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© Ullstein Bild - Histopics

200 Jahre Berliner Universität: "Eine Lust, da zu lesen!"

Die Stadt und die Universität zusammen – das war der Boden, auf dem vor 200 Jahren die geistige Entwicklung fortschreiten konnte. Wie die Berliner Universität gegründet wurde.

DIE ZEIT

Wie muss man sich Berlin ohne Universität vorstellen? Kann man sich Berlin ohne Universität vorstellen?

Machen wir einen Zeitsprung und landen wir, zunächst einmal, im Jahr 1806. Ein Graus! Preußen hat die Schlacht bei Jena und Auerstedt gegen die Franzosen verloren, Napoleon ist durchs Brandenburger Tor einmarschiert, die Moral ist zerrüttet, die Finanzen am Ende. Berlin ist mehr Klein- als Weltstadt und weit davon entfernt, große Geister anzuziehen. Alexander von Humboldt, der große Naturforscher, seit 1804 zurück aus Amerika, ist entsetzt, als König Friedrich Wilhelm III. ihm nahelegt, nach Berlin zu ziehen statt nach Paris. Als der Kosmopolit 1805 doch in die preußische Hauptstadt kommt, wird er prompt krank. „Es ist mir hier fürchterlich eng und tot“, klagt er. Die Menschen seien so oberflächlich, „noch ärger als die Pflanzenöde und der blecherne graue Himmel über Berlin.“ Sobald er kann, kehrt Humboldt ins weltläufige Paris zurück.

Berlin hatte zwar auch damals mehr als märkischen Sand zu bieten. Ein wissenschaftliches Leben gab es durchaus, es gab die Bergakademie, die Vorläuferin der Technischen Universität, es gab die Akademien der Künste und der Wissenschaften, die Charité, die Bauakademie – Institutionen, an denen entweder nur geforscht oder aber nur Spezialisten ausgebildet wurden. Und : Es gab die Salons! Ab 1780 die berühmten der Henriette Herz und der Rahel Levin, aber auch viele andere, weniger bekannte, in denen sich Bürgerliche und Adlige, Wissenschaftler, Literaten und Kaufleute trafen und im geselligen Gespräch ihre Meinungen und Kenntnisse weiterentwickelten. Denn auch das ist ja Bildung – das hat der Theologe Friedrich Schleiermacher sogar philosophisch begründet.

Aber eine Universität, die gab es nicht. Als die Freiherren Hardenberg und vom Stein ihre Reformen des Staates und der Verwaltung begannen, war klar: Dazu gehörte auch eine Reform des Bildungswesens – und eine Universität in Berlin. Friedrich Wilhelm III. musste nicht lange überzeugt werden. „Das ist recht, das ist brav!“, soll er ausgerufen haben. „Der Staat muss durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren hat.“

DER MANN

Wilhelm von Humboldt, so schlug der Freiherr vom Stein vor, sollte Chef des preußischen Erziehungswesens werden und von den Schulen bis zum Universitätswesen alles auf Vordermann bringen. Was für eine Chance! Aber der Privatgelehrte, Staatstheoretiker und Sprachforscher, der seit 1802 als Diplomat in Rom lebte, war alles andere als begeistert. „Was lässt sich jetzt im Preußischen tun, wo man so wenig Mittel hat? Gelehrte zu dirigieren ist nicht viel besser als eine Komödiantentruppe unter sich zu haben“, sagte er und bat den König, in Rom bleiben zu dürfen. Aber nichts da! Es musste sein, per Kabinettsorder vom 10. Februar 1809 wird Wilhelm von Humboldt zum „Direktor der Sektion des Kultus und öffentlichen Unterrichtes“ berufen.

Und legt dann doch voller Elan los. Ideen hat er genug, was Sinn und Zweck der Universität betrifft: Keine reine Ausbildungsstätte, keine Paukschule sollte sie sein, sondern ein Ort, an dem Lehrende und Lernende eine Gemeinschaft bilden, wo sie in Freiheit diskutieren und universelle Bildung erwerben, ihre individuellen Interessen und Charaktere ausformen, ihre Humanität entwickeln können. Der Staat sollte sich raushalten. „Einsamkeit und Freiheit“, so Humboldt, bräuchten die Professoren und Studierenden zur Entfaltung. Wissen ist nicht dazu da, auswendig gelernt zu werden, Wissen soll erarbeitet, hinterfragt, weiterentwickelt werden!

Aber was nützen die ganzen Ideen, wenn sie in der Luft schweben? Ideen müssen auf die Erde, eine Universität braucht Wände, die Worte der Gelehrten müssen widerhallen, Professoren und Studenten einander in Fluren und Hörsälen leibhaftig begegnen. Wohin?


DER ORT

Da gab es doch Unter den Linden ein wunderschönes Palais, das einmal für den jüngeren Bruder Friedrichs des Großen erbaut worden war. Hier hatte der Prinz Heinrich rauschende Feste gefeiert – zur Einweihung 1766 kamen über 2000 Gäste zum Maskenball – , hier hatte er seine Sammlungen von Gemälden, Stichen, Teppichen, Porzellan untergebracht, und hier hatte er mit seiner Gemahlin Prinzessin Wilhelmine zeitweise auch gelebt. Aber inzwischen waren beide verstorben, die Prinzessin erst im Jahre 1808, das Palais war für öffentliche Zwecke vorgesehen, was lag da näher als es zur Berliner Universität zu machen? In einer Schenkungsurkunde überlässt Friedrich Wilhelm III. das Palais „auf ewige Zeiten“ der Universität. „Welch ein herrliches Gebäude!“, schwärmte der Theologe Wilhelm de Wette. „Von welch herrlichen Gebäuden umgeben! Es muss eine Lust sein da zu lesen!“

Aber Achtung, das Gebäude war nicht leer. Es wuselte vor Leben. In seiner „Geschichte der Universität Berlin“ von 1910 beschreibt Max Lenz den Zustand des Palais um 1809: Im ersten Geschoss lagen die Gesellschaftsräume und Wohnungen von Prinz und Prinzessin samt Hofchargen, das Erdgeschoss beherbergte Wirtschaftsräume und Dienerschaft. „Im westlichen Teil lagen die Weißzeug- und Möbelkammern der Prinzessin, drei Wagenremisen, Zimmer für Kastellan, Stallleute und eine Vorleserin der Prinzessin. Im östlichen Flügel war alles untergebracht, was zu des Leibes Nahrung gehörte, also Küche und Kupferkammer, Backstube und Konditorei, Kellermeisterei und anderes. Der Garten der Universität befand sich unmittelbar neben dem Marstall, in dem, in zwei Ställe verteilt, nicht weniger als 74 Pferde standen.“

Neunzig Menschen lebten noch im Palais, von den Vorleserinnen der Prinzessin über die alte Gräfin von der Schulenburg samt Hofstaat, außerdem eine Schar von Dienstboten. Die Köche und Küchenschreiber, Hausknechte, Maurerpoliere und Kehrfrauen erhielten zu Ostern 1809 ihre Kündigung und zogen widerspruchslos aus. Andere Bewohner jedoch, Höhergestellte wie der Kammerdirektor von Grunenthal oder General Scharnhorst weigerten sich und mussten mit Druck zum Auszug bewegt werden. Schon im Winter 1809 wurde ein Hörsaal eingerichtet, in dem Friedrich Schleiermacher und der Philosoph Johann Gottlieb Fichte erste inoffizielle Vorlesungen hielten.


DIE ANFÄNGE

In einem war sich Humboldt sicher: Berlin war ein Boden, „der dürr bleiben wird, bis man Fremde hinberuft“. Und es gelang ihm, führende Vertreter der einzelnen Fächer zu berufen, wie den Philologen August Boeckh oder den Rechtswissenschaftler Friedrich Carl von Savigny. Am 2. Oktober 1810 fand die Eröffnungsfeier statt, im ersten Wintersemester zählte die Uni 52 Lehrende und 256 Studierende. Die vier Gründungsfakultäten – Theologie, Philosophie, Jura und Medizin – wurden von berühmten Wissenschaftlern geleitet, von dem Theologen Friedrich Schleiermacher, dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte, dem Juristen Savigny und dem Mediziner Christoph Wilhelm Hufeland.

Und schon bald begann die Universität ihre Wirkung in der Stadt zu entfalten. Neben den Seminaren, die im kleinen Rahmen stattfanden, war die dominierende Lehrform die der – oft öffentlichen – Vorlesung. Die guten Redner unter den Professoren zogen ein breites Publikum an. Friedrich Schleiermacher seufzte: „Zu mir kommen hauptsächlich Studenten, Frauen und Offiziere. Die Studenten müssen mich predigen hören, die Frauen wollen meine Studenten sehen, und die Offiziere kommen eben der Frauen wegen.“

Wilhelm von Humboldt, der schon 1810 sein Rücktrittsgesuch einreichte, empfand die Arbeit mit den Professoren offenbar als anstrengend. „Die Gelehrten“, schrieb er, „sind die unbändigste und am schwersten zu befriedigende Menschenklasse – mit ihren sich ewig durchkreuzenden Interessen, ihrer Eifersucht, ihrem Neid, ihrer Lust zu regieren, ihren einseitigen Ansichten, wo jeder meint, dass nur sein Fach Unterstützung und Beförderung verdiene.“

Trotz alledem: Die Stadt und die Universität zusammen – das war der Boden, auf dem die geistige Entwicklung fortschreiten konnte. Der Schriftsteller Wilhelm Raabe (1831-1910), der sehr viel später in Berlin studierte – als die „Berliner Universität“ längst „Friedrich-Wilhelms-Universität“ hieß – hat das schön ausgedrückt: „Ich war ein Student, und ich studierte in Berlin die schönen Wissenschaften und die hässlichen. Ich studierte aber auch das Leben, und in ihm das Schöne und das Hässliche von demselben Blatt – o großer Gott, was studierte ich alles! Es ist mir heute noch ein Mirakel, dass ich nicht mit einem Riss, einem Sprung im Hirnkasten oder einem darum gelegten eisernen Bande herumlaufe: die Gehirnerweiterung war zu mächtig!“

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