, Niederkirchner Straße 7, 3. April bis 7. Juli 2014

Thomas Eller

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