Sterbehilfe: Euthanasie wird mehr und mehr akzeptiert
In Europa und Amerika wird die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung zunehmend gesetzlich verankert. Aber Deutschland geht auf Gegenkurs.
Die Tötung auf Verlangen oder die Beihilfe zum Suizid (Selbsttötung) gehören zu jenen Formen der Sterbehilfe, die in den meisten Ländern Europas und Nordamerikas verboten sind. Doch gibt es einen Trend zur Legalisierung, wie ein internationales Wissenschaftlerteam im Mediziner-Fachblatt „Jama“ berichtet. Insbesondere in Westeuropa wächst die öffentliche Zustimmung zur Sterbehilfe, während sie in den USA konstant ist und in Mittel- und Osteuropa eher abnimmt.
Bei der Tötung auf Verlangen, auch Euthanasie genannt, wird dem Sterbewilligen ein tödliches Mittel verabreicht. Bei der Beihilfe zur Selbsttötung hat der Helfende dem Patient ein solches Mittel zwar verschafft, dieser nimmt es jedoch selbst ein.
Als passive Sterbehilfe werden dagegen Maßnahmen bezeichnet, die lediglich das Sterben erleichtern, indem etwa sinnlos gewordene lebensverlängernde Maßnahmen wie Beatmung und künstliche Ernährung beendet werden und auf Wiederbelebung verzichtet wird.
Vorreiter der Sterbehilfe war die Schweiz. Dort ist der ärztlich assistierte Suizid seit 1942 möglich. Eine ähnliche Regelung gilt für fünf US-Bundesstaaten. 1997 machte Oregon den Anfang, es folgten Washington, Montana, Vermont und schließlich 2015 mit Kalifornien der bevölkerungsreichste Staat der USA. Sowohl assistierter Suizid als auch Euthanasie sind in den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Kanada und Kolumbien erlaubt.
Für einen "Dammbruch" gibt es keine Indizien
Wie sehr diese Formen von Sterbehilfe in Anspruch genommen, schwankt stark von Land zu Land. Die Quote liegt zwischen 0,3 Prozent aller Todesfälle (Oregon) und 4,6 Prozent (Belgien). Nach der Legalisierung steigt die Zahl der Prozeduren. Für den von Kritikern häufig prophezeiten Dammbruch, also eine missbräuchliche Ausweitung, sehen die Autoren der Studie jedoch keine Anhaltspunkte. Die Zahl der Minderjährigen oder Dementen, bei denen Sterbehilfe angewandt werde, erscheine sehr gering.
Mehr als 70 Prozent der Sterbehilfe-Patienten sind an Krebs erkrankt, ergab die Untersuchung. In den USA leiden zudem 15 Prozent der Sterbewilligen an einer schweren Nervenkrankheit, meist der mit völliger Lähmung einhergehenden amyotrophen Lateralsklerose.
In der Regel sind die Sterbehilfe-Patienten älter, weiß und gut gebildet. Nicht Schmerzen seien das Hauptmotiv der Betroffenen, sondern der Verlust an Lebensfreude und die Angst, nicht mehr selbstständig sein zu können. Häufig sind die Kranken in einem Hospiz oder werden palliativmedizinisch betreut.
Je nach Land sind juristisch bestimmte Vorsichtsmaßnahmen vorgeschrieben, um Missbrauch oder übereilte Entscheidungen zu verhindern. Da die Patienten nicht selten depressiv sind, sei auch eine Beratung mit dem Psychiater sinnvoll. Während dieser in Belgien und den Niederlanden meist konsultiert werde, ist das in den US-Bundesstaaten Oregon und Washington jedoch nur selten der Fall, kritisieren die Forscher um den Medizinethiker Ezekiel Emanuel von der Universität Pennsylvania in Philadelphia.
Die Wissenschaftler kritisieren, dass es allgemein zu wenig verlässliche Informationen über medizinische Maßnahmen am Lebensende gibt. Das betreffe nicht nur die Länder, in denen die aktive Sterbehilfe erlaubt ist.
Auch bei der Sterbehilfe gibt es Komplikationen
Medizinische Maßnahmen, die den Tod des Kranken herbeiführen sollen, können ebenso wie therapeutische Eingriffe zu Komplikationen führen. Medikamente können wieder hochgewürgt werden oder das Sterben kann sich sehr lange hinziehen. In der Regel sind es hochdosierte Schlafmittel aus der Gruppe der Barbiturate, die das Sterben herbeiführen.
Nach einer Untersuchung aus Oregon tritt der Tod im Mittel nach 25 Minuten ein, kann sich jedoch auch auf bis zu 104 Stunden, also mehr als vier Tage, ausdehnen. Und nach einer holländischen Studie treten beim ärztlich assistierten Suizid mehr Probleme als bei der Euthanasie auf. So haben beim assistierten Suizid bis zu zehn Prozent der Patienten Probleme, das Medikament zu schlucken oder bei sich zu behalten.
Wie stehen Ärzte zur Sterbehilfe? Soweit sich das nach Umfragen einschätzen lässt, ist ihre Zustimmung geringer verbreitet als in der Allgemeinbevölkerung. Nach einer Erhebung der Mediziner-Webseite „Medscape“ haben 54 Prozent der amerikanischen Ärzte nichts gegen Euthanasie und Beihilfe zum Suizid einzuwenden. Deutsche und britische Ärzte sind etwas skeptischer (47 Prozent Zustimmung). Sehr viel positiver sehen niederländische und belgische Mediziner die Sterbehilfe. Jeweils mehr als 80 Prozent könnte sich vorstellen, sie selbst zu praktizieren.
Ärztetag und Bundestag votierten gegen Sterbehilfe
In Deutschland wurde entgegen dem internationalen Trend die Sterbehilfe eingeschränkt. 2011 beschloss der Bundesärztetag in Kiel, Ärzten die Beihilfe zum Suizid zu verbieten. Allerdings folgten längst nicht alle der für die Durchsetzung maßgeblichen Landesärztekammern dieser Verbotsforderung in vollem Umfang, auch Berlin nicht.
Am 6. November 2015 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das die „geschäftsmäßige“ Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt. „Geschäftsmäßig“ heißt „wiederholt tätig“. Damit zielt das Gesetz auf kommerziell tätige Sterbehilfe-Vereine. Ihnen wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe gedroht. Doch ist es Auslegungssache, ob nicht auch Ärzte, die Patienten in ihrem Sterben begleiten, unter die Rubrik „geschäftsmäßig“ fallen, weil auch sie „wiederholt tätig“ sein können. Ob das Bundesverfassungsgericht das Gesetz kippen wird, ist noch offen.