Rindfleisch aus Stammzellen: Erster Hamburger aus dem Labor verkostet
Forscher haben in der Petrischale aus Muskelstammzellen 20 000 kleine Rindfleischstücke gezüchtet. Jetzt wurde das Hackfleisch in London als Burger gebraten und von zwei Freiwilligen verkostet.
Es sieht aus wie bei jeder anderen Kochshow. „Willkommen zu einem historischen Event“, begrüßt die Moderatorin enthusiastisch das Publikum. Ein kurzer Film wird eingespielt, dann kommt schwungvoll der erste Gast in die Fernsehküche. Unter einer silbrig glänzenden Glocke trägt der Forscher Mark Post herein, was die Weltpresse im Publikum sehen will: eine Petrischale voller Hackfleisch aus dem Labor. Denn in dem Studio am Londoner Themseufer soll ein bekannter britischer Koch, Richard McGeown, den wohl teuersten Burger der Welt braten. Fünf Jahre und 250 000 Euro von Google-Mitgründer Sergey Brin hat Post gebraucht, um ein für allemal zu beweisen, dass man aus Muskelstammzellen genießbares Fleisch züchten kann.
Der Traum: Fleisch in Bioreaktoren züchten
Wenn es nach Mark Post geht, bekommt das Wort „Fleischerei“ in Zukunft eine neue Bedeutung. Mit Schlachthöfen und Massentierhaltung hätte es dann nichts mehr zu tun. Der niederländische Physiologe von der Universität Maastricht träumt davon, Fleisch in riesigen Bioreaktoren zu züchten – ähnlich wie Bier in Brauereien hergestellt wird. Der Ausgangsstoff allerdings wäre ein völlig anderer: Stammzellen. Das Spendertier müsste dafür nicht sterben. Es könnte weiter auf der Weide stehen, während Menschen anderswo sein Fleisch essen.
Für Post und sein Team ist das kein Science fiction, sondern Notwendigkeit. Die Weltbevölkerung wächst und die meisten Menschen ernähren sich – sobald sie es sich leisten können – alles andere als vegetarisch. Allein für deutsche Haushalte werden pro Jahr knapp 950 000 Rinder und 5,5 Millionen Schweine geschlachtet und verarbeitet. In riesigen Ländern wie China sind es ungleich mehr. In naher Zukunft wird der Bedarf um zwei Drittel wachsen, schätzen die Vereinten Nationen. Das massenhafte Leid der Schlachttiere ist dabei nur ein Aspekt. Auch Umweltschützer müssten auf seiner Seite sein, meint Post. Schließlich produziert das Fleisch aus dem Labor weniger Treibhausgase, es verbraucht viel weniger Land und Wasser. Gesundheitsapostel will er damit überzeugen, dass man das Fleisch im Bioreaktor zusätzlich mit Nährstoffen anreichern könnte.
Das falsche Fleisch provoziert Ekel und Skepsis
Trotzdem reagieren die meisten Menschen fast reflexhaft auf die Idee. Das falsche Fleisch provoziert Ekel und Skepsis. „Das funktioniert nie“, sagen die einen. Die anderen meinen: „Igitt. Das schmeckt garantiert nicht.“ Beiden Fraktionen wollte „Weltretter“ Post mit dem Showbrutzeln in London den Wind aus den Segeln nehmen. Er hat damit gezeigt, dass man Fleisch schon heute im Labor produzieren kann. Man kann den Burger sehen, riechen und schmecken. Man muss sich nicht davor ekeln.
Zwei Vorkoster sind von der Textur überrascht
Zwei Vorkoster – die österreichische Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler und der amerikanische Autor Josh Schonwald – bissen schließlich hinein und waren von der Textur positiv überrascht: „Ich hatte mir das Hackfleisch viel weicher vorgestellt“, sagte Rützler. „Aber man muss wirklich gut zubeißen, es fühlt sich im Mund wie eine richtige Bulette an.“ Der Geschmack des völlig ungewürzten Burgers war keine Offenbarung: „Die Kruste schmeckt schon nach Fleisch, aber innen fehlt das Fett“, sagte Rützler. „Und Salz und Pfeffer.“ Die beiden Farbstoffe, rote Bete und Safran, konnte sie nicht rausschmecken.
Die Überraschung über die Konsistenz des Hackfleisches ist in seinem Herstellungsprozess begründet (siehe Grafik). Denn bisher hat dabei ein Fleischwolf nicht viel zu tun. Post und seine Kollegen nahmen eine Probe aus dem Nackenmuskeln einer Kuh und isolierten daraus Muskelstammzellen. Diese vermehrten sie in einer Nährlösung mit fetalem Kalbsserum. Sobald sich die Stammzellen in Muskelzellen umwandelten, bildeten sie einen Ring um eine Halterung in der Mitte der Petrischale. Diese Halterung konnten die Forscher elektrisch aufladen. Schließlich setzten Muskeln nur dann Eiweiß an, wenn sie trainiert werden. Nach neun Wochen wuchs so in jeder Petrischale ein sieben Milligramm schwerer Muskelfetzen. 20 000 dieser hauchdünnen Fetzen brauchte Post für den Burger.
Von der Massenproduktion ist der Protoyp weit entfernt
Von einer Massenproduktion ist der Prototyp weit entfernt, das gibt auch Post zu. Ihm ging es bei seiner Aktion vor allem um die Aufmerksamkeit möglicher Geldgeber. Die niederländische Regierung hatte das Projekt bis 2009 mit zwei Millionen Euro unterstützt. Danach sprang Sergey Brin ein. Bis das falsche Hackfleisch aus dem Labor in großer Menge und zu einem angemessenen Preis in Supermarktkühltheken liegt, wird noch viel Zeit vergehen. Zehn bis zwanzig Jahre, schätzt Post. Die Industrie hat bisher keinerlei Interesse gezeigt, bei einem Projekt mitzumachen, das die Konkurrenz von morgen züchtet.
Die Niederländer müssen noch etliche Hürden überwinden. Der Preis muss sinken, schließlich ist normales Hackfleisch billig. Schon mit der heutigen Technologie käme man im industriellen Maßstab auf 70 Euro pro Kilo, sagte Post. „Wir können das Hackfleisch sicher bald effizienter herstellen. Theoretisch. Aber auch das müssen wir erst beweisen.“
Der Geschmack ist noch komplizierter. Fettzellen zu züchten, ist zwar kein Problem. Doch richtiges Fleisch enthält Hunderte Aromastoffe und keiner weiß, welche entscheidend sind. Das Nährstoffprofil muss angepasst werden, so dass das Fleisch aus dem Labor besser abschneidet als die Konkurrenz aus dem Stall. Um auf Antibiotika in der Nährlösung verzichten zu können, müssen die Forscher einen Bioreaktor entwickeln, der unter völlig sterilen Bedingungen automatisch läuft. Und schließlich müssen sie Ersatz für die jetzt verwendete Nährlösung finden: Denn das Serum aus Kälberföten ist nicht nur sehr teuer. Es macht das Fleisch auch ethisch angreifbar.
„In der Presse wurde das Hackfleisch schon Frankensteinfleisch genannt. Haben Sie einen besseren Namen?“, fragte eine Journalistin nach der Präsentation. Post holte eine Sekunde Luft. Es sind genau solche Bezeichnungen, die seinem Projekt langfristig schaden könnten. „Wenn wir irgendwann auch größere Fleischstücken produzieren können, sehe ich keinen Grund, warum man Fleisch nicht einfach Fleisch nennen sollte“, sagte er. „Bis dahin helfen wir uns mit dem Kunstnamen cultured beef.“
Ob in Zukunft Vegetarier wieder zu Fleischessern werden dürften, fragte die Moderatorin. „Vegetarier sollten Vegetarier bleiben“, sagte Post. „Das ist noch besser für die Umwelt.“
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