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Nicht jede Zecke trägt auch Borrelien in ihrem Bauch. Zudem müssen sie lange saugen, damit die Bakterien auf den Menschen übertragen werden.
© picture alliance / dpa

Risiko durch Zeckenstiche: Experten erklären, wie Borreliose übertragen wird und wann man behandeln muss

Wer derzeit die Natur durchstreift, muss mit Zeckenstichen rechnen – und mit einer bakteriellen Infektion. Ist jetzt besondere Vorsicht geboten?

Zecken können Krankheiten übertragen. Wer im Frühjahr und Sommer in der Natur unterwegs ist, muss bundesweit mit einem Zeckenstich rechnen – und mit der Möglichkeit einer Infektion. Borreliose ist die häufigste durch Zecken übertragene Erkrankung. Anlass zur Panik sollte ein Zeckenstich aber nicht geben: Das Risiko einer Borrelien-Infektion ist gering und ein Großteil der Erkrankungen ist problemlos zu behandeln. Vor allem eine unerkannte Borrelien-Infektion kann allerdings ernsthafte und länger anhaltende Probleme verursachen – und die Ärzte bei der Diagnose manchmal vor Herausforderungen stellen.

Schätzungen zufolge infizieren sich in Deutschland jährlich 60.000 bis 200.000 Menschen über einen Zeckenstich mit Borreliose. Zum Vergleich: Von der vor allem in Süddeutschland verbreiteten Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) registrierte das Robert Koch-Institut (RKI) 2017 rund 500 Erkrankungen. Sie kann nach Übelkeit und Fieber zu einer Hirnhaut- oder gar Hirnentzündung führen. Weitere von Zecken übertragene Krankheiten wie die Humane Granulozytäre Anaplasmose, die Babesiose oder verschiedene Rickettsiosen wurden laut RKI bislang in Deutschland nicht oder nur selten beobachtet.

Nur einer von hundert Gestochenen erkrankt

Die Erreger der Borreliose können unter anderem das Nervensystem, Gelenke und die Haut befallen, sehr selten auch das Herz. Die Erkrankung wird durch verschiedene Arten von Borrelien-Bakterien verursacht, die im Darm der Zecke vorkommen können. Beginnt die Zecke Blut zu saugen, wandern die Borrelien in ihre Speicheldrüsen und können dann mit dem Speichel auf den Gestochenen übertragen werden. Bis es dazu kommt, vergehen allerdings mehrere Stunden. Deswegen kann eine rasche Entfernung der Zecke eine Infektion verhindern.

Wichtig zu wissen ist auch: Nur ein kleiner Teil der Zecken enthält überhaupt Borrelien, das ist unter anderem vom Entwicklungsstadium der Tiere abhängig und regional verschieden. "Bei den Larven ist es etwa 1 Prozent, bei den Nymphen sind es zehn und bei den erwachsenen Tieren 20 Prozent", sagt Volker Fingerle vom Nationalen Referenzzentrum für Borrelien in Oberschleißheim.

Hinzu kommt, dass längst nicht bei jedem Stich einer infizierten Zecke die Erreger auch auf den Menschen übertragen werden. Und nicht jede Übertragung der Erreger macht den Gestochenen krank. Nach Angaben des RKI ist bei 0,3 bis 1,4 Prozent der Zeckenstiche später mit einer klinisch feststellbaren Erkrankung zu rechnen. In den meisten Fällen verläuft eine Infektion ohne Krankheitssymptome, der Körper beseitigt die Erreger.

Bislang ist weitgehend unklar, warum die Borrelien nicht immer auf den Menschen übergehen und eine Erkrankung hervorrufen – und wen es gegebenenfalls trifft. Welche Art von Borrelie in einer Zecke schlummert, das Immunsystem des Wirtes und seine gegenwärtige Abwehrkraft gehören zu den Faktoren, die das Infektionsrisiko beeinflussen. "Biologisch ist das alles ein sehr komplexer Vorgang, der bisher nur unzureichend verstanden ist", sagt Fingerle.

Mit einer kreisrunden Rötung fängt es an

Was ist nun aber, wenn es doch zu einer feststellbaren Infektion kommt? In etwa 80 bis 90 Prozent der Fälle zeigt sich das an der Haut: Um die Einstichstelle herum tritt eine Rötung auf, das Erythema migrans. Es wird auch Wanderröte genannt, weil es sich langsam nach außen ausbreitet. Manchmal kommen grippeähnliche Symptome hinzu, wie Muskel- und Gelenkschmerzen oder Fieber. Wer nach einem Zeckenstich solche Symptome feststellt, sollte zum Arzt gehen, der die Infektion dann abklären und mit Antibiotika behandeln kann.

Bei etwa zehn Prozent der Infektionen kommt es zum Befall des Nervensystems. Fachleute sprechen dann von einer frühen Neuroborreliose. "Dabei kann es aufgrund der Entzündung der Gesichtsnerven zu einer Gesichtslähmung kommen", erklärt Sebastian Rauer vom Universitätsklinikum Freiburg. Häufig sind auch die Spinalnerven des Rückenmarks betroffen. Das verursacht dann teils heftige, brennende und stechende Schmerzen, die gürtelförmig verlaufen. "Sie treten vor allem nachts auf und sprechen auf Schmerzmittel kaum an." Im weiteren Verlauf kann es zu Lähmungen an Beinen und Armen kommen.

"Auch diese Form der Erkrankung ist mit einer zwei- bis dreiwöchigen Antibiotika-Therapie gut zu behandeln", sagt Rauer. Es komme zu einer raschen Linderung der Beschwerden, die Erkrankung heile in den allermeisten Fällen folgenlos aus.

In sehr seltenen Fällen – wenn die Infektion für lange Zeit übersehen wird – kann es zu einer späten Neuroborreliose kommen. Die Bakterien befallen das Rückenmark und das Gehirn, es kommt zu Lähmungen und Blasenstörungen. Auch dieses Stadium der Erkrankung ist mit Antibiotika zu behandeln. "In diesem Fall heißt das, dass man die Krankheit zumindest stoppen und ein weiteres Fortschreiten verhindern kann, wenngleich bei dieser Manifestationsform häufig Beschwerden persistieren", sagt Rauer. "Wir sprechen dann von einer Defektheilung."

Auch bei Rückenschmerzen an Borreliose denken

Schwierigkeiten bereitet gelegentlich die Diagnose der Erkrankung, "obwohl sie eigentlich allein aufgrund der Symptome möglich ist", sagt Rauer. Es könne aber passieren, dass Patient oder Arzt aufgrund der Beschwerden zunächst an andere Erkrankungen denken. Die Rückenschmerzen könnten etwa auf einen eingeklemmten Nerv hinweisen und dann eine orthopädische – und in dem Fall wirkungslose – Therapie nach sich ziehen.

Bei Verdacht auf eine Neuroborreliose kann eine Labordiagnose die Vermutung bestätigen. Im Blutserum und im Nervenwasser lassen sich im Falle einer Infektion Antikörper feststellen – allerdings sind die erst mit einigem Abstand zum Infektionsbeginn zu finden. Keine Antikörper heißt deshalb zumindest im Anfangsstadium der Erkrankung nicht zwingend: keine Borreliose. Andersherum können Antikörper zu finden sein, obwohl keine akute Erkrankung vorliegt. Etwa wenn eine Infektion bereits überstanden wurde, vielleicht schon vor vielen Jahren. Auch der Nachweis von bestimmten Entzündungsbotenstoffen kann die Diagnose stützen.

Der Experte für Neuroborreliose beklagt seit Jahren, dass manche Ärzte mit dem Verdacht auf Neuroborreliose zu häufig und zu lange Antibiotika verschreiben. Dass Problem ist zum einen, dass es eben keinen Labortest gibt, der allein eine akute Neuroborreliose sicher diagnostizieren kann. "Die Laboruntersuchungen sind deshalb nur ein Baustein der Diagnose", sagt Rauer. Sie müssten mit den klinischen Beschwerden zusammen beurteilt werden.

Zum anderen würden in Patientenforen und auch von manchen Ärzten eine vermeintliche chronische Neuroborreliose für zahlreiche, unspezifische Gesundheitsprobleme verantwortlich gemacht, etwa Konzentrationsstörungen, chronische Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Gelenk- und Muskelschmerzen – "Allerweltssymptome", wie Rauer sagt. Demzufolge könne der Erreger der Neuroborreliose mit der standardmäßigen Antibiotika-Behandlung nicht beseitigt werden. "Es gibt Evidenz-Studien, die beweisen, dass das nicht stimmt", betont Rauer.

Antibiotika für eine Erkrankung, die es nicht gibt

Dennoch erhalten diese Patienten laut Rauer manchmal sogar monatelange Antibiotika-Therapien. Die Übertherapien brächten nicht nur keinen Nutzen, sie könnten vielmehr selbst ernsthafte Gesundheitsschäden nach sich ziehen. Einige Labortests, die angeboten würden und eine Infektion nachweisen sollen, seien wissenschaftlich nicht ausreichend geprüft und lieferten teils falsche Befunde. Menschen mit chronischen Gesundheitsbeschwerden bräuchten eine richtige Diagnose – und keine unangebrachte Antibiotika-Therapie.

Unscharf abgegrenzt, häufig auch synonym verwendet würde der Begriff Post-Treatment-Lyme-Disease-Syndrom (PTLDS) für chronische Beschwerden nach einer behandelten Borreliose oder Neuroborreliose. In den aktuellen Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie zu Neuroborreliose, die unter Leitung von Rauer erstellt wurde, sieht die Mehrheit der zitierten Studienautoren keine Hinweise darauf, dass chronische Neuroborreliose oder PTLDS als eigenständige Krankheitsbilder existieren. Die Fachleute raten deshalb von einer Antibiotika-Behandlung ab, vielmehr sollte eine sorgfältige Suche nach den Ursachen der Beschwerden erfolgen.

Auch Volker Fingerle vom Referenzzentrum für Borrelien ist der Ansicht, dass Borreliose häufig als Diagnose für andere Erkrankungen herhalten muss. "Viele Menschen fehlinterpretierten ihre Symptome." Die Diagnose könne im Einzelfall knifflig sein, es gebe extrem schwierig zu beurteilende Fälle. "Aber die sind selten."

Klimawandel versus Mikroklima

Ob das Risiko, von einer Zecke gestochen zu werden – und damit auch an Borreliose zu erkranken – mit dem Klimawandel der vergangenen Jahre größer geworden ist, lässt sich nicht so leicht feststellen. "Um das sagen zu können, bräuchte man wiederholte Studien am gleichen Ort. Die gibt es nur vereinzelt", sagt Fingerle. Und auch die Aussagekraft solcher Studien sei begrenzt, weil sich das Vorkommen der Zecken auch am gleichen Ort innerhalb von Stunden ändern kann, etwa in Abhängigkeit vom Mikroklima. Eine generelle Meldepflicht für Borreliose, anhand derer man eine Zu- oder Abnahme der Fälle festmachen könnte, gibt es nicht.

Fingerle vermutet, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten die Freizeitaktivitäten verändert haben, Menschen verbrächten einfach mehr Zeit im Freien. Damit steige auch das Risiko, sich eine Zecke zuzuziehen. Hinzu kommt: Früher sei ein Zeckenstich keine große Sache gewesen, die Zecke sei entfernt worden und nicht weiter darüber gesprochen worden. Heute gebe es eine erhöhte Aufmerksamkeit für das Thema – nicht immer sei das von Vorteil: "Eine erhöhte Aufmerksamkeit macht auch Angst." (dpa)

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