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Störfeuer. Im Gehirn von Epilepsie-Patienten wird bei einem Anfall ein Sturm von Nervenzellimpulsen ausgelöst. Die überschießenden elektrischen Reize lassen sich mitunter auch schon vor dem „Hirnkrampf“ im Elektroenzephalogramm (EEG) erkennen.
© BSIP/Mauritius

Gentherapie: Ein Dämpfer für das Hirn

Eine Gentherapie aus Berlin verhindert epileptische Anfälle. Bei Mäusen. Jetzt soll die Technik in die Klinik.

Am Anfang kriecht eine unerklärliche Angst heran. Oder es ist Wut, ein plötzliches Gefühl der Niedergeschlagenheit, manchmal auch des Glücks. Aber das ist nur der harmlose Vorbote, das erste Anzeichen der Anfälle, bei denen ein chaotischer Sturm von Nervenzellimpulsen durch das Gehirn tobt und es in einer Art Krampf lähmt. Solche Epilepsien gibt es in vielen verschiedenen Formen, manche sind gut behandelbar mit Medikamenten, die Temporallappen-Epilepsie ist es bei über der Hälfte der Patienten nicht. Sie startet einem defekten Nervenknäuel im Hippocampus, dort, wo das Gehirn Lernvorgänge und Gefühle kontrolliert. Je mehr Anfälle, die mitunter mehrfach am Tag auftreten können, umso stärker schwindet das Gedächtnis, Gefühle geraten außer Kontrolle und Depressionen und sogar Selbstmorde sind die Folge.

Eine Spritze ins Gehirn und die Anfälle bleiben aus

„Ein zunehmend elendes Leben und die Patienten leiden unter diesen Sekundärfolgen oft viel mehr als unter den Anfällen selbst“, sagt Regine Heilbronn vom Berliner Universitätsklinikum Charité. Expertin für Epilepsien ist die Virologin nicht, aber sie hat in den vergangenen fünf Jahren eine Technik entwickelt, die Mäuse bereits von epileptischen Anfällen kuriert hat und auch menschlichen Patienten helfen könnte.

Um die Gentherapie in die Klinik zu bringen, hat sich die Forscherin am „GO-Bio“-Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung beteiligt, mit dem die Umsetzung neuer Therapieideen in die klinische Anwendung gefördert werden soll. Am Donnerstag wurde Heilbronn auf den „Deutschen Biotechnologietagen 2018“ im Kongresszentrum am Alexanderplatz als eine von acht Preisträgern ausgezeichnet.

Monatelang ohne Symptome

Schon vor über zehn Jahren hat sich die Wissenschaftlerin mit Viren beschäftigt, die sich als Transportvehikel nutzen lassen, um Erbinformationen in menschliche Zellen zu bringen, insbesondere Adeno-assoziierte Viren (AAV). Sie bringen den Bauplan für eine wichtige Substanz in die Zellen von Patienten, denen eben dieser Stoff fehlt. Bei der Temporallappen-Epilepsie ist das ein bestimmtes Neuropeptid, Dynorphin, das in den Nervenknäueln fehlt, von denen die Anfälle ausgehen.

In diese Regionen will Heilbronn Viren spritzen, die sie zuvor im Labor mit der Erbinformation für das Neuropeptid beladen hat. „Das funktioniert besonders gut in Nervenzellen“, sagt Heilbronn. „Der Fokus im Gehirn, von dem die epileptischen Anfälle ausgehen, wird lokalisiert und der Chirurg führt eine haarfeine Kanüle ein, ein paar Mikroliter Viren werden injiziert – und fertig.“ Mäuse, die zuvor unter epileptischen Anfällen litten, hatten nach einer einzigen Injektion monatelang keine Symptome mehr. „Auf den Menschen übertragen – und es gibt etwa 600.000 Betroffene in Europa – würde das Jahre ohne Anfall bedeuten“, sagt Heilbronn.

Ein natürlicher Dämpfer für Nervenimpulse

Das Dynorphin wirkt dabei wie ein Dämpfer auf die Reizweiterleitung. Es tritt – eleganterweise – erst in Aktion, wenn ein Anfall droht. Das liegt daran, dass das Neuropeptid dem Bauplan gemäß, den die Viren in die Zellen gebracht haben, hergestellt und dann zunächst gespeichert wird. Das Dynorphin liegt in kleinen Kügelchen, Vesikeln, in der Zelle und entfaltet sich erst, wenn eine „hochfrequente neuronale Erregung“ die Zellen erfasst. „Und das passiert eben nur kurz vor einem epileptischen Anfall, aber eben nicht im normalen Leben“, sagt Heilbronn. Offenbar ist es eine der Aufgaben von Dynorphin, zufällig überschießende Impulse von Nervenzellen zu dämpfen und eine Weiterleitung und ein Aufschaukeln zum dem gefürchteten Sturm von Impulsen zu verhindern.

Warum das Peptid in den Nervenzellknäueln von Patienten mit Temporallappen-Epilepsie fast völlig fehlt, ist unbekannt. „Es gibt sicher unterschiedliche Gründe, am Ende hat es aber wohl damit zu tun, dass die Nervenzellen in diesen Regionen absterben“, sagt Heilbronn. „Aber es bleiben immer noch genug Zellen übrig, in die wir die Information für die Produktion des Peptids einschleusen können.“

Dass das Virus-Erbgut in sehr seltenen Fällen auch ins Genom der menschlichen Zellen geraten und dabei Gene verändern oder zerstören könnte, hält Heilbronn für kein relevantes Risiko. „Es ist richtig, dass das Viruserbgut mitunter ins Genom integriert, aber nur, wenn sich die Zellen teilen. Nervenzellen tun das nicht mehr.“ Bringt man Adeno-assoziierte Viren (AAV) hingegen in Zellen ein, die sich noch häufig teilen und vermehren, ist Vorsicht geboten. „Aber im Gehirn ist das kein Thema.“ Außerdem werde AAV im Gehirn seit Jahren klinisch getestet. Bei Primaten funktionierte das Konstrukt sogar noch nach 15 Jahren, ohne erkennbare Nebenwirkungen.

Nächster Schritt: Biotech-Firma gründen - natürlich in Berlin

Bis Heilbronns Gentherapie an ersten Patienten getestet werden kann, sind allerdings noch jahrelange Vorarbeiten nötig, die nun aber mit den rund drei Millionen Euro der GO-Bio-Förderung finanziert werden können. Zum einen müssen die AAV-Gentransporter für Tests am Menschen unter strengen klinischen Standards produziert werden, wie sie für alle Medikamente gelten. „Das allein kostet sicher ein bis zwei Millionen Euro“, sagt Heilbronn. Außerdem fordern die Behörden weitere „präklinische“ Tests, die Hinweise auf Wirksamkeit und Sicherheit geben. „Immerhin haben wir schon Daten, wie die Technik in menschlichem Gewebe funktioniert.“ Dabei handelt es sich um die epilepsieauslösenden Nervenknäuel von Patienten. Mitunter werden sie operativ entfernt, obwohl das Risiko groß ist, nicht nur den Epilepsie-Herd, sondern auch benachbarte Hirnareale zu verletzen – mit entsprechenden Nebenwirkungen. „Man kann dieses Gewebe einige Stunden in Kultur halten und untersuchen“, sagt Heilbronn. „Als wir die Neuropeptide daran testeten, wirkten sie tatsächlich dämpfend auf die Weiterleitung von Reizen, so wie in Mäusen.“

Für klinische Studien an Dutzenden und später Hunderten von Patienten wird das GO-Bio-Geld allerdings bei weitem nicht reichen. Heilbronn, die die Gentherapie seit Jahren gemeinsam mit dem Neuropharmakologen Christoph Schwarzer von der Medizinischen Hochschule Innsbruck entwickelt, plant daher in den nächsten ein, zwei Jahren eine Biotech-Firma zu gründen. Daran führe kein Weg vorbei, wenn ihre Idee am Ende Patienten helfen soll. Nur so könnten interessierte Investoren angelockt werden, um die nötigen Studien, die zweistellige Millionenbeträge kosten können, finanzieren zu können. Dass dieses Start-up in Berlin entstehen wird, da ist sich Heilbronn sicher. „Das Biotech-Nest ist in München sicher größer, aber es gibt auch genügend Biotech-Erfahrung in Berlin.“ Vor allem die Kontakte in die Charité seien gut. Dafür ist Heilbronn sogar bereit, die bürokratischen Hindernisse zu ertragen, für die Berlin ja bekanntlich so berüchtigt sei.

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