Impfforschung: Eine für alle
Eine universelle Grippeimpfung muss kein Traum bleiben. Erste Hürden haben Virologen bereits aus dem Weg geräumt. Für sie war die Pandemie von 2009 Weckruf und Glücksfall zugleich.
Während die Augen der Grippeforscher weltweit auf die Vogelmärkte in Asien gerichtet waren, tauchte 2009 am anderen Ende der Welt ein Grippevirus auf, mit dem niemand gerechnet hatte: Eine Version der Grippe von 1918 namens H1N1, die jahrzehntelang in Schweinen überdauert hatte, hatte den Weg zurück zum Menschen gefunden. Es folgte eine Pandemie, die für Virologen Weckruf und Glücksfall zugleich war. Weckruf, weil es Monate dauerte, bis es eine Impfung gab – zu der Zeit war der Höhepunkt der Pandemie vorüber. Glücksfall, weil einige Grippepatienten gegen den Erreger außergewöhnliche Antikörper bildeten, die gegen alle Stränge der Influenza A aktiv sind und die Forscher nun die Technik hatten, die Alleskönner aufzuspüren.
Die Suche nach einer universellen Grippeimpfung bekam neuen Schwung. In fünf Jahren könnte so ein Impfstoff bereits auf dem Markt sein, sagte kürzlich Francis Collins, Direktor der amerikanischen Gesundheitsinstitute (NIH). Im Idealfall könnte eine einzige Spritze vor allen Grippeerregern schützen.
Bislang bekommen Ärzte jedes Jahr einen anderen Impfstoffmix aus drei verschiedenen Strängen geliefert, die laut Weltgesundheitsorganisation in der kommenden Saison kursieren werden. Das aufwendige Ratespiel ist nötig, weil die Grippe unsere Immunabwehr systematisch überlistet. Seine Oberfläche ist mit baumartigen Eiweißstrukturen übersät, dem Hämagglutinin. Für einen Antikörper sind die Kronen dieser Bäume ein einladendes Ziel zum Andocken. Doch ausgerechnet die auffälligen Kronen sind ein Ablenkmanöver, sie kann das Virus problemlos umbauen. Man kennt 16 verschiedene Hämagglutininarten.
Den für Abwehrzellen schwer zugänglichen Stamm dagegen braucht die Grippe, um in Körperzellen einzudringen. Ist dessen Struktur durch eine Mutation verändert, macht sich das Virus mitunter selbst unschädlich. Er ist daher bei allen Hämagglutinin-Arten weitgehend gleich. Umso erfreuter waren Forscher um Antonio Lanzavecchia und seine Kollegen vom Institut für biomedizinische Forschung im Schweizer Bellinzona, als sie einen Schweinegrippepatienten fanden, der einen Antikörper namens FI6 bildete. Er dockt am Stamm an und kann somit alle 16 Hämagglutininarten erkennen.
FI6 könnte die Blaupause für einen universellen Grippeimpfstoff sein, hieß es letztes Jahr. Man müsse nur das Immunsystem durch eine Impfung dazu bringen, sie zu bilden. Dieser Schritt jedoch ist alles andere als trivial. Lanzavecchia und seine Kollegen mussten mehr als 100 000 weiße Blutkörperchen absuchen, ehe sie eine Antikörperfabrik für FI6 fanden. Daraus schlossen viele Forscher, dass die Stamm-Antikörper in der Natur selten sind und es ein Impfstoff schwer haben würde, ihre Produktion ausreichend anzukurbeln. Und wer schon einmal Grippe hatte, bilde vermutlich sowieso eher Antikörper gegen die Hämagglutinin-Kronen. Dann kämen nur Kinder für eine universelle Grippeimpfung infrage.
Beide Unkenrufe haben sich als falsch erwiesen. „Wir wissen jetzt, dass viele Grippepatienten solche Stamm-Antikörper bilden“, sagt Gary Nabel, Impfforscher am Nationalen Institut für Allergien und Infektionsforschung. Allerdings springen die weißen Blutkörperchen, die sie fabrizieren, nur vorübergehend an. Daher könne man die Antikörper so selten nachweisen. „Eine Impfung sollte also diese Produktion lediglich verstetigen“, sagt Nabel. Erste Tests seien vielversprechend. In Tierversuchen konnte Nabels Team außerdem nachweisen, dass das Immunsystem sogar mehr Stamm-Antikörper produziert, wenn es schon einmal bestimmte Grippeerreger gesehen hat. Die Ergebnisse erscheinen heute im Fachmagazin „Science Translational Medicine“. Nabel stimmt das optimistisch: „In fünf bis zehn Jahren könnte eine halbwegs universelle Grippeimpfung Wirklichkeit werden“, sagt er. „Dann sind wir auch besser für künftige, gefährlichere Pandemien gewappnet.“
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