Deutsche Geschichte: Europäerin, Ikone der Linken, Märtyrerin der Revolution
Vor 150 Jahren, am 5. März 1871, wurde Rosa Luxemburg geboren.
Was bleibt von Rosa Luxemburg im Gedächtnis? Und: Wie wurde sie zu dem, was von ihr bleibt? Ein Zitat, „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“, eigentlich nur ein Halbsatz, im Gefängnis an den Rand eines Manuskripts notiert. Ihr Tod als Märtyrerin der kommunistischen Revolution, von Mitgliedern einer Reichswehreinheit erschossen und in den Berliner Landwehrkanal geworfen.
Turbulent und ambivalent
Geboren vor 150 Jahren als „Rozalia Luksenburg“ im russisch besetzten Polen als Tochter eines Holzhändlers, wurde sie zuerst polnische Sozialdemokratin, dann europäische Intellektuelle und Revolutionärin, schließlich eine Ikone der deutschen Linken: Ihr Leben und Denken waren turbulent und ambivalent genug, um nie vollständig vereinnahmt und nie vollständig vergessen zu werden.
Jürgen Kocka, Sozialhistoriker und emeritierter Professor der Freien Universität Berlin für die Geschichte der industrialisierten Welt, sieht in Luxemburgs „vielschichtiger, eindrucksvoller, teilweise auch bewundernswerter Persönlichkeit“ einen der Gründe für ihren Status als Ikone der politischen Linken. Sie sei gebildet gewesen, „polyglott, gleichzeitig eine politische Aktivistin mit Durchsetzungskraft und eine charismatische Rednerin“. Sie habe allerhand Hürden zu überwinden gehabt, um sich durchzusetzen: als Frau, als Jüdin, als aus Russisch-Polen gebürtige Aktivistin, die in Deutschland die „Praxis der politischen Agitatorin und Journalistin, der Politikerin ohne Amt und ohne Mandat“ verband mit der theoretischen Arbeit, als Wissenschaftlerin und Denkerin, deren Schriften zur Akkumulation des Kapitals und zum Imperialismus heute noch bedenkenswert seien.
Für drei Jahre ins Gefängnis
Luxemburg lebte in turbulenten Zeiten, alles änderte sich permanent, und so auch sie: Bis 1914 ist sie eine einflussreiche Sozialdemokratin im linken Flügel, dann entschiedene Kriegsgegnerin im Ersten Weltkrieg. Während die SPD für die Kriegskredite stimmt und die Gewerkschaften ein Streikverbot während des Krieges beschließen, wird Luxemburg verurteilt, weil sie in zwei Reden an die deutschen Proletarier appelliert, nicht auf ihre französischen Brüder zu schießen: „Aufforderung zum Ungehorsam gegen behördliche Anordnungen und Befehle“ heißt das vor Gericht. Dafür muss sie für ein Jahr ins Gefängnis. Drei Monate nach ihrer Entlassung wird sie erneut inhaftiert, insgesamt verbringt sie während des Krieges mehr als drei Jahre im Gefängnis.
1917, nach der Russischen Revolution, notiert sie in dem Manuskript den Halbsatz, der 100 Jahre später noch nachhallt. Sie begrüßt die Revolution der Bolschewiken, doch schreibt zugleich: „Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf … erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird zum Scheinleben.“ Und eben auch: „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.“
Hielt Revolution für notwendig
Zugleich wäre es falsch, würde man Rosa Luxemburg als Demokratin heutigen Zuschnitts darstellen, sagt Jürgen Kocka: „Sie war keine Liberale.“ Zwar kritisierte Luxemburg Lenin, als die Russische Revolution noch kein Jahr alt war. Sie hält aber die Revolution für notwendig, ebenso wenig hat sie ein Problem damit, dass Lenin sich über parlamentarische Mehrheiten hinwegsetzt. Aber sie widersetzt sich der Idee, dass eine Avantgarde, eine kleine Gruppe von Parteiführern, den Fortgang der Ereignisse entscheidet. Stattdessen sollen „die Massen“ selbst, vermittelt über die Räte, über ihr Schicksal bestimmen. Diese Kritik Rosa Luxemburgs am Leninismus blieb so lange beliebig reaktivierbar, wie sich die Machthaber des real existierenden Sozialismus auf Lenin beriefen.
Die Berufung auf die „Vernunft der Masse“, auf die radikaldemokratische Räterevolution, die Luxemburg auch gegen die Mehrheits-Sozialdemokratie unter Friedrich Ebert und gegen die Forderung nach allgemeinen gleichen Wahlen ins Spiel bringt, ist für Kocka aber auch einer ihrer verhängnisvollen Irrtümer: 1918 wird sie zu einer Anführerin in der deutschen November-Revolution und Mitgründerin der KPD.
Für Diktatur des Proletariats
Zu Beginn des Jahres 1919 tritt sie scharf gegen Reformen ein und eindeutig für die Diktatur des Proletariats; sie ist für einen Bürgerkrieg und für die internationale Mobilisierung der Arbeiterklasse. Luxemburg habe sich geirrt, sagt Kocka, dass sie die Rätedemokratie für demokratischer und tragfähiger hielt als den Parlamentarismus. Völlig unterschätzt habe sie die Wehrlosigkeit radikaldemokratischer Organisationen gegen deren Instrumentalisierung durch kleine Eliten, wie es in der Sowjetunion prompt geschah.
Zugleich sei klar: Rosa Luxemburg wurde ermordet, bevor sie ihre Positionen im Lichte der Ereignisse revidieren konnte. Schon ein Jahrzehnt später – mit dem Erstarken des Nationalsozialismus – hätte sie ihren Glauben an die „Vernunft der Massen“ möglicherweise anders bewertet.
Pepe Egger