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Unter Verdacht. Der „Vogel der Morgenröte“ (Aurornis xui) könnte ein besonders früher Vogel-Vorfahr sein. Aber es ist unklar, ob er wirklich aus 160 Millionen Jahre altem Sediment stammt – oder doch aus einer jüngeren Schicht.
© Nature/J. Dos Remedios/C. Desmedt/IRSNB

Paläontologie: Falscher Dino

Regelmäßig machen Fossilien wie der "Vogel der Morgenröte" aus China Furore. Doch immer häufiger wird ihre Echtheit bezweifelt. Fälscherwerkstätten ergänzen tatsächliche Funde oder konstruieren sie komplett.

Bislang wurden auf dem asiatischen Schwarzmarkt meist Drogen, Waffen oder Billigimitate verschoben. Neuerdings blüht ein weiterer Handel auf, der mit falschen Fossilien. Dessen Epizentrum ist China, und er lässt jetzt auch die Arbeit von Wissenschaftlern und Museen ins Zwielicht geraten. Denn viele dieser gefälschten Versteinerungen sind derart gut gemacht, dass sie sich nur durch aufwendige Untersuchungen als solche erkennen lassen.

Eines der ersten namhaften Opfer wurde das Magazin „National Geographic“, als es 1999 einen Archaeoraptor aus der Liaoning-Provinz in Nordostchina als angebliches Bindeglied zwischen Vogel und Dinosaurier präsentierte. Doch es war buchstäblich zu schön, um wahr zu sein. Schnell stellte sich heraus, dass jemand den knöchernen Körper eines ursprünglichen, fischfressenden Yanornis martini mit den Schwanzfedern des Dinosauriers Microraptor zhaoianus ausgerüstet hatte.

2009 geriet dann ein Bericht im renommierten Fachjournal „PNAS“ in Verdacht, dass der darin beschriebene fast vollständige Schädel eines Ur-Gepards Acinonyx kurteni, der aus dem Linxia-Becken in der Provinz Gansu stammen sollte, ebenfalls eine Chimäre sein könnte. Ob tatsächlich einige Knochenteile angeklebt wurden, ließ sich bis heute nicht rückhaltlos ausschließen, wie ein aktueller Bericht in „Science“ (Band 330, Seite 1740) zeigt. Der Beitrag über den Ur-Gepard in PNAS wurde jedenfalls zurückgezogen.

Der jüngste Verdachtsfall ist Aurornis xui, der „Vogel der Morgenröte“, der Ende Mai als ein neues Sensations-Fossil aus der Liaoning-Provinz gefeiert wurde. Doch auch er könnte sich, wie immer mehr Fossilien aus China, als Fälschung erweisen. Denn wo genau und unter welchen Umständen das Fossil entdeckt wurde, blieb sogar seinen Beschreibern verborgen. Trotz dieser Bedenken veröffentlichte das Fachmagazin „Nature“ den spektakulären Fund dieses gefiederten Dinosauriers, von dem behauptet wird, er sei 160 Millionen Jahre alt. Damit wäre Aurornis xui ein sehr früher Vogel-Vorfahre. Rund 15 Millionen Jahre älter als der berühmte Archaeopteryx – und mithin der älteste Ahne überhaupt, der zugleich Ursprung und Entwicklung der Vögel erhellen könnte. Was der Forschungsbericht verschweigt: Nicht die Paläontologen selbst haben den Fund gemacht, sondern das Fossil über einen Händler erworben. Daher wäre es möglich, dass Aurornis 35 Millionen Jahre jünger ist und damit angesichts anderer gleichaltriger chinesischer Vogelfossilfunde keine Sensation mehr („Science“, Band 340, Seite 1153).

Mogelpackung. Im Oktober 1999 wurde Archaeoraptor präsentiert, angebliches Bindeglied zwischen Vogel und Dinosaurier. Eine Fälschung, wie sich später zeigte.
Mogelpackung. Im Oktober 1999 wurde Archaeoraptor präsentiert, angebliches Bindeglied zwischen Vogel und Dinosaurier. Eine Fälschung, wie sich später zeigte.
© AFP

China besitzt für viele Erdzeitalter die weltweit besten Fossillagerstätten. Der Markt boomt, und immer häufiger werden Fälschungen fabriziert, um ihn weiter anzuheizen. In einigen Provinzen wie Gansu sei das Herstellen solcher Komposit-Fossilien geradezu ein florierender Nebenerwerbszweig geworden, berichtet ein chinesischer Paläontologe. Westliche Forscher kennen das Problem ebenfalls seit Jahren, haben bisher aber meist geschwiegen, weil sie Nachteile für ihre Forschungsarbeit befürchteten, die sie nur in Kooperation mit China voranbringen können. Jetzt aber ist auch der Ruf der Wissenschaft in Gefahr. Denn es tauchen zunehmend chinesische Fossilien auf, bei denen spezialisierte Fälscher hinsichtlich der Vollständigkeit der Erhaltung und sogar bei der Evolution der Tiere immer raffinierter nachhelfen. Gezielt werden Chimären aus mehr als einem Tier fabriziert oder Teile verschiedener Tiergruppen zusammengefügt – und zwar so meisterhaft, dass selbst Fachleute dies kaum per Inaugenscheinnahme erkennen.

Mittlerweile gibt es in den fossilreichen Provinzen Chinas Fälscherwerkstätten und eine Fülle von Händlern, die die vermeintlichen „Funde“ an den Mann und in Museen bringen. Der vom Magazin Science zitierte chinesische Wirbeltier-Paläontologe Li Chun schätzt, dass 80 Prozent aller Meeressaurier, die in chinesischen Museen derzeit ausgestellt sind, manipuliert oder gar konstruiert wurden. Auch die Paläontologin Zhao Lijun vom Naturkundemuseum in Hangzhou, die viele Meeresreptilien für eine Ausstellung in ihrem Museum untersuchte, entdeckte dabei Dutzende Fälschungen, darunter einen 15 Meter langer Ichthyosaurier.

Derzeit entstehen in China immer mehr lokale Museen, in denen die Fossilien aus der jeweiligen Region gezeigt werden und die sich mit Prachtstücken übertrumpfen wollen. Darunter sind viele, die nicht authentische Belege der tierischen Evolution sind, sondern Fabrikationen aus Fälscherwerkstätten. Je häufiger sie ihren Weg auch in westliche Museen und die Hände von Wissenschaftlern finden, desto mehr wird die Glaubwürdigkeit seriöser Forschungsinstitutionen untergraben. Denn bisher gelten gerade Museen als Ort der Authentizität, wo ausgestellte Originalobjekte für jedermann abrufbar Tatsachen der Natur belegen. Durch die mutwilligen Fälschungen wird auch der wissenschaftliche Wert der Versteinerung vernichtet. Ein unfachmännischer Umgang mit den Fossilien zerstört oft wichtige Informationen, angefangen bei den genauen Fundschichten und Fundumständen.

Zweifel über Herkunft und Alter vieler Fossilien werden vor allem dadurch geschürt, dass die Fossilien in China bislang meist nicht bei gezielten Forschungsgrabungen entdeckt werden, sondern von Bauern bei ihrer Arbeit auf den Feldern. Über Zwischenhändler, die den Wert des Fossils weiter steigern wollen und mittels geschickter Präparatoren nachhelfen, gelangen sie auf einen Markt, auf dem sich nicht nur Forscher, Museen und Fachmagazine, sondern mittlerweile auch reiche Geschäftsleute und Liebhaber tummeln. Ihnen allen geht es bei den vermeintlich sensationellen Funden um prestigeträchtige Trophäen. Doch wie auf dem Kunstmarkt wächst auch hier die Gefahr, durch eine Fälschung hinters Licht geführt zu werden.

Selbst Experten sind verblüfft, wie täuschend echt die chinesischen Fossilfälschungen oft sind. Sie schlagen daher vor, wenigstens solche aus kommerziellen Quellen mittels Computer-Tomographie (CT) oder hochauflösender Röntgenstrahlen zu untersuchen. Tatsächlich wurde im Fall der Archaeoraptor-Fälschung mittels CT nachgewiesen, dass dieses Fossil aus 88 einzelnen Knochenteilen zusammengeklebt wurde. Doch nicht überall ist ein CT- oder Röntgen-Gerät zugänglich.

Beim „Vogel der Morgenröte“, Aurornis, zeigten entsprechende Untersuchungen keinen Hinweis auf eine Manipulation. In diesem Fall könnte zwar das Fossil echt, aber dennoch keine Sensation sein. Wenn sich nämlich herausstellen sollte, dass es gar nicht aus der 160 Millionen Jahre alten Tiaojishan-Formation, sondern der weitaus jüngeren Yixian-Formation stammt, aus der bisher sämtliche andere Urvogel-Dinosaurier geborgen wurden.

Die Forscher hoffen jetzt, durch den Vergleich weiterer auf der gleichen Gesteinsplatte wie das Urvogel-Fossil befindlicher Pflanzen- und Mineralproben den Herkunftsnachweis zu führen. Wie in diesem Fall müssen zukünftig wohl immer aufwendigere und zeitraubende Studien die Echtheit von Fossilien belegen, solange ein überhitzter Markt weiter zu Fälschungen einlädt.

Der Autor ist Evolutionsbiologe am Naturkundemuseum Berlin.

Matthias Glaubrecht

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