Zu viel Eis am Nordpol: "Es herrscht Unsicherheit" auf der 'Polarstern'
Auf der einjährigen Expedition Mosaic verzögert dichtes Meereis den Personalwechsel an Bord des Forschungsschiffes. Nun wächst der Unmut an Bord.
Vielleicht hat man sich zu sehr darauf verlassen, dass in Zeiten des Klimawandels das Eis nahe dem Nordpol nicht mehr sehr dick werden sollte. Mitte Februar jedenfalls sollte die derzeitige Mannschaft an Bord des deutschen Forschungsschiffes «Polarstern» abgelöst werden. Per Eisbrecher-Besuch.
Doch jetzt stockt der Ablauf: Dichtes Meereis in der zentralen Arktis verzögert den Austausch um Wochen.
Der Versorgungseisbrecher «Kapitan Dranitsyn» kommt kaum vorwärts. «Die Stimmung an Bord der "Polarstern" ist sehr angespannt», sagt Fahrtleiter Professor Christian Haas.
«Es herrscht Unsicherheit, wie es weitergeht.» Die Kollegen seien enttäuscht, dass eine baldige Heimkehr nicht abzusehen sei.
Driften mit dem Eis
Die «Polarstern» ist derzeit auf einer einmaligen Expedition mit dem Namen «Mosaic» unterwegs: Ein Jahr driftet sie durch die zentrale Arktis, ohne eigenen Antrieb, angedockt an einer riesigen Eisscholle. Hundert Menschen, darunter vor allem Wissenschaftler, sind stets für zwei Monate an Bord. Ein Wechsel hatte Mitte Dezember bereits gut geklappt. Die Crew, die Weihnachten an Bord verbracht hat, soll jetzt eigentlich heimkehren.
Doch seit dieser Zeit ist das Meereis in der winterlichen Arktis stetig gewachsen, es ist bis zu 160 Zentimeter dick und durch stürmische Winde mit vielen dichten Presseisrücken versehen.
Offene und dünne Stellen sind rar. Die «Kapitan Dranitsyn» ist nur für Eisdicken bis maximal 1,50 Meter ausgelegt. Und so kämpft sie sich nur langsam voran - unter so hohem Energieverbrauch, dass der Treibstoff nicht für die Rückkehr nach Norwegen reichen wird.
In Erwägung gezogen wird nun, dass ein weiterer Eisbrecher der «Kapitan Dranitsyn» auf der Heimreise entgegenkommt und das Schiff unterwegs betankt.
Im Idealfall erreiche die «Kapitan Dranitsyn» die «Polarstern» in den nächsten Tagen, heißt es im Blog der Expedition unter Federführung des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI): «Allerdings sind die Wetter- und Eisbedingungen weiterhin widrig.»
"Vermessene" Erwartungen
Für Mosaic-Leiter Markus Rex, der auf dem ersten Fahrtabschnitt dabei war, liegen die Verzögerungen jedoch alle im Rahmen: «Wer Expeditionserfahrungen in den Polargebieten hat, der weiß, dass sich Prozesse immer verzögern können.» Rex rechnet damit, dass die «Kapitan Dranitsyn» bereits in den nächsten Tagen die Polarstern erreichen wird. «Sie ist nur noch 50 Seemeilen weg. Die kann man bald sehen.» In den letzten 24 Stunden sei sie gut vorangekommen.
Fahrtleiter Christian Haas sagt, dass jedem Teilnehmer bewusst gewesen sei, dass Verzögerungen passieren könnten. «Aber wir haben auf die logistischen Pläne vertraut und gehofft, dass es nicht passiert», sagt Haas. Nun stelle sich heraus, dass es vermessen gewesen sei, zu glauben, Mitte Februar mit einem konventionell betriebenen Schiff in die zentrale Arktis zu gelangen. Erfahrungen gebe es damit keine, auch mit der «Kapitan Dranitsyn» nicht.
Mit welchen Kosten ein zusätzlicher Eisbrecher zu Buche schlagen würde, dazu wollte sich eine Sprecherin des Instituts nicht äußern. Die Finanzierung werde jedoch, so es überhaupt dazu komme, voraussichtlich aus dem Mosaic-Budget erfolgen müssen.
Auch noch schlechtes Wetter am Nordpol
Die schon ziemlich in die Jahre gekommene «Polarstern» war im September 2019 von Tromsø aufgebrochen und driftet derzeit ohne Antrieb nur 150 Kilometer vom Nordpol entfernt.
Wenn die «Kapitan Dranitsyn» es schaffe, bis zur «Polarstern» und wieder zurück nach Norwegen zu gelangen, sei dies ein «großer nautischer Erfolg», so Haas. Eine andere Variante für den Personalwechsel ist laut AWI der Einsatz von bordeigenen Helikoptern. «Dazu bedarf es aber Flugwetterbedingungen, die derzeit nicht gegeben sind», heißt es im Blog. Rex sagt, in Kanada stünden zudem Flugzeuge bereit. Aber auch für ihren Einsatz werde besseres Wetter benötigt.
Nach Ansicht von Haas hätte von vornherein der winterliche Fahrtabschnitt für eine längere Zeitspanne als die vorgesehenen zwei Monate geplant werden müssen. «Wir haben natürlich ein Luxus-Problem», räumt er ein. Anders als zu Zeiten von Polarforscher Fridtjof Nansen (1861-1930) und seiner dreijährigen Eisdrift in der Arktis - die Vorbild für die Mosaic-Expedition war -, wollten Forscher heute nicht länger als zwei, drei Monate von Zuhause weg sein.
«Wir sind froh und begeistert, hier zu sein», betont Haas. Auch die Verpflegung sei gut. Aber das Team sei nun sehr erschöpft von der Arbeit und sehne sich nach einer entspannteren Zeit. (rif/dpa)