Medizin: Eine Tablette als Wunderwaffe gegen Brustkrebs
Kann man verhindern, dass die Krankheit ausbricht? Hoffnungen setzen Frauen auf eine „Pille gegen Brustkrebs“ - doch sie kann nur manchen helfen, wie eine neue Studie zeigt.
Zwei junge Frauen in der Berliner U-Bahn, sie schauen fasziniert auf den Monitor mit den Kurznachrichten. „Die Pille gegen Brustkrebs ist da“ ist hier gerade kurz und bündig zu lesen. „Ist ja stark!“, entfährt es der einen.
An Brustkrebs zu sterben, davor haben auch junge Frauen große Angst. Deshalb war sicher, dass eine Studie, die beim Treffen der Amerikanischen Gesellschaft für klinische Krebsmedizin (American Society of Clinical Oncology) in Chicago vorgestellt wurde, weltweite Aufmerksamkeit finden würde. Die Ergebnisse von Paul Goss vom Massachusetts General Hospital in Boston und seinem Team wurden im Fachblatt „New England Journal of Medicine“ (Band 364, Seite 2381) abgedruckt.
Ja, es geht tatsächlich um eine Pille gegen Brustkrebs. Doch eingenommen wurde sie nur von Frauen, die nach dem häufig verwendeten Modell des amerikanischen Statistikers Robert Gail ein erhöhtes Risiko hatten, an diesem Krebs zu erkranken. Einer der wichtigsten Risikofaktoren dafür ist das Lebensalter. So lag der Altersdurchschnitt der 4560 Studienteilnehmerinnen aus den USA, Kanada, Frankreich und Spanien bei 62,5 Jahren. Sie waren also wahrscheinlich älter als die Mütter der beiden jungen Frauen, die sich in der U-Bahn über die Schlagzeile gefreut hatten. Eine große Gruppe von ihnen trug zudem persönlich ein hohes Risiko, einige hatten sogar in der Vergangenheit schon Vorformen von Brustkrebs gehabt und waren operiert worden.
Klingt das schon deutlich weniger sensationell als die Schlagzeilen der Boulevardpresse, so ist auch das Medikament selbst, das in einer Doppelblindstudie gegen ein Scheinpräparat getestet wurde, längst kein Unbekannter mehr: Exemestan (Handelsname „Aromasin“) gehört zur Gruppe der Aromatase-Hemmer. Das sind Mittel, die die Produktion des weiblichen Geschlechtshormons Östrogen blockieren – dem Hormon, das das Wachstum der meisten Tumoren in der weiblichen Brust fördert.
Frauen, die solche „östrogenpositiven“ Tumoren hatten, bekommen die Mittel deshalb häufig nach der Operation verordnet. Ebenfalls als Östrogen-Bremse wirken die Mittel Tamoxifen und Raloxifen, in der Fachwelt als SERMs (Selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren) bezeichnet. Und was sie betrifft, so ist schon seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts erwiesen, dass sie auch in der Vorbeugung gegen Brustkrebs erfolgreich sind. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Tamoxifen, von gesunden Frauen mit einem nach dem Gail-Modell erhöhten Brustkrebs-Risiko fünf Jahre lang eingenommen, die Hälfte der zu befürchtenden Erkrankungen verhindern kann. Sonderlich beliebt sind die SERMs in der reinen Vorbeugung allerdings nicht, auch wo sie die Zulassung dafür haben. Nebenwirkungen wie Hitzewallungen, vor allem aber eine erhöhte Gefahr für tiefe Venenthrombosen, sind eher in Kauf zu nehmen, wenn man schon Krebs hatte und ein Mittel danach die Chance bietet, das Wiederaufflammen der Krankheit zu verhindern.
Auch von Aromatase-Hemmern sind Nebenwirkungen bekannt, von trockenen Schleimhäuten und Hitzewallungen bis zu Knochen- und Gelenkschmerzen, erhöhter Gefahr für Arthritis und Osteoporose. Interessant ist nun: Von den Frauen, die in die neue Studie einbezogen waren, hatten mehr als die Hälfte irgendwann früher schon einmal Östrogene genommen, um genau die Symptome abzustellen, die bei Östrogen-Blockern als Nebenwirkung drohen: Im Rahmen einer Hormontherapie gegen Wechseljahresbeschwerden, die die Lebensqualität empfindlich mindern können.
Gravierende Folgen wie Knochenbrüche oder auch Gefäßprobleme zeigten sich in der dreijährigen Studie nun nicht, die Mehrheit der Teilnehmerinnen (auch aus der Placebo-Gruppe) beklagte allenfalls moderate Einbußen an Lebensqualität, blieb aber trotzdem bei der Stange.
Dann zeigte die Auswertung: Von den 43 Brustkrebsfällen, die in der Zwischenzeit diagnostiziert worden waren, hatten sich elf in der Exemestan-Gruppe und 32 in der Placebo-Gruppe ereignet. In jedem Jahr, in dem sie den Wirkstoff bekommen hatten, hatten die Frauen der „echten“ Gruppe also ein um 65 Prozent geringeres Erkrankungsrisiko. Zweifellos ein Erfolg. Doch in absoluten Zahlen nimmt er sich gleich weniger spektakulär aus. Das liegt daran, dass selbst Brustkrebs, eine der häufigsten Krebserkrankungen, selten ist, und das sogar bei Frauen mit erhöhtem Risiko: In der Placebo-Gruppe bekamen 1,4 Prozent der Frauen einen Tumor, in der Exemestan-Gruppe rund ein halbes Prozent. 94 Frauen mit erhöhtem Risiko müssen drei Jahre lang die Tabletten nehmen, damit ein Fall von Brustkrebs verhindert werden kann, rechnen die Autoren vor. Würden alle Frauen sie einnehmen, wäre der Effekt deutlich geringer.
In einem Editorial des „New England Journal of Medicine“ heißt es, eigentlich sei nun auch eine Vergleichsstudie fällig, in der Exemestan gegen Tamoxifen antritt – „doch es ist nicht wahrscheinlich, dass es dazu kommen wird“. Fraglich ist auch, ob die Herstellerfirma Pfizer sich um eine Zulassung ihres Mittels für die Vorbeugung überhaupt bemühen würde. Der Brustkrebsspezialist Michael Untch vom Helios-Klinikum in Berlin-Buch spricht den Ergebnissen aus solchen Erwägungen einstweilen die praktische Bedeutung ab. „Wenn man in weiteren Studien eine Gruppe von Frauen eingrenzen könnte, bei denen der Nutzen eindeutig überwiegt, dann würde das schon ganz anders aussehen.“
Für junge Frauen, bei denen Brustkrebs selten ist, dafür aber öfter nicht empfindlich für Hormone und sehr aggressiv, hätte es wahrscheinlich am wenigsten Sinn, mit Aromatase-Hemmern vorzubeugen. „Die wenigen jüngeren Frauen, die wegen einer familiären Vorbelastung ein erhöhtes Risiko haben, müssen in Spezialsprechstunden betreut werden“, sagt Untch. Oft sind bei ihnen die Brustkrebsgene Brca1 und Brca2 die Ursache der Gefahr.
Fazit: Die Pille für alle Frauen, die gegen jede Form von Brustkrebs zuverlässig schützen würde, es gibt sie allenfalls in den Schlagzeilen. Brustkrebs bleibt eine Bedrohung. Einer Gruppe besonders gefährdeter Frauen könnte in Zukunft vielleicht Vorbeugung mit Aromatase-Hemmern helfen. Wer genau zu dieser Gruppe gehört und ob die Medikamente für sie verfügbar sein werden, ist noch nicht klar.
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