POSITION: Eine Kulturrevolution für die FU
Die Freie Universität braucht echte Wahlen und ehrliche Diskussionen, meint Raúl Rojas, FU Professor für Informatik.
Der Akademische Senat hat an der FU in den letzten zwei Jahrzehnten langsam, aber sicher an Bedeutung verloren. Alle wesentlichen Entscheidungen werden heute nicht mehr dort getroffen. Man trifft sich einmal im Monat zum Plaudern im AS und darf so weltbewegende Sachen wie die fünfte Verlängerung eines Studiengangs absegnen. Wirklich wichtige Angelegenheiten, wie Investitionen oder strukturelle Umbrüche, werden woanders beschlossen, und man erfährt selten davon. Es sei denn, etwas geht schief, wie bei der gescheiterten Deutschen Universität für Weiterbildung, unserer privaten „Tochteruni“, bei der die FU mehr als fünf Millionen Euro verloren hat.
Dann wird die Angelegenheit zum Staatsgeheimnis erklärt, nur das Kuratorium darf Einblick haben. Wenn sowieso alles bekannt wird, schiebt man die Verantwortung auf die „Altlasten“ (die anscheinend nie Mitglieder einer Liste waren). Außerdem haben wir seit 1989 keine echte Grundordnung, also eine verbindliche Satzung für wichtige Vorgänge an der Universität. Seit der letzten Novellierung des Hochschulgesetzes vor zwei Jahren, bei der in vielen neuen Paragrafen angepasste Regelungen der Grundordnung verordnet wurden, ist ebenfalls nichts in diese Richtung geschehen.
Niemand weiß mehr, wofür der AS noch wichtig wäre
Dieser Verlust an Relevanz geht Hand in Hand mit der Indifferenz großer Teile der Universität gegenüber Zukunftsplanungen. Wir Hochschullehrer wollen in Ruhe unserer Forschung nachgehen, und es ist uns oft gleichgültig, was sich jenseits der eigenen vier Laborwände zuträgt. Die Wahlbeteiligung bei anderen Statusgruppen ist leider auch nicht besonders hoch. Das zeigt, dass niemand so richtig weiß, wofür der AS noch wichtig wäre. Nach vier Jahren im AS weiß ich es selbst nicht mehr. Deswegen müssen wir eine kreative Pause einlegen und überlegen, wie und ob es weitergehen kann.
Das System der Listen an der Universität hat ein großes Problem. Es ist zu einer Zeit entstanden, als die Professoren sich politisch einordneten und gesamtgesellschaftlich aktiv waren. Es gab Listen, die sich dann im politischen Spektrum der BRD verorten konnten. Das kann man gut oder schlecht finden, aber so war es damals. Wir leben jetzt im Zeitalter der Entpolitisierung, und die professoralen Wahllisten ähneln zum Teil zufällig gewürfelten Kartellen. Es gibt natürlich Nuancen, nach rechts oder links, aber das Verbindungselement ist nicht mehr eine gemeinsame politische Gesinnung, sondern meistens persönliche und lokale Interessen, die als Gruppe besser durchgesetzt werden können. Ist die Wahlperiode vorbei, lösen sich die Wahllisten fast in Luft auf, und nur ein Kern von Aktivisten in jeder Liste „bleibt am Ball“.
Direktwahlen statt Listen und Kartelle
Recht unzufrieden bin ich deswegen mit der Mentalität, die bei solchen Konstellationen entsteht. Wir waren im AS zwei Vertreter unserer Liste, und trotzdem haben wir manchmal abweichend abgestimmt. Bei anderen Listen habe ich nie die kleinste Abweichung gesehen, auch wenn privat manche Kollegen sogar mit uns einverstanden waren. Deswegen denke ich, dass ein Akademischer Senat besser bedient wäre, wenn die professoralen Vertreter direkt über die Fachbereiche gewählt würden. Dann gäbe es keine Gruppenverpflichtungen, die professoralen Kartelle würden sich auflösen, wir könnten vielleicht rationeller und fachlich miteinander reden. So werden in den USA die Senate übrigens gebildet.
Diskussionskultur kann nicht verloren gehen, wenn es vorher keine Diskussionskultur gegeben hat. Diskussionskultur würde auch bedeuten, dass man Andersdenkende ernst nimmt und sich um breite akademische Integrationsmehrheiten kümmert, nicht nur um eine Mehrheit, die gerade so ausreicht (was ich Sperrmehrheit nenne). Bei den Wahlen für das Präsidium in 2014 wurde von drei professoralen Listen eine Koalition gebildet, die unsere Liste ausgegrenzt hat, statt zu versuchen, Brücken zu bauen.
Echte Wahlen - das wäre eine Kulturrevolution für die FU
Am besten wäre es allerdings, wenn es an der FU echte Wahlen gäbe, deren Ausgang nicht von vornherein feststeht, so wie es an vielen Unis der Fall ist. Durch die Sperrmehrheit, die 2014 gebildet wurde, gab es wiederum nur das im Voraus von drei Gruppen ausgehandelte Ergebnis.
Deswegen denke ich, dass einige Kollegen im geeigneten Moment, als Liste oder wie auch immer, von selbst wieder aktiv werden. Die Probleme der FU werden nicht kleiner. Wenn man aber nur das ewige Fortschreiten als ungeheuren Erfolg proklamiert, wenn man Probleme nicht mal zugibt, dann kann man auch keine Lösungen finden. Für nachhaltige Lösungen brauchen wir Integrations- und nicht Sperrmehrheiten. Das wäre eine Kulturrevolution für die FU.
Der Autor ist an der FU Professor für Informatik und forscht derzeit in Princeton. Seine Liste „Exzellenz und Transparenz“ tritt aktuell nicht zur AS-Wahl an.
Raúl Rojas
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