Wissen: Familienplanung schont das Klima
Weniger Menschen, weniger Treibhausgase – Zukunftsformel oder Augenwischerei des Westens?
In der Debatte um den Klimawandel spielt das Wachstum der Weltbevölkerung bisher kaum eine Rolle. So erwähnt der vor zwei Jahren veröffentlichte 650 Seiten starke einflussreiche Report des britischen Volkswirtschaftlers Nicholas Stern über die ökonomischen Folgen der globalen Erwärmung das Thema an keiner Stelle. Dabei könnte Familienplanung ein vergleichsweise kostengünstiger Weg sein, um den Kohlendioxidausstoß zu verringern. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Studie von Thomas Wire von der London School of Economics.
Wire rechnete aus, dass jeweils sieben US-Dollar, die für Familienplanung in den Jahren 2010 bis 2050 ausgegeben werden, zu mehr als einer Tonne weniger Kohlendioxid-Emissionen führen. Dagegen kostet es 32 Dollar, um mit Hilfe moderner Energietechnik eine Tonne CO2 zu vermeiden – also fast fünfmal so viel. Ingesamt könne man in den nächsten 40 Jahren 34 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) CO2 vermeiden, wenn man den Bedarf an Familienplanung stillen würde und dadurch die Geburtenzahl entsprechend sinke, rechnet Wire vor.
Weltweit wünschen sich schätzungsweise 200 Millionen Frauen Zugang zu moderner Empfängnisverhütung, ohne diese zu besitzen. Das Ergebnis sind 76 Millionen unerwünschte Schwangerschaften, heißt es im Fachblatt „Lancet“. Jedes Jahr treiben 42 Millionen Frauen ab, berichtet die Weltgesundheitsorganisation. Bei 20 Millionen Frauen erfolgt die Abtreibung illegal, mit schweren Komplikationen oder sogar Todesfällen bei einem Viertel der Frauen.
Würde man den Bedarf nach Verhütungsmitteln stillen, könnten hohe Wachstumsraten der Bevölkerung in vielen Ländern verringert werden und der Druck auf die Umwelt so verringert werden, kommentiert „Lancet“. Es gebe eine neue Debatte über die Verbindung von Bevölkerungswachstum, reproduktiver Gesundheit und Klimawandel. Nun sei es an der Zeit, den technikfixierten Blick auf den Klimawandel zu ändern und auch die Menschenrechte – und insbesondere die der Frauen – stärker zu berücksichtigen.
Frustriert klingt, was Roger Short, Experte für Geburtenkontrolle an der Universität von Melbourne, im Fachblatt „Philosophical Transactions of the Royal Society B“ zu dem Thema schreibt. Das weitere Wachstum der Weltbevölkerung zu stoppen ist für Short die größte Herausforderung der Gegenwart. Trotzdem sei es nicht unter die acht Jahrtausendziele aufgenommen worden, die die Vereinten Nationen im Jahr 2000 erklärt hätten. Short: „Internationale Organisationen, Regierungen und religiöse Führer werden die Letzten sein, die den Ernst der Lage anerkennen. Und die Letzten, die effektive Maßnahmen einleiten.“
Jeden Tag wächst die Weltbevölkerung um 200 000 Menschen, jedes Jahr um 75 Millionen. Das entspricht fast der Einwohnerzahl Deutschlands. Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass im Jahr 2050 zwischen acht und 10,5 Milliarden Menschen leben. Heute sind es 6,8 Milliarden. Mehr als 95 Prozent des Bevölkerungswachstums findet in Niedriglohn-Ländern statt, am raschesten im südlichen Afrika – trotz Aids.
Weniger dramatisch als Short sieht der englische Umweltjournalist Fred Pearce das Problem des Bevölkerungswachstums. „Vor einem halben Jahrhundert hatte eine Frau im Mittel fünf bis sechs Kinder“, schreibt er im Magazin „New Scientist“. Heute seien es nur noch durchschnittlich 2,6 Kinder. Die Hälfte der Menschheit bekomme weniger Kinder, als für eine gleichbleibende Bevölkerung erforderlich seien, nämlich weniger als durchschnittlich 2,3 Kinder. Zu diesen Regionen zählten der größte Teil Europas, Ostasien und Nordamerika.
„Das wirkliche Problem ist nicht Überbevölkerung, sondern übermäßiger Konsum“, schreibt Pearce und weist darauf hin, dass sieben Prozent der Weltbevölkerung für 50 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich sind. Umgekehrt verursache die ärmere Hälfte der Menschheit nur sieben Prozent der Emissionen. „Immer, wenn jemand von uns in der reichen Welt sich über zu viele Babys in Afrika oder Indien beklagt, verleugnen wir unser eigenes schuldhaftes Verhalten.“
Der Ökologe Paul Ehrlich („Die Bevölkerungsbombe“) von der Stanford-Universität bringt es auf den Punkt: Genauso wie es nötig sei, das weitere Anwachsen der Menschheit zu verringern, müsse man den exzessiven Konsum der reichen Länder herunterschrauben.
Nicht nur eine zu hohe Geburtenrate ist problematisch, schreibt Rainer Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung im „New Scientist“. Auch eine zu niedrige Geburtenrate wie in Deutschland (rund 1,3 Kinder pro Frau) könne von Nachteil für die Umwelt sein, weil die anteiligen Kosten für die Infrastruktur sich verteuerten, für Abwasserbeseitigung, Trinkwasser und Energie aus sauberen Quellen also pro Kopf mehr bezahlt werden müsse.
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