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Hoffnunsgträger. Der kanadische Impfstoff wird auch in Deutschland getestet.
© Reuters

Schneller Schutz gesucht: Ebola-Impfstudien im Eilverfahren

Noch nie wurde eine Impfung innerhalb von sechs Monaten zugelassen. Doch angesichts der Ebola-Epidemie in Westafrika ist genau das das Ziel der WHO.

Wenn es um den Ebola-Ausbruch in Westafrika geht, ist nichts normal. Weder die Zahl der Erkrankten, die offiziell auf 10 141 gestiegen ist, noch die internationale Ausbreitung oder die Tatsache, dass es eine UN-Mission zur Ebola-Bekämpfung gibt. Die Entwicklung der Impfstoffe ist keine Ausnahme. Bereits im Juni sollen sie millionenfach einsatzbereit sein – obwohl die ersten Sicherheitstests am Menschen gerade begonnen haben. „Das gab es noch nie in der Geschichte der Medizin“, sagte die stellvertretende WHO-Generalsekretärin Marie-Paule Kieny nach einem Treffen von etwa 90 Delegierten von Regulierungsbehörden, Pharmaindustrie, Hilfsorganisationen, Unis, Stiftungen und Regierungen in Genf. Die klinische Studien sollen nicht mindestens zwei bis vier Jahre, sondern sechs Monate dauern. „Eine Impfung ist kein Wundermittel. Aber wenn sie sicher ist und schützt, könnte sie helfen, diese Flut zurückzudrängen“, sagt Kieny.

Die Impfstoff-Kandidaten

Es wird kein komplettes Ebola-Virus verwendet, weder abgetötet noch abgeschwächt. Eine Infektion über die Impfung ist deshalb ausgeschlossen. Zwei Impfstoffe werden derzeit am Menschen getestet. Dabei geht es um die Verträglichkeit und die Suche nach einer Dosis, die eine ausreichende Immunantwort hervorruft (Phase eins). Der GSK-Impfstoff, entwickelt von GlaxoSmithKline und den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA, nutzt ein nicht vermehrungsfähiges Schimpansen-Erkältungsvirus. Das veränderte Adenovirus wird in einen Muskel gespritzt, es schleust genetisches Material für ein Ebola-Oberflächeneiweiß in menschliche Zellen ein. Sie produzieren das Eiweiß und präsentieren es auf ihrer Oberfläche dem Immunsystem. So können sich Abwehrstoffe (Antikörper) bilden. In den USA, in Großbritannien und in Mali wurden einige gesunde Freiwillige damit geimpft. Die Tests in Lausanne, Schweiz, beginnen in den nächsten Tagen. Vorläufige Daten sollen Ende November vorliegen.

Mit der Konzeption eines weiteren Ebola-Impfstoffes begann der deutsche Virologe Heinz Feldmann vor mehr als fünfzehn Jahren an der Universität Marburg. Er testete ihn später in einem Labor der kanadischen Regierung an Makaken. Das Ergebnis veröffentlichte sein Team im Jahr 2005: Die Tiere waren zu 100 Prozent gegen Ebola geschützt. 2013 lagerte Kanada 1500 Impfstoff-Ampullen ein. 800 davon spendete Kanada der WHO, die Pakete kamen am letzten Dienstag in der Schweiz an. Die kanadische Impfung VSV-ZEBOV, entwickelt von der Public Health Agency Canada und lizenziert an die Firma New Link Genetics in Iowa, ist ein Lebendimpfstoff. Ein Gen im Erbgut von abgeschwächten Vesikulären Stomatitis-Viren wurde durch ein Gen für ein Ebola-Eiweiß ersetzt, damit das Immunsystem Antikörper gegen Ebola bilden kann. In den USA bekommen seit letzter Woche nach und nach 39 Freiwillige den Impfstoff oder ein Placebo gespritzt. Tests in Hamburg und in Genf sollen in den nächsten Tagen starten. Gabun und Kenia werden folgen.

Fünf weitere Impfstoffe - auch aus Russland

Zuvor hatte es Verzögerungen gegeben. Ende September beklagte sich der Marburger Virologe Stephan Becker, dass New Link Genetics Papiere zurückhalte. „Die Firma ist jetzt sehr kooperativ“, sagt Marylyn Addo vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, die den deutschen Teil der Studie leitet. 30 Freiwillige zwischen 18 und 55 Jahren sollen in Hamburg die Spritze bekommen. Ärzte und Krankenschwestern, die in Westafrika helfen wollen, können sich ebenfalls melden. „Wir weisen sie aber nachdrücklich darauf hin, dass keiner weiß, ob die Impfung schützt“, sagt Addo. Die Gesundheit der Probanden wird sechs Monate überwacht. In Marburg suchen Wissenschaftler nach Antikörpern in ihrem Blut.

Besserer Schutz. Marylyn Addo leitet die Ebola-Impfstoffstudie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Besserer Schutz. Marylyn Addo leitet die Ebola-Impfstoffstudie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
© dpa

Der Impfstoff hat einen großen Vorteil: Eventuell hilft er dem Körper noch bis zu zwei Tage nach der Ansteckung. Deshalb bekam ihn 2009 eine Forscherin des Bernhard-Nocht-Instituts in Hamburg nach einem Laborunfall. Nachteile: Bei Patienten mit schwachem Immunsystem könnte der Lebendimpfstoff Komplikationen verursachen. Außerdem ist unklar, wie hoch die Dosis für einen Schutz vor oder nach der Ansteckung sein muss.

Darüber hinaus gibt es mindestens fünf weitere Impfstoffe, die im Tierversuch vielversprechend waren. Darunter sind drei aus Russland. Die Firma Johnson und Johnson könnte im Januar mit Sicherheitstests beginnen. „Wir wissen nicht, welcher Kandidat erfolgreich sein wird und welcher versagt“, sagt Kieny.

Die Tests in Westafrika

Die WHO wartet nicht auf endgültige Daten aus der Phase eins. Stattdessen beginnen die WHO-Teams ab Dezember mit Impfungen in den betroffenen Staaten Westafrikas (Phase zwei und drei).

Den Anfang macht Liberia. Dort werden etwa 18 000 Menschen, vor allem Helfer an der Ebola-Front, zufällig drei Gruppen zugeteilt: Sie bekommen innerhalb von drei bis vier Monaten entweder den GSK-Impfstoff, den kanadischen Impfstoff oder eine Impfung gegen eine andere Infektionskrankheit (als Placebo). Während dieser Epidemie ein Placebo einzusetzen, war umstritten – kein Helfer wäre gern in dieser Gruppe. Doch es fehlen Basisdaten, gegen die man die Impfung vergleichen kann. Für einen zuverlässigen und schnellen Nachweis der Wirksamkeit brauche man ein Placebo, argumentierte GSK.

Die WHO-Experten stimmten dem zwar zu. Gleichzeitig wählten sie für Sierra Leone ein schrittweises Vorgehen (Step-Wedge-Studie) mit etwa 8000 Krankenpflegern, Totengräbern, Ambulanzfahrern und Reinigungskräften. Weil nicht alle gleichzeitig geimpft werden, kann man die zu unterschiedlichen Zeiten immunisierten Gruppen miteinander vergleichen. Niemand bekommt ein Placebo. Dafür gibt es unzählige Faktoren, die das Ergebnis verfälschen können, schließlich verändert sich die Epidemie ständig. Ob die Impfung schützt, ist ohnehin schwer nachweisbar, weil alle Helfer weiter in Schutzkleidung arbeiten müssen. „Allerdings wissen wir, dass es Infektionen gibt“, sagt Klaus Cichutek, der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. „Trotzdem muss man viele Menschen in die Studien einschließen, um daraus Schlüsse zu ziehen.“ Die WHO rechnet im April mit den ersten Daten zur Effektivität.

Zuversichtlich. Marie-Paule Kieny, die stellvertretende WHO-Generalsekretärin, erläutert das Vorgehen bei den Impfstoffstudien.
Zuversichtlich. Marie-Paule Kieny, die stellvertretende WHO-Generalsekretärin, erläutert das Vorgehen bei den Impfstoffstudien.
© dpa

Wann und wie in Guinea geimpft wird, steht nicht fest. „Wir arbeiten daran“, sagt Kieny. Um Vertrauen zu schaffen, beginnen die WHO und ihre Partner derzeit in allen drei Ländern mit Aufklärungskampagnen über die Impfungen und bauen die nötige Infrastruktur für die Studien auf. Dazu gehört vor allem eine lückenlose Kühlkette. Denn beide Impfstoffe müssen bei minus 80 Grad Celsius gelagert werden – eine Herausforderung in Westafrika, wo Elektrizität nicht selbstverständlich ist.

Ab Juni 2015 genug Impfstoff für Massenimpfungen

Ab April kann GSK 230 000 Impfungen pro Monat produzieren, ab Ende 2015 etwa eine Million – sofern die Firma die Fläschchen nicht allein abfüllen muss, denn das würde die Verfügbarkeit anderer Impfstoffe beeinträchtigen. In welcher Menge die kanadische Impfung bereit stehen kann, richtet sich nach der Dosis und schwankt im Frühjahr 2015 zwischen 50 000 und fünf Millionen. Ab Juni soll es genügend Impfstoff geben, um über Massenimpfungen nachzudenken, sagt Kieny: „Falls die Epidemie das rechtfertigt und falls die Impfung sicher und effektiv ist.“ Geld werde kein Problem sein. Viele Partner der WHO hätten ihre Unterstützung zugesagt, auch um für die nächste Epidemie gewappnet zu sein. „Die Impfungen geben den Helfern die nötige Hoffnung und Vertrauen, um sich weiter um Patienten zu kümmern und gegen das Virus zu kämpfen“, sagt Jeremy Farrar, der Direktor des britischen Wellcome Trust.

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