Frauenförderung an Unis: Exzellenz geht nur mit Diversität
Bis zur Geschlechterparität wird es an vielen Unis beim jetzigen Tempo Jahrzehnte dauern. Ein Fehler: Exzellenz geht nur mit Diversität, sagt unser Kolumnist.
Es ist erstaunlich, für welche Aufregung eine kleine niederländische Hochschule sorgen kann – in Deutschland. Die Technische Universität Eindhoven (TU/e), 11.000 Studierende, 3000 Mitarbeiter, will nur noch Bewerbungen von Frauen akzeptieren. Erst wenn sich sechs Monate lang keine geeignete Bewerberin findet, wird eine Stellenausschreibung auch für Männer geöffnet.
„Frauenförderung extrem“ erkennt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und findet, sowas gehört abgestraft: „Egal ob Mann oder Frau: Die besten angehenden Wissenschaftler(innen) werden sich jetzt hoffentlich erst einmal an einer anderen Universität bewerben – und nur wenn nötig in Eindhoven."
In der in München ansässigen "Süddeutschen Zeitung" kann man nachlesen, Irène Joliot-Curie, die französische Nobelpreisträgerin von 1935, habe so einen „Missbrauch ihres Namens nicht verdient“. Missbrauch, weil die TU/e das zu der Initiative gehörende Fellowship-Programm zu Ehren Joliot-Curies benannt hat. Die „100-Prozent-Quote“ führe nicht zur Auswahl der Besten und ignoriere, „dass es Unterschiede in den Interessen und womöglich sogar in manchen Fähigkeiten der Geschlechter gibt.“ Der SZ-Autor, so steht unter seinem Kommentar, bedauert übrigens, dass sich keine Kollegin für das Verfassen beworben habe.
Der Anteil der Professorinnen in Bayern wächst um nur 0,6 Prozent
Derweil veröffentlichte – das ebenfalls in München ansässige – Bayerische Landesamt für Statistik neue Zahlen zum Anteil von Professorinnen im Freistaat. Er lag 2018 bei 20,4 Prozent. Das waren 0,6 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. In vielen anderen Bundesländern sieht es kaum besser aus. Bei gleichbleibender Geschwindigkeit dauert es in Bayern genau noch ein halbes Jahrhundert, bis Geschlechterparität herrscht. Nur um die Dimensionen zu begreifen: Vor 50 Jahren wurde Willy Brandt Bundeskanzler.
Wenn man die zitierten und weitere Aufgeregtheiten zur TU Eindhoven liest, bekommt man eine Idee, woran das liegen könnte. Offenbar haben viele in Deutschland immer noch nicht begriffen, dass Exzellenz und Diversität – zu der Gender-Gerechtigkeit zählt – nicht im Widerspruch zueinanderstehen, sondern einander bedingen. Für sie scheint es unvorstellbar zu sein, dass die TU/e mit der ungewöhnlichen Maßnahme ihre wissenschaftliche Qualität am Ende steigern könnte. So, wie sie offenbar nicht begreifen, dass Hochschulen, die bevorzugt Männer zu Professoren machen, von denen noch dazu die allermeisten einen deutschen Pass haben, keine exzellenzförderliche Einstellungspolitik praktizieren, sondern eine fantasielose.
Derzeit sind nur 12,6 Prozent der Lehrkräfte in Eindhoven weiblich. Das heißt: Bislang gab es dort eine 87,4-Prozent-Männerquote. Aber die war nicht explizit, sie stand nirgendwo, sie wurde einfach so praktiziert. Über Jahre und Jahrzehnte.
Implizierter Genderbias - pro Mann
Auch der Rektor der TU/e ist ein Mann. Frank Baaijens sagt laut "NiederlandeNet", weil in den nächsten Jahren 150 Dozentenstellen frei würden, bestehe die Chance, schnell zumindest auf 20 Prozent Frauenanteil zu kommen. „Wir wollen eine Veränderung der Kultur.“ Nach anderthalb Jahren soll die Initiative evaluiert werden. Natürlich, sagt Baaijens, sei sie kontrovers: „Wenn man nicht aufpasst, sagen die Leute: Du hast die Stelle bekommen, weil du eine Frau bist. Aber wir wissen, dass es einen impliziten Genderbias gibt, dass wir beispielsweise eher einen Mann als eine Frau mit „exzellent“ etikettieren, obwohl sich ihre Leistungen nicht unterscheiden.“
Ich glaube, für eine Initiative einer Hochschule, deren Chef solche Sätze sagt, hätte Irène Joliot-Curie doch ganz gern ihren Namen geliehen.
- Der Autor ist Journalist für Bildung und lebt in Berlin. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.