Hamburg wählt Lenzen: Ein Präsident macht Wind
Wo ist Dieter Lenzen? Wann tagen die Gremien? Wie geht es weiter? Die Berufung des Berliner Uni-Chefs nach Hamburg geriet am Freitag zum Katz-und-Maus-Spiel. Zwischendurch hieß es: Alles ist abgeblasen. Dann ein Anruf.
Einen Tag zur beruflichen Orientierung und Berufswegplanung haben sie am Freitag angeboten im „Career Center“ der Universität Hamburg, Monetastraße, vormals Casernenstraße, aber da tauchte derjenige, dessen berufliche Zukunft die Hochschulen derzeit am meisten interessiert, natürlich nicht auf.
Dieter Lenzen blieb am Tage zunächst unsichtbar, während erneut die Gremien tagten, die am Vortag durch aufständische Studierende gestört worden waren.
Kommt Lenzen, der in Berlin der Freien Universität, kurz FU, die Flügel verlieh, mit denen sie sich in höchste akademische Ränge schwang, nach Hamburg? Wird er an der Universität der Hansestadt, die seit Monaten führungslos vor sich hindümpelt, die zuvor einen langen Machtkampf gegen ihre – ebenfalls sehr ehrgeizige – Präsidentin austragen musste, dasselbe noch einmal vollbringen? Und wenn, um welchen Preis?
Zunächst mal um den Preis, peinlich zu scheitern.
Die Entscheidungsfindung nämlich geriet am nunmehr zweiten Tag zum Katz-und- Maus-Spiel. Was für den Kandidaten, immerhin den einzigen, über den Hamburg zu entscheiden hatte, ärgerlich war.
Lenzen hatte sich eine lautlose und zügige Wahl in Hamburg vorgestellt. Nach seinem heimlichen Überlaufen von der Spree an die Alster hätte er sich der überraschten Berliner Öffentlichkeit bei einer Pressekonferenz präsentiert, die FU wäre schmerzhaft, aber kurz vor den Kopf gestoßen worden, und fertig. So weit der Plan. Stattdessen führte eine quälend langsame Entscheidungsfindung zu immer lauteren Gegenreaktionen. Für Lenzen eine unangenehme Wackelpartie, für seine Hochschule – noch ist das ja die FU – ein Schrecken.
Schon zehn Tage vor der geplanten Wahl am Donnerstag war die Personalie Lenzen als Gerücht zu den Medien durchgesickert. Der Betroffene dementierte nicht, teilte aber mit, er bekomme oft interessante Angebote, die stets vertraulich zu behandeln seien – und meldete sich krank.
In Hamburg begann das Vernebeln. Wann gewählt wird, und wie? Keine Auskunft. Die Studierenden, ohnehin wegen des Bildungsstreiks in Rage, vernetzten sich über die Stadtgrenzen hinweg und bereiteten Lenzen am Wahltag in Hamburg zu Hunderten einen wütenden Empfang. Wo immer die Universitätsgremien zusammentraten, ging ihre Sitzung im Geschrei unter, Lenzen konnte seine vorbereitete Powerpoint-Präsentation nicht vorführen, die Wahl begann sich zu verzögern, auf Twitter kolportieren Studierende zuletzt gar, Lenzen wolle seine Kandidatur zurückziehen. Sogar da schwieg die Universität weiter, auch am Freitag ging das so.
Keine Auskunft zu niemandem, Gerüchte aber überall, die Gremien seien ins Desy geflohen, ein physikalisches Forschungszentrum weit im Westen der Stadt, twitterten die Studierenden am Nachmittag, und dass Lenzens Wahl unmittelbar bevorstehe.
Was mag Lenzen in den langen Stunden empfunden haben? Reue vielleicht, dass er überhaupt an Hamburg gedacht hat?
Ein harter Kern von Studierenden um den linken Berliner FU-Asta war es, der Lenzen schon seit langem zu einer Hassfigur stilisiert hat. Schon äußerlich entspricht der Präsident ihrem Beuteschema. Der groß gewachsene Mann mit dem kahlen Schädel trägt teure Anzüge und Uhren. Er macht Forschungsprojekte auch mithilfe von BMW und anderen Konzernen, ist Gründungsmitglied des Fördervereins der als neoliberal kritisierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Lenzen, da sind sich jetzt auch die Hamburger Studierenden sicher, ist Deutschlands Agent für einen „neoliberalen Umbau des Bildungssystems“, wie sie in einem dicken Dossier über Lenzen schreiben. Als Erziehungswissenschaftler betreibe er „Elitenförderung“ und wolle „Dressur statt Bildung“. Die Uni sei für ihn ein Unternehmen.
Tatsächlich ist Lenzen aber viel origineller und vielseitiger. Als seine Amtskollegen lauthals Studiengebühren forderten, war Lenzen dagegen. Gebühren würden sozial selektiv und abschreckend wirken, erklärte er, vielmehr solle man darüber nachdenken, ob man angesichts der sinkenden Geburtenraten nicht bald Abiturienten mit viel Geld an die Uni locken müsse. Auch ist Lenzen nicht nur bei Wirtschaftsbossen beliebt, sondern auch bei Frauenbeauftragten.
Lenzen wurde Erziehungswissenschaftler, weil ihm als Schüler in der autoritären Schule der 50er Jahre die Hände vor Angstschweiß am Pult festklebten. Als Forscher versteckte Lenzen sich dann keineswegs mit „elitärer Distanz“ im Elfenbeinturm, wie man ihm jetzt vorwirft, sondern begab sich zur Feldforschung unter Berliner Hauptschüler.
Lenzen hat keine Berührungsängste. Nicht einmal zur Universität Hamburg. Die Uni sei „in desolatem Zustand“, sagt ein Kenner, und zwar: „innen und außen“. Innen sind die Uni-Angehörigen heftig über die Ausrichtung der Hochschule zerstritten. Auch die Fassaden des Campus sind marode. Eng beieinander stehende Unigebäude, größtenteils gesichtslose Hochhäuser aus den 60er und 70er Jahren mit trüb klingenden Namen wie „Wiwi-Bunker“ und „Phil-Turm“. Notwendige Erweiterungen sind nicht möglich, Sanierung wäre bei vielen Häusern teurer als ein Neubau.
Deshalb gab es zwischendurch gar den Plan, die Hochschule solle in die gerade entstehende Hafencity umziehen, zwischen marmorgeflieste Managerlofts und spektakuläre Bürobauten. Es gibt bereits Detailpläne eines Architekturbüros, die zeigen, wie sich die Fakultäten an der Norderelbe künftig verteilen sollen. Die Kosten für dieses Projekt wären gigantisch: Summen zwischen drei und 20 Milliarden Euro kursieren.
Es ist ein Plan, der an der Uni selbst bekrittelt wird, befördert wurde er von der Wissenschaftsbehörde und Monika Auweter-Kurtz, derjenigen Präsidentin, die im Sommer aus dem Amt gedrängt worden war.
Auch sie ist nicht gerade ein Beispiel für besonders geschickten Umgang der Hamburger mit Spitzenpersonal. Auweter-Kurtz, eine Spezialistin für Raumfahrtforschung aus Stuttgart – was ihr den Spitznamen Raketen-Moni eintrug –, war 2006 angetreten, um die Uni endlich auf Vordermann zu bringen. Nicht nur mit dem Umzug in die Hafencity, auch wissenschaftlich verfolgte Auwetter-Kurtz große Pläne. Ihre autoritäre Art kam bei den Hanseaten allerdings gar nicht an, was in offene Feindschaft umschlug, als die Präsidentin einen Maulkorberlass verfügte: Ihre Professoren sollten nicht mehr ungenehmigt mit der Presse sprechen. Es kam zu dramatischen Gegenreaktionen: 120 Hochschullehrer taten sich zusammen und unterzeichneten einen offenen Brandbrief, in dem sie die Abwahl von Auweter-Kurtz forderten. Die Dekane legten nach und beklagten in einem weiteren Schreiben ein „Klima des Misstrauens“. Hinterher hieß es, Auweter-Kurtz sei nicht nur an ihren mangelnden Kommunikationsfähigkeiten gescheitert – sondern auch am Unwillen vieler an der Uni, Veränderungen mitzutragen.
Im Audimax der Hamburger Universität gab es am Freitag vor allem leere Sitzreihen. Nur noch ein paar Aktivisten vom Vortag waren da. „Wählt ihn nicht!“, hatten sie dem Akademischen Senat am Donnerstag zugerufen. Am Tag danach dann haben sie den Gegner aus den Augen verloren, nur ihre Handys sind dauernd im Einsatz. Wo ist Lenzen? Was gibt es Neues?
Gegen 17 Uhr dann ein Anruf. Es ist vollbracht. Er ist gewählt.
Danach erst eine Reaktion von Lenzen, eine zufriedene. Jetzt werde er mit den Hamburgern über die Details verhandeln, ließ er mitteilen.
Man solle die studentischen Aktivisten ernst nehmen, sagt in Hamburg die Erziehungswissenschaftlerin Adelheid Hu, „deren Protest gegen die Ökonomisierung der Hochschulen, den Elitebegriff und den Trend zur Entdemokratisierung“. Auch ihre Kollegen denken so. Ein Professor der Geisteswissenschaften will von Berliner Kollegen gehört haben, Lenzen sei durchsetzungsfähig, aber nicht integrationsfähig. Seinen Namen nennt der Professor nicht. Er habe schon mit Auweter-Kurtz Ärger gehabt.
Und in Berlin? Nachdem man zuerst von einer Falschmeldung ausgegangen war – Lenzen will weg? Unsinn! –, ist die Vorstellung, den FU-Präsidenten tatsächlich zu verlieren, schockierend. Man beginnt auch, übel zu nehmen. „She is a Lady“, hat Lenzen die Uni Hamburg zu ihrem 90-jährigen Jubiläum in einer Festrede charmiert. Und nun beginnt die FU, sich wie eine betrogene Ehefrau zu fühlen. Kann er zu ihr zurück, sollte es mit Hamburg nicht gut gehen?
Man soll segeln, wenn der Wind weht, sagen die Hamburger, und am Freitag wehte nicht nur ein frisches Lüftchen durch die Hansestadt, es schien auch die Sonne so strahlend wie die ganze Woche nicht. Ideales Wetter für einen Aufbruch. Ein wasserfestes Boot braucht man aber.
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