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Die 2003 gegründete Universität zieht mehr und mehr einheimische Studierende an. Das Fachgebiet Letzebuergesch erfreut sich wachsender Beliebtheit, da man die Landessprache für die Einbürgerung braucht und daher auch kompetente Sprachlehrer gefragt sind.
© Universität Luxemburg

Mehrsprachigkeit in Luxemburg: Einfach drauflosreden

Lëtzebuergesch, Französisch, Deutsch und eine Prise Portugiesisch - Luxemburger sprechen täglich mehrere Sprachen. Und Lëtzebuergesch kann nun studiert werden.

„Luxemburg“, „Land a Leit“, „Faits divers“, „Großregion“ – so lauten einige Untergruppen der Rubrik „Nachrichten“ auf der Internetseite des „Tageblatt“ aus Luxemburg. Deutsch, Lëtzebuergesch und Französisch sind diese Rubrikennamen, wenngleich die meisten Texte online auf Deutsch geschrieben sind. Doch in der Kommentarspalte am 12. November findet sich zwischen lauter deutschen Artikeln etwa auch folgender: „Retour sur l’effet papillon“ von Alvin Sold, dem langjährigen Chefredakteur des „Tageblatt“.

Der Text wird nicht übersetzt, was der Leser hierzulande erwarten würde. Doch wer in Luxemburg Zeitung lesen will, muss mindestens auch Französisch sprechen. Die Sprachen werden so benutzt, wie es sich ergibt – auch im Alltag. Kaum ein Luxemburger wird an einem Tag nur eine Sprache verwenden.

Das Land zählt rund 563 000 Einwohner, 54 Prozent besitzen einen Luxemburgischen Pass. In der gleichnamigen Hauptstadt – dem internationalen Finanzzentrum und Sitz europäischer Institutionen wie dem Europäischen Gerichtshof, der Europäischen Investitionsbank und dem Europäischen Rechnungshof – leben sogar 68 Prozent Nicht-Luxemburger. Und täglich pendeln mehr als 160 000 Grenzgänger aus Belgien, Frankreich und Deutschland zur Arbeit dorthin.

Das hat Folgen für die tägliche Kommunikation. 70,5 Prozent der Bevölkerung sprechen Lëtzebuergesch als Umgangssprache zuhause, bei der Arbeit und in der Schule. Französisch wird von 55,7 Prozent benutzt, Deutsch kommt auf 30,6 Prozent. Deutsche, Niederländer und Montenegriner sprechen zu mehr als 50 Prozent Lëtzebuergesch. Daneben werden noch Portugiesisch, Italienisch und Englisch häufig gesprochen.

Seit 1984 ist Lëtzebuergesch Landessprache

Seit 1984 ist die Mehrsprachigkeit gesetzlich verankert. Lëtzebuergesch, ein moselfränkischer Dialekt, ist Landessprache, Französisch Gesetzgebungssprache. Zusammen mit Deutsch gelten beide auch als Verwaltungs- und Gerichtssprachen. Man muss also nicht lange überlegen, wie man die Luxemburger anspricht, man redet einfach drauflos. Auch wenn das Gegenüber auf Französisch beginnt, kann die Antwort durchaus auf Deutsch kommen.

„Dieser ständige Sprachenswitch ist eine Herausforderung“, erzählt Professor Georg Mein, Dekan der Fakultät Sprachwissenschaften und Literatur, Geisteswissenschaften, Kunst und Erziehungswissenschaften (FLSHASE) der Université du Luxembourg. Wer in der akademischen Welt als Ausländer zurechtkommen will, muss die drei Sprachen Luxemburgs beherrschen – dazu noch Englisch, denn an der Uni sind die Sprachen noch gemischter. „Ich beneide die Luxemburger um die Pragmatik und Souveränität, mit der sie die drei Sprachen einsetzen, wobei sie selber oft von sich sagen, dass sie es gar nicht könnten. Aber das stimmt nicht“, sagt Mein.

Zweisprachige Straßenschilder der Rue Chimay in Luxemburg.
Zweisprachige Straßenschilder der Rue Chimay in Luxemburg.
© IMAGO

Georg Mein ist Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Literaturtheorie und hat das Fach Germanistik an der 2003 gegründeten Universität mit aufgebaut. Neben Germanistik und Romanistik gibt es natürlich auch ein Institut für die Luxemburgische Sprache und Literatur. „Lëtzebuergesch war und ist die Verkehrssprache im Alltag, die seit dem Sprachengesetz von 1984 aber auch in Grammatik und Rechtschreibung standardisiert werden muss.“ Wenn man sieben Jahre im Land gelebt hat, kann man die Einbürgerung beantragen – vorausgesetzt, man beherrscht Lëtzebuergesch und besteht die Prüfung.

Forschung zur Mehrsprachigkeit von zentraler Bedeutung an der Universität

„Kinder, die zuhause auch Lëtzebuergesch sprechen, profitieren von diesem System“, sagt Mein, „doch Kinder, die zuhause keine der drei Landessprachen lernen, rennen den Inhalten immer hinterher, weil sie noch mit der Sprachbarriere kämpfen.“ Französische, italienische und portugiesische Kinder lernten Lëtzebuergesch von Klein auf im kreativen Austausch. Die Portugiesen, die einst wegen der Stahlindustrie eingewandert waren, sprechen ein Gemisch aus Lëtzebuergesch, Französisch und Portugiesisch. „In den Familien wird wegen der Kinder häufig Französisch gesprochen, aber untereinander redet man portugiesisch. Das führt dazu, dass diese Kinder ohne echte Muttersprache aufwachsen“, sagt Georg Mein. Dadurch seien sie in der Schule im Nachteil.

An seiner Fakultät forscht man nun nach Wegen, die zu mehr Chancengleichheit führen könnten. „Es gibt erste Modellversuche mit alternativen Systemen.“ Man könne gleich in der Schule zweisprachig beginnen oder man fange – je nach sprachlichem Hintergrund – mit einer der großen Sprachen an und könne die Kinder dann später mischen und zusammenführen, damit sie schneller die jeweils andere Sprache lernten. „Solche Modelle werden derzeit getestet, aber das geht nicht von heute auf morgen.“ Daher ist die Forschung zur Mehrsprachigkeit im Erziehungssystem eine Priorität der Universität Luxemburg.

Schon nach der Unabhängigkeit 1839 gab es Autoren, die auf Lëtzebuergesch schrieben, ein wichtiges Element zur Bildung der nationalen Identität. Nach dem Ersten Weltkrieg erkannten die Luxemburger ihre Mittlerrolle zwischen den beiden Kulturkreisen. Die Besatzung während des Zweiten Weltkrieges diskreditierte das Deutsche, und Lëtzebuergesch gewann an Bedeutung.

„Die jungen Leute sehen das heute entspannt, sie schauen deutsches Fernsehen und studieren gerne in Deutschland“, sagt Mein. Seine Aufgabe ist es nun, die Studenten für alle drei Landessprachen zu begeistern. Und sie zu halten – mit wachsendem Erfolg. Ein Erfolg ist auch die Universität Luxemburg. Im weltweiten „Times Higher Education Ranking“ kam sie im ersten Anlauf auf Platz 193. Die Hochschule, sagt Georg Mein, sei „ein substantieller Teil der Neuausrichtung des Landes“.

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