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Buntbarsch
© dpa

Wissen: Evolution im Zeitraffer

Buntbarsche zeigen, wie schnell sich einzelne Arten herausbilden können. Forscher suchen gezielt in abgelegenen Gewässern.

Beim Vergleich mit Charles Darwin ist Axel Meyer von der Universität Konstanz klar im Vorteil. Und das nicht nur, weil ihm 150 Jahre nach der Entdeckung der Evolutionstheorie viel bessere und genauere Methoden als in der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Verfügung stehen. Sein Hauptvorteil liegt in der Vielfalt. Darwin kannte während der Arbeiten an seiner Evolutionstheorie zum Beispiel einen Vogel, der auf den Galapagos-Inseln 14 verschiedene Arten hervor gebracht hatte, die heute Darwin-Finken genannt werden. Meyer dagegen untersucht mit den 2500 bis 3000 Arten der Buntbarsche die vermutlich artenreichste Familie der Wirbeltiere. In dieser Vielfalt finden sich viel leichter Beispiele, mit denen der Forscher der Evolution sozusagen über die Schulter schauen kann.

Mit der Evolutionsbiologie fing Meyer während seiner Doktorarbeit in den USA eher zufällig an. Um die Anpassungsfähigkeit der Buntbarsche zu untersuchen, gab er ihnen unterschiedliches Futter. Die Fische änderten nicht nur ihr Verhalten, sondern passten auch die Form von Zähnen und Kiefern an die jeweilige Nahrung an. Das ist ungewöhnlich, legen doch normalerweise die Erbanlagen den Körperbau nahezu unwiderruflich fest: Auch wenn ein menschlicher Schwimmer Tag und Nacht trainiert, werden ihm keine Schwimmhäute zwischen Zehen und Fingern wachsen.

Biologen unterscheiden verschiedene Arten daher gern mithilfe typischer Merkmale im Körperbau. Wenn Buntbarsche aber im Laufe des Lebens ihren Körperbau an die Umwelt anpassen, könnte es leicht sein, dass es viel weniger als knapp 3000 Buntbarscharten gibt. Ohnehin hat diese extreme Artenvielfalt Biologen schon lange verwirrt, haben sie doch zum Beispiel in den Gewässern Europas ganze 220 Fischarten gezählt.

Ein Blick ins Erbgut der Buntbarsche kann also helfen, ihre Vielfalt zu erklären. Als Postdoc nahm Axel Meyer daher in der Gruppe von Allan Wilson an der Universität von Kalifornien in Berkeley die Erbsubstanz DNS genauer unter die Lupe. Das entpuppte sich zunächst als reichlich frustrierend. Er fand in bald 100 Buntbarscharten weniger Unterschiede zwischen dem Erbgut als eine Kollegin in der DNS verschiedener Menschen, die bekanntlich nur eine Art bilden. Sollte also die bunte Vielfalt der Buntbarsche zu einer einzigen Art gehören?

Allan Wilson hat die zündende Idee: Unterschiede im Erbgut häufen sich ja erst im Laufe sehr langer Zeiträume an. Je größer die Unterschiede zwischen zwei Arten sind, umso länger gehen sie bereits getrennte Wege, lautet eine grobe Faustregel der Evolutionsbiologie. Daher könnte die geringe Zahl der Unterschiede bedeuten, dass viele Buntbarscharten erst in jüngerer Zeit entstanden waren. Meyer bestätigt diese Überlegung mithilfe des Victoriasees in Afrika. Dieses Gewässer ist mit einem Alter von rund einer halben Million Jahren relativ jung. In dieser Zeit aber haben sich dort 500 Buntbarscharten entwickelt, im Durchschnitt entstand also in jedem Jahrtausend eine neue Spezies. „Das ist Evolution im Zeitraffer, ein absoluter Weltrekord in der Geschwindigkeit der Artbildung“, sagt der Forscher.

Allerdings spielt die Zeit allein offensichtlich nicht die entscheidende Rolle für die Evolution der Barsche. Mit dem Tanganjika- und dem Malawisee gibt es in Ostafrika noch zwei weitere Gewässer, die jeweils eine ähnliche Größe haben und in denen Hunderte von Buntbarscharten leben. Mit gut zehn Millionen Jahren ist der Tanganjikasee zwar der Methusalem dieser Gewässer, trotzdem ist die Buntbarsch-Vielfalt dort mit rund 300 Spezies die geringste in den drei Seen. Das Alter des Malawisees liegt mit zwei bis vier Millionen Jahren genau zwischen den beiden anderen Gewässern. Mit 800 bis 1000 Arten aber ist dort Vielfalt am größten.

Um grundlegende Mechanismen aufzudecken, untersuchen Naturwissenschaftler möglichst einfache Systeme. Meyer fand ein solches Minimalsystem in den Vulkanregionen Nicaraguas. Dort gibt es einen Kratersee, der 8000 Jahre alt ist und in dem mehrere Buntbarscharten leben. Ein Teil dieser Fische hat goldglänzende Schuppen, während zahlreiche andere schwarz-weiß gestreift sind. Wie alle Buntbarsche haben auch die Kraterfische einen ausgeprägten Sinn fürs Familienleben: Zumindest eine Saison, möglicherweise auch ein Leben lang bleiben Weibchen und Männchen in festen Paaren zusammen. Solche Familie gründen fast immer nur zwei Fische der gleichen Schuppenfarbe, Mischehen gibt es so gut wie nie.

Noch gelten die goldfarbenen und gestreiften Kraterfische als eine Art. Seit Meyer und seine Mitarbeiter im Erbgut dieser Buntbarsche „Mikrosatelliten“ untersuchten, wackelt diese Annahme. Damit werden mehrfache Wiederholungen kurzer Erbgutabschnitte bezeichnet, die man sich als ein „Stottern“ der Buchstabenfolge vorstellen kann. Bestimmte Mikrosatelliten kommen bei den goldfarbenen Fischen häufiger vor, andere treten bei den gestreiften vermehrt auf. „Nach diesen DNS-Analysen handelt es sich um zwei Arten“, erklärt der Evolutionsbiologe, der diese Ergebnisse bald veröffentlichen will.

Genau wie Theoretiker sich das vorstellen, hat also die Vorliebe der Buntbarsche für Partner mit der gleichen Schuppenfarbe in höchstens 8000 Jahren aus einer Art zwei entstehen lassen.

Aber wie kommen die Tiere überhaupt in diese Kraterseen, von denen in Nicaragua einige existieren? Wenn sich nach dem Erlöschen eines Vulkans erstmals Niederschläge im Krater sammeln, regnet es schließlich keine Fische. Vielleicht doch.

Hurrikane oder andere Extremwinde können schließlich nicht nur größere Wassermengen, sondern auch Fische in die Luft reißen. Meist regnen die Tiere an Land wieder aus den Sturmwolken und verenden. Im Jahr 2006 ging zum Beispiel im indischen Bundesstaat Kerala ein solcher Fischschauer nieder. Hurrikane treffen Nicaragua recht häufig und könnten Buntbarsche aus dem Managua- oder Nicaraguasee zufällig in einen der vielen Kraterseen abladen. „Manchmal würgen auch Seeadler, Reiher oder Pelikane lebende Fische wieder aus oder lassen sie fallen“, erläutert Meyer eine weitere Möglichkeit.

Da es sehr unwahrscheinlich ist, dass durch einen solchen Zufall gleich zwei verschiedene Fischarten in einen Kratersee gelangen und sich vermehren, stammen die Buntbarsche in den Seen Nicaraguas wohl jeweils von einer Ur-Art ab. Im Erbgut lässt sich das auch beweisen. „Die ersten Fische in den Kraterseen suchten wohl meist zwischen den Steinen am Rand des Sees ihre Nahrung“, erklärt Meyer. Einige Fische aber wagten sich auch ins freie Wasser. Dort bietet ein schlanker Körper Überlebensvorteile, weil solche Fische im offenen Wasser schneller schwimmen. Vermutlich suchen sie auch ihren Partner in der neuen Heimat. Die Wahrscheinlichkeit ist daher groß, dass sich zwei besonders schlanke Buntbarsche finden. Deren Nachfahren dürften sich ähnlich verhalten – und schließlich bildet sich eine neue Art.

In einem anderen, gerade einmal 2000 Jahre alten Kratersee in Nicaragua schaut Meyer der Evolution dabei tatsächlich über die Schulter. „Vor 120 bis 180 Jahren war dieser Vulkan noch einmal aktiv und hat das Leben im See vermutlich gekocht“, sagt er. Nach zwei Stunden im Geländewagen und einem langen, mühsamen Fußmarsch erreichen die Biologen den See. Sehr viel einfacher ist die Evolutionsforschung seit der Reise von Darwin auf der „Beagle“ also nicht geworden. Obwohl sich die Buntbarsche in dem abgelegenen See erst seit 100 Jahren und damit genauso vielen Generationen vermehren, gibt es bereits Fische mit und ohne Lippen – eine Anpassung an unterschiedliche Nahrung.

Auch wenn erste Erbgutanalysen im Labor noch keine Unterschiede zwischen den Buntbarschen mit und ohne Lippen zeigen, ist sich der Evolutionsbiologe sicher, dass hier gerade aus einer Art zwei neue entstehen. Von einer solchen „Evolution im Zeitraffer“ hätte Charles Darwin wohl nicht einmal zu träumen gewagt.

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