Ausbruch am Bardarbunga: Ein Vulkan erwacht
Wieder regt sich ein Feuerberg in Island. Geowissenschaftler aus ganz Europa reisen zum Bardarbunga, um den Ausbruch möglichst genau zu dokumentieren. Noch verläuft die Eruption ruhig, doch das kann sich ändern.
Morgens um drei war es mit der Ruhe vorbei. Immer stärker und häufiger knirschte es im Berg, bis zum Mittag ließen fast 200 Beben den Bardarbunga, einer von rund 30 aktiven Vulkanen auf Island, erzittern. Offensichtlich hatte sich tief in seinen Eingeweiden Magma auf den Weg nach oben gemacht. Die Vulkanologen der isländischen Wetterbehörde (IMO) waren alarmiert – und ratlos. Droht ein explosiver Ausbruch, wie beim Eyjafjallajökull vor vier Jahren, als der europäische Luftraum weiträumig gesperrt wurde? Oder würde es bei einem Grummeln bleiben, das nach ein paar Tagen wieder verstummt?
Lava tritt aus, aber keine Asche - Entwarnung für den Luftverkehr
Heute, 13 Tage später, ist der Bardarbunga nach wie vor in Aufruhr. Gewaltige Mengen heißen Gesteins drücken sich durch kilometerlange Spalten im Untergrund, immer wieder kracht es in der Tiefe. Am frühen Freitagmorgen trat am nördlichen Rand entlang eines langen Risses erstmals Lava zutage. Bisher verläuft der Ausbruch ruhig. Das heiße Gestein quillt heraus, Dampfwolken steigen auf, aber noch keine Asche.
Die Experten sind dennoch angespannt. Der größte Teil des Vulkans liegt unter einer mehrere hundert Meter dicken Eisschicht – und das macht ihn besonders gefährlich. Taucht dort Magma auf, bilden das Schmelzwasser und die Gesteinsschmelze eine explosive Mischung. Im besten Fall ergibt sie ein Spektakel für Vulkanforscher. Im ungünstigen Fall könnte der Auswurf den Verkehr und die Stromversorgung in einem großen Umkreis lahmlegen, die Asche könnte Menschen das Atmen schwer machen und den Luftverkehr erheblich behindern. Dazu kämen große Mengen Schmelzwasser aus dem Gletscher, die ins Tal strömen und Brücken und Häuser fortreißen könnten.
Mit GPS wird millimetergenau vermessen, wie sich die Erdkruste verbiegt
Deshalb evakuierten die Behörden bereits vor anderthalb Wochen das Gebiet nördlich des Bardarbunga. Farmer und Touristen verließen die Vulkanzone, dafür kamen Wissenschaftler. Sie bauten zusätzliche Seismometer auf, um die Erdstöße genauer zu erfassen sowie GPS-Stationen, mit denen sie die Verformung der Erdkruste millimetergenau aufzeichnen. „Anhand dieser Daten können wir verfolgen, wie sich das Magma in der Tiefe bewegt und ob ein Ausbruch droht“, sagt Rikke Pedersen vom Vulkanologischen Zentrum der Universität von Island.
Während die Forscher draußen mit dem Auto oder Schneemobil unterwegs sind, um die Geräte zu verteilen, halten sie ständig Funkkontakt zu den Seismologen in Reykjavik. „Sobald wir auf unseren Bildschirmen sehen, dass die Beben in geringerer Tiefe auftreten, müssen wir davon ausgehen, dass das Magma nach oben kommt. Dann geben wir eine Warnung aus“, sagt die Vulkanologin.
Anhand der Messdaten haben die Forscher berechnet, dass das glutflüssige Gestein nicht im Zentrum des Vulkans aufgestiegen, sondern in eine unterirdische Spalte vorgedrungen ist, die sich nach Nordosten erstreckt. Gut 40 Kilometer lang und einige Meter breit ist dieser „Gang“ inzwischen. „Um dieses Volumen zu füllen, reicht die Magmenkammer, die wir fünf Kilometer unter dem Bardarbunga vermuten, nicht aus“, sagt Pedersen. „Offenbar strömt zusätzliches Material aus größerer Tiefe nach.“ Die Wissenschaftler schätzen, dass der Nachschub noch eine Weile erhalten bleibt, was weitere Ausbrüche wahrscheinlicher macht.
Forscher wollen Vulkanasche genau vorhersagen, um ein Desaster wie 2010 zu vermeiden
Tobi Dürig, Geophysiker an der Universität von Island, würde sich darüber freuen – „vorausgesetzt, es kommt niemand zu Schaden“. Er arbeitet an einem Verfahren, das automatisch erkennen soll, wie viel Asche ein Vulkan herausschleudert. Solche Daten sind wichtig, um die Gefährdung für den Luftverkehr, auch in großer Entfernung, zu berechnen.
Genau das hatte 2010 nicht funktioniert. Rund 100 000 Flüge wurden während des Ausbruchs des Eyjafjallajökull gestrichen. Viele davon unnötigerweise, wie sich im Nachhinein herausstellte. Weil die Auswurfmenge nur grob geschätzt war, weil die Computersimulation zur Ausbreitung in der Atmosphäre falsche Angaben machte und weil kein Grenzwert für akzeptable Aschegehalte in der Luft existierte. Um erneute Milliardenschäden zu vermeiden, hat die EU das Projekt „Futurevolc“ gestartet. Die Forscher wollen Methoden entwickeln, mit denen sie die Aschegefahr realistisch einschätzen können. Und dafür brauchen sie einen Ausbruch. „Wir hatten eher auf Grímsvötn, Katla, Eyjafjallajökull und Hekla gesetzt“, sagt Dürig. „Nun müssen wir unsere Apparate umsetzen.“
Immer mehr Wissenschaftler reisen jetzt nach Island
Das Radargerät steht bereits, es kann die Höhe der Aschewolke ermitteln. Der mobile Sensor für elektrostatische Felder ist ebenfalls einsatzbereit. Er basiert auf dem Umstand, dass sich Ascheteilchen elektrostatisch aufladen, wenn sie aneinanderreiben. „Je mehr Asche vorhanden ist und je feinkörniger sie ist, umso größer ist die Oberfläche der Partikel“, erläutert Dürig. „Dementsprechend stark verändert sich das elektrostatische Feld – und das wollen wir messen.“
Weil die Erdstöße nicht abreißen und sich offenbar immer mehr Magma in den Gang schiebt, reisen in diesen Tagen weitere europäische Wissenschaftler mit ihren Messinstrumenten zum Bardarbunga. Sie wollen UV- und Infrarotkameras aufbauen sowie Gasmessgeräte und Infraschallsensoren. Außerdem haben sie bereits an einem Gletscherbach ein Gerät zur Wasseranalyse installiert. Damit wollen die Forscher Chlor, Fluor und Schwefel aufspüren, die mutmaßlich mit dem Magma nach oben kommen. Sollte der Berg keine Ruhe geben, dürfte es die am besten überwachte Eruption in der Geschichte der Vulkanologie sein.
Die Berge können wochenlang aktiv sein
Die ersten Episoden haben sie bereits detailliert aufgezeichnet. Am Mittwoch entdeckte Dürig während eines Überwachungsfluges tiefe Furchen in der Landschaft jenseits des Gletschers. Aus den GPS- und Seismometerdaten hatten die Wissenschaftler zuvor geschlossen, dass der Gang mit dem heißen Magma bis unter eisfreies Gelände vorgedrungen war. Die Furche – sie entsteht wenn sich der Untergrund weitet und Gestein nach unten sackt – lässt vermuten, dass das Magma nicht in fünf Kilometern Tiefe stecken geblieben war, sondern näher an die Oberfläche kam, sagte der Forscher am Donnerstag. Es sollte noch gut 24 Stunden dauern, bis genau an dieser Stelle zum ersten Mal Lava hervorstieß.
Mit der Spalteneruption vom Freitag ist der Druck im Untergrund geringer geworden, die Erdbeben sind etwas abgeklungen. Von anderen Vulkanen in Island wissen die Forscher jedoch, dass die Berge durchaus über Wochen aktiv sein können.
Gesteinsschmelze wird zu Sprengstoff
Nach wie vor besteht die Gefahr, dass sich die Eruptionen verlagern. Entweder zum Nachbarvulkan Askja oder in Richtung Gletscher. Das hätte verheerende Folgen. Die Lava ist so heiß, dass sie rund die zehnfache Menge an Eis schmelzen kann. Dadurch drohen Überschwemmungen. Vor allem macht Wasser das Magma zu einer unberechenbaren, explosiven Bestie. Das Wasser wird in weniger als einer Tausendstelsekunde auf über 500 Grad erhitzt und dehnt sich dabei stark aus. Das umgebende Magma kann die Verformung nicht abpuffern und wird regelrecht zerfetzt. Dadurch wiederum wird die Angriffsfläche für Wasser noch größer, die Explosion treibt sich immer weiter an. Es entstehen große Mengen feiner Asche, die in die Atmosphäre geschleudert wird.
Wie diese Reaktionen ablaufen, erforschen Ralf Büttner und seine Kollegen im Vulkanologielabor der Universität Würzburg. Mit ihren Experimenten wollen sie herausfinden, welche Art von Eruption bei bestimmten Vulkanen zu erwarten ist. Denn die Zusammensetzung der Schmelze ist in jedem Feuerberg anders. Deshalb nehmen die Forscher erstarrte Lava von früheren Eruptionen, zerkleinern diese und füllen sie in einen drei Zentimeter großen Tiegel. Die Probe wird geschmolzen und dann per Fernsteuerung Wasser hinzugegeben. „Die Schmelze reagiert wie Sprengstoff. Mit mehreren hundert Metern pro Sekunde fliegen die Bruchstücke aus dem Tiegel“, berichtet Büttner.
Experimente hinter Panzerglas
Die Experimente verfolgen die Wissenschaftler hinter Panzerglas. Im Labor haben sie ein ähnliches Arsenal, wie es derzeit am Bardarbunga aufgebaut wird: Hochgeschwindigkeitskameras, Infrarotsensoren, Seismometer, elektrostatische Sensoren und Infraschallgeräte. „So können wir feststellen, wie sich das Material eines bestimmten Vulkans bei einem Ausbruch verhält“, sagt der Geophysiker. „Diese Daten sind die Grundlage für Gefährdungskarten.“ Fast jeden Vulkan von Rang und Namen haben die Würzburger bereits auf ihrem Tisch gehabt, zumindest teilweise. Stromboli, Ätna, Popocatepetl.
Der Bardarbunga war noch nicht dabei, er stand lange Zeit nicht im Fokus der Wissenschaftler. Die letzte große Eruption war vermutlich 1910, zu großen Teilen liegt er unterm Eis des Vatnajökull-Gletschers, dementsprechend wenig ist er erforscht. Das ändert sich gerade. Nach dem Ausbruch des Eyjafjallajökull startete Island ein Programm, das das Gefährdungspotenzial der einzelnen Vulkane ermitteln soll. 15 bis 20 Jahre werden sie brauchen, schätzen die Fachleute. Gut möglich, dass ihnen der Bardarbunga schon eher einen Eindruck davon gibt, welche Kraft in ihm steckt.
Aktuelle Informationen zur Aktivität des Vulkans sind auf den Webseiten der Meteorologiebehörde und der Universität von Island zu finden.