Raucherentwöhnung: Eine Spritze gegen die Sucht
Nikotin-Antikörper verhindern, dass der Suchtstoff in Herz und Hirn gelangt. Zumindest bei Mäusen funktioniert diese Therapie bereits.
„Mit dem Rauchen aufzuhören ist kinderleicht, ich habe es schon hundert Mal geschafft“ – das Zitat von Mark Twain kommt vielen Menschen nur allzu bekannt vor. Lediglich drei bis sechs Prozent von denen, die keine Zigarette mehr anrühren wollen, halten das ein Jahr lang durch. Mit den besten Entwöhnungsprogrammen sind es bis zu 30 Prozent. Umso verlockender klingt das Szenario, das Forscher um Ronald Crystal vom Weill Cornell Medical College in New York jetzt entwerfen: Eine einzige Spritze soll genügen, um dem Körper dauerhaft das Nikotin zu verleiden. Wie sie im Fachmagazin „Science Translational Medicine“ schreiben, klappt das zumindest schon bei Mäusen.
Nach der Behandlung produzierte die Leber der Mäuse Nikotin-Antikörper. Sie binden und zerstören innerhalb kürzester Zeit mehr als 80 Prozent des Nikotins im Blut – noch bevor der Suchtstoff Herz und Hirn erreichen kann. Nur 15 Prozent der Nikotinmoleküle konnten bis zum Belohnungszentrum des Gehirns vordringen. Die Mäuse wurden in ihren Käfigen weder ruhiger noch veränderten sich Blutdruck oder Herzschlag, wenn sie Nikotin bekamen.
Der Weg dahin ist für die Suchtmedizin ungewöhnlich. Die Spritze ist keine einfache Impfung, sondern eine Gentherapie. In der Flüssigkeit waren Viren enthalten. Diese Adeno-assoziierten Viren sind quasi Schleuser. Sie trugen das Erbgut von Nikotin-Antikörpern in sich und legten es in Leberzellen ab. Die Leberzellen begannen daraufhin, selbst dauerhaft die Antikörper zu bauen. „Diese Pacmans im Blut auf Patrouille zu schicken, ist unserer Meinung nach der beste Weg, chronischen Rauchern bei der Entwöhnung zu helfen“, sagt Crystal. Das Blut werde gereinigt, bevor das Nikotin einen biologischen Effekt haben kann.
„Das ist keine Science Fiction“, kommentiert Tillmann Weber, Oberarzt an der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim. „Diese Forschung steht zwar ganz am Anfang, aber der Ansatz ist klug.“ Die Viren wurden bereits bei seltenen Erkrankungen als Schleuser für eine Gentherapie eingesetzt, die Methode ist nach dem jetzigen Stand der Forschung sicher. Denn die Gensequenz für die Antikörper wird nicht irgendwo im Erbgut eingebaut, sondern an genau definierten Stellen eingebaut oder bleibt außerhalb des Genoms liegen, so dass sie die Funktionen der Zelle nicht stören.
Was für Laien drastisch wirkt, ist für Experten ein logischer Schritt nach dem Misserfolg der Nikotin-Impfung. Nikotinmoleküle sind so klein, dass sie unser Immunsystem nicht sieht, daher bildet es normalerweise keine Antikörper gegen den Stoff. Um eine aktive Immunisierung zu erreichen, kombinierten Forscher das Nikotin mit anderen Trägermolekülen. So konnten sie zwar beim Menschen eine Antikörperbildung anregen. Doch es waren anscheinend nicht genug, um eine Sucht in Schach zu halten. Die Antikörper als passive Immunisierung zu spritzen, funktionierte ebenfalls nicht gut – sie verschwanden allzu schnell wieder aus dem Blut.
Dass Nikotin-Antikörper bei Abhängigen überhaupt zur Entwöhnung führen, müsse noch bewiesen werden, betont Anil Batra, Leiter der Sektion Suchtforschung und Suchtmedizin an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Tübingen. „In der Impfdebatte wurde der Verdacht laut, dass manche Raucher noch mehr konsumieren, um so die gewünschte Wirkung zu bekommen.“
Eine Gentherapie könne die Entwöhnung bestenfalls unterstützen: „Massiv abhängige Raucher brauchen psychotherapeutische Beratung“, sagt Batra. Entzugserscheinungen gibt es auch bei der Methode mit Antikörpern. Auch gegen Gewohnheiten können Crystals Pacmans wenig ausrichten. Batra will jedem Raucher eine auf ihn zugeschnittene Therapie anbieten und fahndete daher mit seinem Team nach Rauchertypen. Sie fanden vier: Unsichere Menschen, die schlechte Gefühle „wegrauchen“, soziale Raucher, Menschen, die vor Energie sprühen und die Zigarette zur Entspannung brauchen oder um sich zu konzentrieren, und stark körperlich Abhängige. Für alle vier Typen erarbeiteten die Forscher nun Programme. „Trotzdem beobachten wir solche neuen Versuche mit großem Interesse“, sagt Batra. Doch zunächst muss die Gentherapie bei abhängigen Tieren wie Ratten funktionieren, dann erst können Tests am Menschen folgen.
Crystals Vorschlag, später Jugendlichen die Viren vorbeugend zu spritzen, findet Weber zum gegenwärtigen Zeitpunkt unsinnig. „Für sie brauchen wir vor allem bessere Präventionsprogramme“, sagt der Suchtmediziner. Bei Menschen, die alles versucht haben und trotzdem nicht aufhören können, sehe das anders aus. „Bei ihnen verhindern Antikörper möglicherweise einen Rückfall.“ Bevor Millionen Menschen mit einer Gentherapie behandelt werden, müssen Crystal und Kollegen beweisen, dass sie sehr sicher ist und zum Ziel führt, fordert Weber. „Eine Gentherapie darf nicht gefährlicher sein als das Rauchen selbst und muss eine hohe Erfolgquote haben.“
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität