Hotel Waldhaus in Sils-Maria: Eigenwille mit fünf Sternen
Das Hotel Waldhaus in Sils-Maria ist ein Kleinod. Familiengeführt seit 1908 bewahrt es altes Flair.
Am Rande des Laret-Waldes unter duftenden Kiefern sitzen drei Musikanten in einer Art hölzernem Wetterhäuschen und bringen die Bergluft zum Schwingen. Zur Mittagszeit, wenn es noch warm genug ist in Sils-Maria, spielt das hauseigene Trio auf der Terrasse des Hotel Waldhaus „Sweet Georgia Brown“, und die Gäste wippen mit den Füßen, während sie das Brot in die Rieslingcremesuppe stippen. Felix Dietrich im sportlichen Dress geht von Tisch zu Tisch und fragt nach dem werten Befinden. Man kennt sich seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten. „Guten Appetit! Darf ich mich vorstellen? Ich bin der Senior“, wird der Neuling begrüßt. „Eigentlich bin ich ja gar nicht mehr da.“
Wir sind da, und zwar im Oberengadin, 1800 Meter hoch, im Schweizer Kanton Graubünden. Wer von St. Moritz kommt und die Straße entlang dem Silvaplaner See Richtung Sils-Maria fährt, sieht bald aus dunklen Tannen auf einer Hügelkuppe das Hotel Waldhaus aufragen. Was auf den ersten Blick so aussieht wie eine Festung im Finsterwald, ist eines der ungewöhnlichsten Hotels der Schweiz. Berühmtheiten von Adorno bis Visconti haben dort ihre Ferien verbracht. Bis heute zieht es Aufsehenerregende, Bescheidene, Intellektuelle, Solisten und ganze Familienverbände, vor allem jedoch Erholungssuchende ins Waldhaus.
1908 wurde das vom Architekten Karl Koller in einer Mischung aus Burg und Grandhotel entworfene Haus eröffnet, als der Wintertourismus in den Alpen Einzug hielt. Seitdem ist die Nobelherberge ohne Unterbrechung in Obhut der Nachkommen ein und derselben Familie und allein deshalb ein Kleinod in der weltweiten Ferienlandschaft.
Der Urlauber fühlt sich umsorgt von Mitgliedern der Familien Dietrich und Kienberger und ist in derart exponierter Lage für eine Weile gänzlich aus der Welt. Das vom Ur-Urgroßvater Josef Giger (1847–1921) in den Wald gesetzte Hotel wird nun in fünfter Generation von Claudio und Patrick Dietrich geführt. Damit sie es nicht zu leicht haben, steht ihnen ihr Onkel Urs Kienberger vor allem auch mit Humor als „Direktor für das Unnötige“ zur Seite.
Eine Runde durch das ehrwürdige Haus
Der Fahrer am Bahnhof St. Moritz hatte unsere Koffer in den Hotelbus gewuchtet und ab ging’s. Im Foyer der Herberge standen schon die Direktoren bereit. Im Waldhaus wird jeder Gast persönlich begrüßt und verabschiedet. „Manche kommen zehn Mal im Jahr, andere seltener“, sagt Urs Kienberger. „Beziehungen zu schaffen, das ist allerdings nicht einfacher geworden. Heute bleiben die Gäste nicht mehr so lange.“ Wir beziehen ein gemütliches Zimmer im Turm mit einer grandiosen Aussicht auf den Silser See und Maloja, wo hinter dem gleichnamigen Pass das liebliche Bergell und Italien liegen.
Dann drehen wir eine Runde durch das ehrwürdige Haus und erfreuen uns an den Jugendstilkronleuchtern im Treppenhaus, den ehrwürdigen Holzpaneelen, den originalen Wandbespannungen im Musikzimmer und an der kleinen feinen und stillen Bibliothek, in der schon Hermann Hesse und Albert Einstein saßen. 141 Zimmer und Suiten hat das Haus, alle jeweils anders ausgestattet. Ein Zimmer stammt sogar original aus dem Jahr der Eröffnung, und seine weißen Möbel mit den goldfarbenen Verzierungen wurden liebevoll aufgearbeitet. Wie überhaupt das ganze Haus das Flair der Belle Epoque bewahrt hat.
Vom Hotel weg spazieren wir los in den lichten Laretwald, eine Art Märchenwald, dessen lauschige Wege in das Örtchen Sils-Maria, ins nahe Fextal, nach Maloja und an den Silser See führen. Im Herbst spannt sich ein stahlblauer Himmel über die Landschaft, und die Hänge der Berge scheinen zu glühen, weil die Lärchen sich für eine Weile goldgelb verfärben, bevor sie ihre Nadeln abwerfen.
Ist das hier ein Theater?
Am Seeufer besteigen wir die kleine „Segl Maria“. Von diesem Kursschiff aus können wir auf der Halbinsel Chasté die Bank unter den Lärchen ausmachen, auf der Friedrich Nietzsche während seiner Silser Zeit 1881 bis 1888 manchmal gesessen haben soll. Am Steg des Weilers Isola steigen wir aus und besuchen Vreni und ihre 120 Bündner Strahlenziegen, aus deren Milch sie köstlichen Mascarpin-Käse fertigt, den wir im Waldhaus kosten können.
Wer das Haus zum ersten Mal betritt, denkt, ist das hier ein Theater? Die dienstbaren Geister sind so formvollendet wie in alten Filmen. Das vertrauenerweckende Interieur stammt original aus Grandhotel-Zeiten. Die gediegene Bar, die Blumenarrangements, die Teppiche und die Wanduhren überall im Haus, die wie früher schon von der Mutteruhr im Direktionsbüro gesteuert werden. Nirgendwo ist Beflissenheit oder Hektik zu spüren. Die Gäste nicken sich beim Zusammentreffen freundlich zu wie Mitglieder einer großen Familie.
Waren wir nicht gerade noch Zuschauer im Hoteltheater? Schon sind wir eingemeindet in die Großfamilie. Wir genießen den Charme vergangen geglaubter Zeiten, das Raunen der Gäste, die im Salon in den weichen Sesseln sitzend auf das Abendbrot warten oder morgens nach dem Frühstück dort ihre Zeitung lesen. Manche Urlauber finden das komisch und sagen: Ein Fünf-Sterne-Hotel habe ich mir anders vorgestellt. Das Waldhaus bleibt eigenwillig unter den Luxusherbergen.
Zum Dinner Musik vom Haustrio
„Nach Sils-Maria muss man wollen“, findet Urs Kienberger. Wie alle Mitglieder der Waldhaus-Familie wuchs auch er im Hotel auf, wo seine Großeltern und Eltern im Zwischengeschoss ein paar Räume hatten. Das Esszimmer gibt es immer noch, und noch immer speisen die Kienbergers und Dietrichs dort zu Mittag. So wurde das Hotel zum Teil des eigenen Lebens, das pflanzte sich über die Generationen fort. Alle Familienmitglieder ziehen an einem Strang.
Die Gäste treffen sich zum Dinner im Speisesaal, wo donnerstags das „Waldhaus-Trio“ die Menüfolge untermalt. Die jungen Direktoren haben als gelernte Köche eine Vorliebe für das Kulinarische, das Küchenchef Kurt Röösli seit 25 Jahren komponiert. „Noch heute kommen Gäste, die ich schon aus Kindertagen kenne“, freut sich Urs Kienberger.
Wir lauschen den Vögeln, dem Wind und natürlich dem „Waldhaus-Trio“. Im Salon haben wir unser Buch ausgelesen und die eine oder andere Runde im Pool gedreht. Sogar in den Ort Sils-Maria sind wir gewandert, um die Bilder des Heimatmalers Andrea Robbi anzuschauen. Das Nietzsche-Haus kannten wir schon. Und eine Pferdekutsche brachte uns ins autofreie Fextal. Am liebsten blieben wir allerdings im Hotel, wo wir nachmittags beim Tee aus unserem Zimmerfenster zuschauten, wie die letzte Sonne die Bergspitzen glutrot färbte.