Genozid in Afrika: Ermordet, präpariert und erforscht
Nach über 100 Jahren gibt die Charité Namibia Schädel von Opfern des deutschen Genozids an den Herero und Nama zurück. Noch heute lagern vermutlich tausende Präparate und Gebeine in den Depots und Sammlungen von deutschen Museen.
Schädel von Menschen ohne Namen, ausgestellt in Glasvitrinen, verpackt in hellen Pappkartons. Sie sind Zeugnisse einer zweifelhaften deutschen Vergangenheit und lange unbekannten Forschungsgeschichte am Medizinhistorischen Museum der Berliner Charité. Es sind die menschlichen Überreste von Opfern des deutschen Kolonialkrieges von 1904 bis 1908 in Namibia, die unter fragwürdigen Umständen nach Berlin kamen. Seit Jahren fordern die Nachfahren der getöteten Herero und Nama die Rückführung der Gebeine. Nun ist es soweit. Eine 60-köpfige Delegation aus Namibia ist in Berlin, um 20 der deutschlandweit vermuteten 3000 Schädel am Freitag entgegenzunehmen. Mehr als 100 Jahre nach ihrem Tod sollen sie in ihrer Heimat ihren Frieden finden.
Die afrikanische Kolonialgeschichte holt Deutschland ein. Als deutsche Kolonie wird Namibia Deutsch-Südwestafrika genannt. Deutsche Siedler besetzen das Land der Herero und Nama, die sie abfällig als „Hottentotten“ bezeichnen. 1904 erklärt Herero-Führer Samuel Maharero den Eindringlingen den Krieg. Mit der Schlacht am Waterberg unter General Lothar von Trotha wendet sich der Aufstand in einen Vernichtungsfeldzug. Trotha lässt zehntausende Herero in die wasserlose Omaheke-Wüste treiben und verdursten. Andere werden in Konzentrationslager gebracht und sterben dort an Seuchen, Unterernährung und den Folgen der Zwangsarbeit. Rund 80 Prozent der 80 000 Herero und zehn Prozent der 20 000 Nama, die sich dem Aufstand angeschlossen hatten, finden den Tod.
Die Begehrlichkeiten der Deutschen richten sich nicht nur auf das Land und seine Schätze, auch die Forschung hatte ein großes Interesse an der afrikanischen Kolonie. In Deutschland sollte ein umfassendes „Archiv der Rassen“ aufgebaut werden. „Durch Schädelmessungen wollte man die Überlegenheit der weißen ‚Herrenrasse’ beweisen“, sagt der Berliner Kolonialhistoriker Joachim Zeller. Frauen in den Arbeitslagern wurden gezwungen, die Köpfe von Toten mit kochendem Wasser und Glasscherben von Haaren und Haut zu säubern. Um die Muskulatur zu erhalten, wurden viele in Formaldehyd eingelegt. Die Kisten sandte die „Schutztruppe“ etwa an das Pathologische Institut in Berlin, wo sie sogenannten rassenanatomischen Untersuchungen unterzogen wurden.
„Die Wissenschaft und Forschung hat sich damit schuldig gemacht“, sagte Thomas Schnalke, Direktor des Medizinhistorischen Museums der Charité. Die Forschung habe sich der Politik bedient und an dem „kranken Mord“ mitgewirkt. Öffentlich wolle sich die Charité deshalb am Freitag bei den Völkern Namibias entschuldigen und die Schädel zurückgeben, sagte Schnalke. „Wir sind nicht die Besitzer der Schädel, die unter fragwürdigen Umständen präpariert, hierhergesandt und erforscht wurden.“
Im Rahmen des sogenannten „Human Remains Projects“ hatte die Charité 2010 mit einem kleinen Team die Aufarbeitung der eigenen Geschichte der anthropologischen Skelettsammlung mit etwa 7000 Schädeln übernommen. Das Projekt wird bis September 2012 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Provenienzforscher versuchen, die Herkunft und Hintergründe der Schädelsammlung zu klären. Da in Namibia bei der Versendung weder Namen noch Sammelumstände der Schädel dokumentiert worden seien und diverse Umlagerungen stattgefunden hätten, sei die Recherche aufwendig, sagt Andreas Winkelmann, Lehrkoordinator des Charité-Projekts.
Der erste deutsche Völkermord
„Wir konnten feststellen, dass es sich bei allen um Opfer des Krieges handelt. Vier Frauen, 16 Männer – darunter ein Kind.“ Elf von ihnen waren Nama, neun Herero, das konnten die Forscher an den abgeschliffenen Zähnen feststellen. 18 der Toten seien im Konzentrationslager der Haifischinsel Lüderitz umgekommen. Drei von ihnen hatten unter dem im Lager verbreiteten Skorbut gelitten. In Berlin nahm sie Privatdozent Paul Barthels in Empfang. Mit zwei Doktorandinnen untersuchte er die Gesichtsmuskulatur der abgetrennten Köpfe.
Aber nicht nur Wissenschaftler, auch Abenteurer, Kaufleute und Militärs bestückten über Jahrzehnte die Universitätsarchive und private Sammlungen mit Gebeinen und Präparaten. Noch heute lagern tausende in den Depots und Sammlungen von deutschen Museen, Universitäten und Kliniken in Freiburg, Bremen, Göttingen und Berlin.
Der Anthropologe und Rassenhygieniker Eugen Fischer war persönlich für die Freiburger Alexander-Ecker-Schädelsammlung zuständig, die bis auf das Jahr 1810 zurückgeht. Später zählte er zu den führenden Rassenhygienikern des Nationalsozialismus. Aus Namibia hatte er sich zahlreiche Schädel und Weichteile schicken lassen und 1908 selbst in Namibia die Gräber von Topnaar-Nama geöffnet und deren Leichname entwendet.
Mediziner und Forscher haben auch in der Kolonie Versuche gemacht „und mit Methoden an Menschen gearbeitet, die in Europa aus ethischen Gründen auch in dieser Zeit nicht denkbar gewesen wären“, sagt Zeller. Der Irrglaube, andere Völker zivilisieren zu müssen und gleichzeitig das Überleben als „überlegene Rasse“ zu sichern, habe den Kolonialismus und seine Forschung wissenschaftlich gerechtfertigt, sagt Zeller. Die Kolonie als Laboratorium sei ein großes Kapitel in der Aufarbeitung deutscher Geschichte.
Viele Historiker sprechen heute im Kontext des Krieges gegen die Herero und Nama als vom ersten Genozid des 20. Jahrhunderts. Die Rückführung der Schädel bedeute einen ersten Schritt in der Wiederherstellung der Würde ihrer Vorfahren, sagte Utjiua Muinjangue, Vorsitzende des Herero-Komitees. „Was noch immer fehlt, ist eine offizielle Entschuldigung der deutschen Regierung.“ Opferverbände forderten in Berlin offene Verhandlungen über Wiedergutmachungen, die bisher an ihnen vorbeigegangen seien.
Die Schädel aus der Charité sollen am Montag in ihre Heimat überführt werden. Begraben könne man sie nach namibischer Tradition nicht, weil die Körper nicht vollständig seien, sagt Ida Hoffmann, Vorsitzende des Nama-Komitees. Als Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte sollen sie ausgestellt werden.
Hadija Haruna