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Eine Läuferin checkt ihre Pulsuhr.
© Jacob Ammentorp Lund/Getty Images/iStockphoto

Fitness-Apps und smarte Uhren: Ein persönlicher Sieg, ein virtueller Pokal

Fitness-Apps und smarte Uhren treiben klassische Aufschreibesysteme auf die Spitze, was durchaus Gefahren mit sich bringt. Eine kleine Geschichte der Selbstvermessung.

Er habe gerade eine neue Uhr gekauft, erzählt Arne Josten, engagierter Freizeitsportler in Zürich, während sich die Läufergruppe in Bewegung setzt. Prompt sei er einen Streckenabschnitt schneller gelaufen, als dieser eine Typ, der in der lokalen Läuferszene als Koryphäe gilt. Dieses Tool sei einfach so motivierend.

Technische Errungenschaften aus jüngerer Zeit ermöglichen dies: Auf Apps und Plattformen wird abgebildet, was andere Sportler geleistet haben, werden ihre absolvierten Strecken sichtbar, wie schnell und lange sie unterwegs waren, wie die Herzfrequenz verlaufen ist. Einem Reisebericht gleich, können auch Fotos ergänzt werden. Die Plattform Strava beispielsweise erstellt virtuell Ranglisten einzelner Streckenabschnitte und vergibt Pokale für die Schnellsten. Sehen kann das jeder, der angemeldet ist, es sei denn, die Nutzenden schränken die Rechte ein. Die Durchlässigkeit der eigenen Körperdaten ist dabei omnipräsent.

Die Daten sind noch vor dem ersten Glas Wasser online

Die digitale Selbstvermessung und das Teilen dieser Daten ist im Breitensport qualitativ und quantitativ zu neuen Dimensionen angewachsen. Die Systeme sind einfach zu handhaben, synchronisieren die eigenen Daten und stellen diese online, noch bevor das erfrischende Glas Wasser nach dem Sport getrunken wurde.

Doch das Festhalten von Körperdaten im Ausdauersport mittels digitaler Technologien dient nicht nur zum Vermessen des Körpers. Die smarten Geräte liefern auch Informationen, die zu einer Selbstreflexion und -veränderung des eigenen sportlichen Verhaltens führen können: „Also ich laufe jetzt zu Beginn der Saison noch mit Pulsuhr, und insbesondere jetzt nach meiner Erkältung, damit ich einfach auch wirklich ruhig beginne. Als Kontrolle“, berichtet der Triathlet und Trainer Sascha Wenzel.

Die metrischen Komponenten lassen zu, Leistungen zu überprüfen und sie zu vergleichen. Sie wirken vielfach nach gouvernementalischen Prinzipien, einen Begriff, den Michel Foucault in den 1970er Jahren prägte: Es findet ein Fremdregieren, Kontrollieren und Überprüfen des Eigenen durch andere statt, hier personifiziert durch die Sportuhren oder die Statistiken der Apps. Dabei würde „aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer eine Reihe von Operationen“ an Körper oder Seele, Denken, Verhalten beziehungsweise Existenzweise vorgenommen, „mit dem Ziel, sich so zu verändern, dass einen gewissen Zustand des Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit erlangt“ würde, schreibt der Soziologe.

Zigaretten, Koitus, Seilsprünge: Musil hielt alles akribisch fest

Gleichzeitig sind Aufschreibesysteme, die Leistungen abbilden, keine Neuheit. Historisch betrachtet ist das Messen und Erheben von Daten, die mit den Leistungen des Körpers verknüpft sind, lange präsent. Auch in vordigitaler Zeit existierten sie: In Form handgefertigter Listen und Tabellen. Kornmengen wurden notiert, Bevölkerungszahlen erfasst – Marias und Josefs Reise ist als wohl populärster Ausdruck der Obrigkeiten zu verstehen, etwas zu messen. Dabei ist nicht das Vorhandensein der Technik die Voraussetzung zum Festhalten von Daten. Relevant ist der Wunsch, messen zu wollen.

Listen, die Daten zum eigenen Leben abbilden, erstellte beispielsweise der Schriftsteller Robert Musil, der etwa akribisch festhielt, wie viele Zigaretten er rauchte. Die letzte um elf, kurz vor seinem Tod in der Badewanne des Genfer Wohnhauses. Dieses Aufschreibesystem war wohl auch Teil damaliger Konzepte, das Rauchverhalten in den Griff zu bekommen, litt er doch an hohem Blutdruck. Auch daher scheint es nicht verwunderlich, dass Musil notierte, wann er einen Koitus erlebte. Seine Frau fürchtete, so viel ist überliefert, besonders in seinen letzten Lebensjahren einen plötzlichen Herzstillstand beim Geschlechtsakt. Dass Musil zeitgleich am Novellenband „Vereinigungen“ schrieb, ist ein hübscher Zufall.

Musil sah die gesteigerte Selbstkontrolle auch als Weg, um das Bewusstsein auszuschalten. Es ins Off zu rücken, sei notwendig um Höchstleistungen zu erzielen, schrieb er. Dafür tätigte er zeitweise bis zu 1000 Seilsprünge. Regelmäßig zu trainieren würde dazu führen, den Körper zu beherrschen und verhindere, dass der Körper den Sportler beherrsche. Der Sport in der Weimarer Republik könne „als der Inbegriff eines messenden und zählenden, rational planenden Zugriffs auf den eigenen Körper gelten“, erklärt der Historiker Frank Becker. In dieser Zeit wurde der Sportler auch zu einer Beispielfigur, die Selbstkontrolle und Disziplin verkörperte.

Wettkampf mit anderen, die jedoch abwesend sind

Eine Reproduktion dieser Vorbilder findet sich im 21. Jahrhundert wieder, verkörpert in Form von Uhren und Apps. Erst die genaue, detailreiche und einfach aufbereitete Zahlenkenntnis ermöglicht, diese Daten als Beispiele zu lesen und so massentauglich, ad hoc oder auch geplant sichtbar werden zu lassen. Anders Aufschreibesysteme, die vor digitalen Erfassungstechniken existierten, bilden die neuen Datenmengen detailreiches Wissen ab, das automatisch generiert wird. Diese Sichtbarkeit der eigenen Leistung führt zu einer (optionalen) Wiederlesbarkeit der eigenen Daten, wobei sie permanent auf ihren Gehalt geprüft werden können: „Bin ich so schnell gelaufen wie gestern?“, „Wie lange war ich unterwegs?“ Aber auch andere können die Daten lesen: „Wie schnell ist er gelaufen?“, „Wie lang war er unterwegs?“

Josten, der ambitionierte Freizeitsportler, der auf einem Streckenabschnitt schneller gelaufen ist, als diese Läuferkoryphäe, weiß schon: Im Wettkampf würde er ihn nicht schlagen. Aber auf dem Streckensegment konnte er den Triumph einheimsen – der digitale Abgleich ermöglicht es. Ein persönlicher Sieg, ein virtueller Pokal. Der Vergleich bis hin zum Wettkampf mit anderen, die jedoch abwesend sind, wird so ermöglicht. Dies kann anspornen. Es kann dazu führen, wieder an einen Ort zu gehen, um die Bestzeit über ein Streckensegment zu behalten oder eine andere Person auf der virtuellen Rangliste zu schlagen. Sie ermöglichen den Wettkampf im Kleinen. Immer dann, wenn die Uhren oder die App gestartet wird und es in den eigenen Tagesplan passt.

Sogar für Meditierende gibt es eine Wettbewerbs-App

Ob es einem nun passt oder nicht begrüßen sogar Meditationsapps mit: „Track your stats, see your milestones“. Wer Entspannung sucht, wirst erst einmal mit einer kompetitiven Formel begrüßt. Insgesamt waren es beispielsweise 24 Stunden, 83 Lektionen und im Schnitt 17 Minuten, die meditiert wurden. Auch weiß die App zu welchen Themen die Meditationen waren. Und Freunde, die auch meditiert haben? Alles sichtbar. Beim Klick auf sogenannte Ziele erscheinen Medaillen und bunte Zeichnungen neben Sprüchen mit Lebensweisheiten. All das kann nach den Meditationen direkt auf sozialen Medien geteilt werden.

In einer Gesellschaft, die derartige Programme frequentiert, verwundert es kaum, dass der in den Bergen lebende Ausdauersportler Lukas Keel über seine Trainings sagt: „Du hast eigentlich meistens einen Wettkampf gegen dich selbst.“ Ob Distanz oder Höhenmeter, er vergleicht, was er jedes Jahr absolviert habe. Die Uhren lassen dies zu. „Und dann vergleichst du halt auch, oder?“

Keel weiß auf den Tag genau, wie viel mehr er im Vorjahr absolviert habe. „Das macht schon Stress!“ Genau darin liegt auch die Gefahr der Uhren. Das Vergleichen mit der eigenen Leistung ist das eine und könnte reflektiert betrachtet werden. So sieht auch Keel, dass es zwar das Wetter gewesen sei, das ihn daran hindere in die Berge zu gehen, doch präsent bleibt der Gedanke, dass er manchmal seiner eigenen Leistung hinterherhinke.

Die Gefahr, einen falschen Ehrgeiz zu entwickeln

Weniger reflektiert können die Vergleiche mit anderen sein, die jedoch abwesend sind: Durch die digitalen Daten liegt noch kein umfassendes Wissen zu Lebensstil, Sportlerbiografie oder Tagesform vor. Dies kann allerdings dazu führen, Leistungen zu überhöhen oder falschen Ehrgeiz zu entwickeln.

„Der Mensch ist sozusagen eine Art Prothesengott geworden“, schrieb schon Sigmund Freud. „Recht großartig, wenn er alle seine Hilfsorgane anlegt, aber sie sind nicht mit ihm verwachsen und machen ihm gelegentlich noch viel zu schaffen.“ Uhren und Apps für körperliche Praktiken beeinflussen das Handeln der Nutzenden, die Inputs, die die Geräte liefern, führen zu Anpassungen des Verhaltens in verschiedene Richtungen. Nur durch das Feedback, das die Fülle an Daten liefert, werden derartige Verhaltensformen überhaupt möglich und somit relevant. Zum Beispiel wie lange der ambitionierte Freizeitsportler noch Rekordhalter auf dem Streckensegment bleibt – oder ob ein anderer ihm den Pokal abnehmen wird.

Die Autorin ist wissenschaftliche Assistentin am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft – Populäre Kulturen der Universität Zürich. Im Rahmen ihrer Dissertation zum Thema „Triathlon aus kulturwissenschaftlicher Perspektive“ beschäftigte sie sich als Mitglied des DFG-Netzwerkes Wettbewerb und Konkurrenz auch mit dem Thema von Mess- und Vergleichspraktiken.

Yonca Krahn

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