Autonome Fahrzeuge: Fahrt ohne Fahrer
Elektronischer Chauffeur für jedermann: Ein Ausflug auf der A9 mit dem Fahrroboter „Jack“ von Audi.
Was passiert nur, wenn ich jetzt die Hände auf den Lenker lege und ihn nach rechts reiße? Im Augenblick liegen sie in meinem Schoß, das Lenkrad dreht sich wie von einem Geist gelenkt. Es ist aber kein Spuk, sondern der einen kühlen Kopf bewahrende Bordcomputer, der den Audi-A7-Testwagen mit 130 Sachen über die Überholspur der A9 brettern lässt. „Jack“ nennen die Fahrzeugingenieure den rollenden, mit Laserscannern, Kameras, Radar- und Ultraschallsensoren vollgepackten Roboter liebevoll. Er soll in Europa die Zukunft des selbst steuernden Fahrens einläuten.
„Können Sie gerne ausprobieren“, sagt überraschend gelassen auf dem Beifahrersitz Markus Hoffmann, der bei Audi an der Vorentwicklung Automatisierte Fahrfunktion mitarbeitet. „Aber wenn’s geht, vielleicht erst nach dem Lastwagen.“ Gewartet, getan. Auf der A9 zwischen Ingolstadt und Nürnberg gibt mir der 310- PS-Wagen mit einem Handgriff problemlos die Kontrolle zurück; ich fädele in die rechte Spur. Dann drücke ich erneut zwei Tasten auf dem Lenkrad, um die Räder wieder eigenständig laufen zu lassen. Und ich wende mich wieder dem Gespräch mit dem Fahrzeugingenieur Hoffmann und mit Horst Glaser, Leiter der Audi-Fahrwerksentwicklung, zu. Warum braucht es diese Technologie?
Überraschende Konkurrenz von Digitalfirmen wie Google
Seit Mitte der achtziger Jahre rüstet die Autoindustrie ihre Fahrzeuge kontinuierlich mit Assistenzsystemen auf. Beginnend mit dem Antiblockiersystem ABS findet sich heute in Autos alle mögliche Hightech von Abstandhaltern über Parkhilfen bis zum Kollisionsschutz. Seit mehr als einem Jahrzehnt arbeitet die etablierte Autoindustrie daran, diese Fahrhilfen zu einem selbst steuernden Auto zusammenzubacken.
Was etablierte Autohersteller wie Audi, BMW und Mercedes auch motiviert, sind aus einem toten Winkel aufgetauchte Konkurrenten, die nicht gerade als ausgewiesene Experten für Verbrennungsmotoren gelten. Google testet seit 2009 in Kalifornien eine sich selbst lenkende Fahrzeugflotte. Das erste Serienfahrzeug soll 2020 folgen. Auch Tesla, US-Schmiede für Elektroautos, arbeitet an der Technologie. Selbst der Fahrdienstvermittler Uber entwickelt selbst fahrende Autos, gerüchteweise auch Apple. All diese Firmen sehen eine Zukunft auf uns zurollen, in der wir im Auto Zeitung lesen, statt abwechselnd auf Fahrbahn, Armatur und Rückspiegel zu starren.
Verbesserte Sicherheit
Das stellt naturgemäß das Konzept der Premiumhersteller auf den Kopf, für die bis heute Fahrspaß ein gewichtiges Verkaufsargument war. Für das pilotierte Fahren, wie Audi es nennt, wäre „Spaß“ mangels Interaktivität wohl zu hoch gegriffen, nach einer Eingewöhnungsphase lässt sich aber von zugfahrähnlicher Entspannung reden. Die Industrie betont stets noch einen weiteren Aspekt: durch Technologie verbesserte Sicherheit.
Eine Umfrage des Beraterunternehmens McKinsey unter 30 Verkehrsexperten kam 2015 zu dem Schluss, dass autonome Fahrzeuge Straßenunfälle um 90 Prozent reduzieren würden. So waren Googles Autos, die inzwischen unter Aufsicht über zwei Millionen Kilometer gefahren sein sollen, in über ein Dutzend kleinere Unfälle verwickelt, haben davon aber selbst nur einen kleinen Blechschaden verursacht.
Auch in Deutschland sollen Tests in Städten flächendeckend erfolgen
Die etablierten Hersteller können sich dem Trend nicht entziehen. Die Herausforderungen sind aber gerade im urbanen Bereich immens. Ein Polizist, der mit einer Kelle Verkehr umleitet, Leuchtreklame oder gar eine über die Fahrbahn kriechende Person. Google hat sich der Aufgabe gestellt. Mit dem Segen der lokalen Behörden sind sie längst überall in kalifornischen Innenstädten unterwegs. Doch für den Dauertest in der Innenstadt fehlt in Deutschland die Genehmigung. Nur auf einer „ersten Meile“ zur Autobahn kann „Jack“ in Ingolstadt gelegentlich sein Können testen. Bis 2018 sollen Städtetests auch in Deutschland in größerem Stil beginnen. Der erste Schritt ins Serienauto ist deshalb erst der Pilot für die Autobahn, die etwas übersichtlicher ist als das Dickicht der Städte. Die Markteinführung soll bei Audi nur noch ein paar Jahre dauern. Zuerst kommt Ende 2017 im Audi A8 der „Staupilot“, der bei dichtem Verkehr bis zu Tempo 60 auf der Autobahn übernehmen kann.
Fahren ist nicht jedem ein brennendes Bedürfnis
An den autonomen Verkehr auf Autobahnen glaubt auch das Verkehrsministerium. Seit 2015 hat es das „Digitale Testfeld A9“ eingerichtet, auf dem Autohersteller und Unternehmen selbst steuernde Fahrzeuge testen können. Dazu gehört ein Netzwerk, das Autos erlaubt, untereinander und mit Verkehrszentralen zu kommunizieren, um so rechtzeitig vor einem Unfall hinter dem nächsten Hügel zu warnen. Die Probefahrt nähert sich dem Ende. Ich überhöre, wie mir Jack mit überraschend weiblicher Stimme kurz vor der Ausfahrt den Hinweis gibt: „Der Autobahnpilot wird in 15 Sekunden deaktiviert.“ Die Fahrzeugingenieure weisen mich unmissverständlich darauf hin, das Lenkrad wieder in die Hand zu nehmen. Es rückt wieder ins Blickfeld, was ich fast vergessen hatte: Das humangesteuerte Autofahren. Vermisst habe ich es nicht.
Horst Glaser überrascht das nicht. Fahren ist nicht jedem ein brennendes Bedürfnis. Doch wenn es eines Tages nur noch darum geht, mit Jack oder Jill wie mit dem Taxi oder Zug chauffiert zu werden, wer legt dann noch wirklich Wert darauf, in einem kostspieligen Mercedes, BMW oder Audi zu sitzen?