EFI-Gutachten zu Forschung und Innovation: Experten wollen mehr Elite und mehr Azubis
Die von der Bundesregierung beauftragte Expertenkommission Forschung und Innovation kritisiert den Zustand der deutschen Wissenschaft und der beruflichen Bildung. Den Elitewettbewerb für die Unis wollen sie fortsetzen - und die duale Ausbildung stärken.
Was in Deutschland in den vergangenen Jahren in Bildung und Wissenschaft erreicht wurde, sieht die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) gefährdet. Im Auftrag der Bundesregierung haben sechs Wirtschaftswissenschaftler unter dem Vorsitz von Dietmar Harhoff, Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München, am Mittwoch unter anderem Empfehlungen zur Zukunft des Wissenschaftssystems und der beruflichen Bildung abgegeben. Dringend geboten sei die Kritik, weil der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien insbesondere für die Wissenschaft „vieles nicht geregelt“ habe, sagte Harhoff.
Zukunft des Wissenschaftssystems
Die Experten fordern eine Fortsetzung der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder, die 2017 ausläuft. Die Kür der Eliteuniversitäten habe entscheidend dazu beigetragen, die internationale Sichtbarkeit ausgewählter Universitäten zu erhöhen. Neben Ideen zur Weiterentwicklung der Unis – die bisherigen Zukunftskonzepte – solle in dem Wettbewerb auch ihre aktuelle wissenschaftliche Leistungsfähigkeit bewertet werden. Anders als im alten Elitewettbewerb müssten die Unis künftig „deutlich über fünf Jahre“ gefördert werden.
Den Wettbewerb um die Förderung von Graduiertenschulen und Exzellenzclustern, die bisher Teil der Exzellenzinitiative sind und ausschlaggebend für das Elitesiegel, will die Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft übertragen. Das hatte bereits der Wissenschaftsrat 2013 in seinen Empfehlungen zur Zukunft der Wissenschaft vorgeschlagen, der jedoch die Förderung der Zukunftskonzepte abschaffen wollte.
Die Programmkostenpauschale von derzeit 20 Prozent, die DFG und auch das Bundesforschungsministerium den Hochschulen für Drittmittelprojekte gewähren, soll „sukzessive erhöht“ werden – bis zu einer Vollkostenfinanzierung, heißt es im EFI-Gutachten. Die Unis klagen, dass sie Zusatzkosten von Forschungsprojekten derzeit zu großen Teilen aus ihren Grundmitteln zahlen müssen.
Die übrigen „Pakte“, die in den kommenden Jahren auslaufen, darunter der Hochschulpakt zur Schaffung zusätzlicher Studienanfängerplätze und der Qualitätspakt Lehre, wollen die Wirtschaftswissenschaftler nicht durch „neue, kleinteilige Instrumente“ ersetzt sehen. Vielmehr solle die Grundfinanzierung der Hochschulen generell gestärkt werden. Bund und Länder müssten sich darauf einigen, Artikel 91 b des Grundgesetzes zu ändern, damit der Bund die Hochschulen wieder institutionell fördern kann. Dies dürfe nicht – wie von der SPD im Bund gefordert – von der Aufhebung des Kooperationsverbots auch für die Schulen abhängig gemacht werden. Wie viel frisches Geld die Hochschulen brauchen, sagen die Gutachter nicht.
Grundsätzliches fordern sie auch für die Lehre an den Hochschulen. Damit die international zu hohe Lehrverpflichtung von Professoren gesenkt und gleichzeitig der Betreuungsschlüssel von Lehrenden zu Studierenden verbessert werden kann, müssten die Curricularnormwerte (CNW) erhöht werden. Diese legen in den geltenden Kapazitätsverordnungen der Länder den Lehraufwand für die Ausbildung eines Studierenden gemessen in Deputatsstunden der Professoren fest.
Internationale Mobilität
Der Exzellenzwettbewerb hat das deutsche Forschungssystem für ausländische Wissenschaftler und für deutsche, die ins Ausland gegangen sind, zwar attraktiver gemacht. Doch um mehr internationale Spitzenwissenschaftler und auch „patentaktive Erfinder“ nach Deutschland zu holen oder zurückzugewinnen, müsse noch viel geschehen, heißt es. Die Schwäche der bestehenden Programme, darunter das Heisenberg- und das Emmy-Noether-Programm und Förderaktivitäten in der Exzellenzinitiative sei, dass sie „die Besten“ nicht dauerhaft im Land halten könnten. Forscher, die nach dem Ende der Förderung wieder ins Ausland gingen, kritisierten vor allem „unzureichende Karrierechancen und eine nicht zufriedenstellende Entlohnung in Deutschland“.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und auch die Grünen im Bundestag forderten planbare Karrierewege für Nachwuchswissenschaftler und eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Jürgen Mlynek, warf der EFI-Kommission dagegen vor, ein verzerrtes Bild zu zeichnen und mit inaktuellen Zahlen zu arbeiten. Es gelinge immer besser, Spitzenforscher zu gewinnen und zu halten. Tatsächlich reichen die EFI-Daten nur bis 2010/11, positive Effekte aus den Exzellenzprojekten habe man nicht berücksichtigen können, gab Harhoff zu.
Studium und duale Berufsausbildung
Die zunehmende Akademisierung erzeuge einen „unaufhaltsamen Sog weg von der dualen Berufsausbildung“, beklagen die Gutachter. Der Prozess sei kaum aufzuhalten, wenn alles an die Hochschulen dränge und sich die Reputation der dualen Ausbildung verschlechtere. „Immer weniger Jugendliche wollen im beruflichen System ,zurückbleiben’.“ Dabei gründe sich die Stärke der deutschen Industrie auf beide Säulen: hier die „hervorragend ausgebildeten Facharbeiter“, dort die hochqualifizierten Ingenieure.
Nachdem der Anteil der Studienanfänger den der Anfänger in der Berufsausbildung eingeholt hat (siehe Grafik), werde das Verhältnis bald angesichts schrumpfender Schülerzahlen kippen. Denn der politisch geförderte Trend zur Hochschulausbildung lasse die Zahl der Studienanfänger weiter steigen. Dass dies weiterhin von der OECD gefordert wird, halten die Wirtschaftswissenschaftler für verfehlt.
Statistiken, nach denen Hochschulabsolventen bessere Jobchancen und höhere Gehälter als beruflich Gebildete hätten, widersprechen sie. Das treffe nur auf das obere Drittel der besten Hochschulabsolventen zu, im mittleren und unteren Drittel seien die Aussichten mit einem akademischen Abschluss gleich oder schlechter als mit einer Ausbildung. Die Gutachter empfehlen, mit den Aufstiegschancen auch für beruflich Gebildete zu werben, Fortbildungen und den Übergang an die Hochschule zu erleichtern.
Wenn immer mehr Schüler an die weiterführenden Schulen und Hochschulen drängten, drohe zudem ein Leistungsverfall. Um gegenzusteuern, fordern die Wirtschaftswissenschaftler, dass die Finanzierung von Schulen und Hochschulen vom Kriterium der Schüler- und Studierendenzahlen auf Qualität und nachgewiesene Lernzuwächse umgestellt wird.
In der Verteidigung der dualen Berufsausbildung gehen die Gutachter so weit, die Abschaffung der Hauptschule zu bedauern. Eine neue Studie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) zeigt allerdings, dass Hauptschüler zunehmend schwerer in aussichtsreiche Berufe finden. Sie scheiterten meist an den Auswahlverfahren der Betriebe, schreibt WZB-Mitarbeiterin Paula Protsch. Diese hätten die Voraussetzungen unabhängig von steigenden beruflichen Anforderungen angehoben, diskriminierten Hauptschüler als „weniger ausbildungsfähig“. Stattdessen sollten sie etwa sozialpädagogisch begleitete Langzeitpraktika als Einstieg anbieten, um die Potenziale der Jugendlichen zu fördern. Die EFI-Gutachter empfehlen für „schwierige Jugendliche“ unter anderem „unterstützende Maßnahmen beim Übergang in die Ausbildung“.
Hilfen für die Hochschulmedizin
Keiner der großen deutschen Standorte für Hochschulmedizin nimmt im internationalen Vergleich eine Spitzenposition ein. Das geht aus einem Ranking unter Uniklinika in Deutschland, den Niederlanden, Kanada, der Schweiz und den USA hervor, das die Expertenkommission beim Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Auftrag gegeben hat.
Die Berliner Charité und die Häuser in Hannover, Heidelberg und München seien zwar „konkurrenzfähig“, lägen aber bei Kriterien wie der Publikationsstärke, der Exzellenzrate der Publikationen und der medizinischen Patentanmeldungen nur im Mittelfeld. Führend sind US-amerikanische Zentren, allen voran Boston/Cambridge. Eine Begründung für das mittelmäßige Abschneiden der deutschen Hochschulmedizin sei, dass Publikationen in US-Zeitschriften am häufigsten zu den Top 10 der am meisten zitierten Schriften weltweit gehörten. Und für amerikanische Autoren sei es noch immer leichter in US-Zeitschriften zu publizieren als für Autoren aus anderen Ländern.
Helfen würde den deutschen Uniklinika ein finanzieller Ausgleich für ihre starke Belastung durch Patienten, die extreme Kosten verursachen, und durch die Medizinerausbildung, heißt es. Außerdem sollten medizinische Forschungsstandorte regional konzentriert werden.
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