Kunst und Mathematik: Digitale Detektive
Original oder Fälschung? Diese Frage stellen sich Kunstsammler und Museumsinhaber immer wieder. Die statistische Analyse jedes einzelnen Pinselstrichs soll zeigen, ob ein Kunstwerk echt ist.
Original oder Fälschung? Diese Frage stellen sich Kunstsammler und Museumsinhaber immer wieder. Denn seit Jahrhunderten versuchen Kopisten, einen Anteil von den teils astronomischen Umsätzen auf dem Kunstmarkt abzubekommen. Sie haben ihr Fertigkeiten immer weiter verbessert – und wurden dennoch oftmals entlarvt, wenn auch zum Teil Jahrhunderte später.
Um den Fälschern auf die Schliche zu kommen, wurden die verschiedensten Methoden erdacht, die mehr oder weniger gut funktionieren. Die jüngste Entwicklung kommt von einem amerikanischen Forscherteam vom Dartmouth College in Hanover (New Hampshire). Statt dem Auge eines Kenners zu vertrauen, lassen sie ein Computerprogramm die Merkmale jedes einzelnen Pinselstrichs analysieren. Die dabei entdeckten Gemeinsamkeiten und Unterschiede sollen helfen, Originale von Kopien zu unterscheiden.
Die Suche nach verräterischen Details in Bildern und Gemälden ist freilich viele Jahre älter. Bereits in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts beschrieb der italienische Mediziner Giovanni Morelli eine Methode, die es ermöglichen würde, gefälschte Gemälde von den Originalen eindeutig zu unterscheiden und exakt zu bestimmen, welche Bilder welchem Maler zuzuschreiben seien. Dazu müsse man die auffälligsten Partien der Gemälde beiseite lassen und sich stattdessen intensiv mit solchen unscheinbaren Details beschäftigen, die die Maler in der Regel ziemlich flüchtig und ohne lange nachzudenken ausführen: die Ohrmuschel und die Ohrläppchen beispielsweise, oder die Finger und Fingernägel, oder die Füße und Zehennägel.
Laut Morelli kennzeichnen solche untergeordneten anatomischen Elemente den Maler in unverwechselbarer Weise. Sie entstünden eher unbewusst und wären kaum von kulturellen Traditionen geprägt. Weil Fälscher sich dieses Umstandes nicht bewusst seien, würden ihnen beim Kopieren der nebensächlichsten Details die gröbsten Fehler unterlaufen.
Mit seiner Methode gelang es Morelli, etliche falsche Zuschreibungen aufzudecken. So erkannte er als Erster, dass das Bild einer schlafenden Venus, das man irrtümlich für die Kopie eines verschollenen Werkes von Tizian gehalten hatte, nur von Giorgione stammen konnte. Doch trotz dieser Erfolge wurde Morellis Verfahrensweise heftig attackiert und als mechanistisch verdammt.
Mittlerweile hat Morelli Nachfolger gefunden. Sie versuchen, allein mit höherer Mathematik Fälscher zu entlarven. Im Frühjahr 2005 tauchten in einem Lagerhaus 32 Gemälde auf, die alle mit den Initialen „JP“ signiert waren und bei denen es sich allem Anschein nach um der Kunstwelt bisher unbekannte Originalwerke Jackson Pollocks handelte. Doch die Kunstexperten konnten sich nicht einigen, ob sie es mit echten oder gefälschten Pollocks zu tun hatten. Schließlich trat der australische Physiker Richard Taylor auf den Plan. Geleitet von der Chaostheorie, zerlegte er die neuentdeckten Tröpfel-Bilder und einige klassische Pollock-Bilder in ihre fraktalen Bestandteile und suchte dann nach miteinander übereinstimmenden Mustern. Er fand allerdings derart wenige Übereinstimmungen, dass er ohne zu zögern das Urteil fällte: „Die angeblichen Pollocks sind ausnahmslos Fälschungen.“
Doch es gibt Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Taylorschen Analysemethode. Sie hat außerdem den Nachteil, für anderes als „Action Painting“ kaum zu gebrauchen zu sein.
Eine ganz andere Methode haben sich der amerikanische Mathematiker und Computerwissenschaftler Daniel Rockmore und seine Kollegen James Hughes und Daniel Graham vom Dartmouth College einfallen lassen. Bei dem Verfahren namens „digitale Stilometrie“ werden Gemälde und Zeichnungen in ihre einzelnen Pinsel- und Zeichenstiftstriche zerlegt. Dafür werden von den Bildern hochauflösende digitale Aufnahmen gemacht. Anschließend werden die Striche – entsprechend ihrer Dicke, Länge, Verlaufsrichtung, Position, Farbe – anhand einiger Dutzend verschiedener Kriterien statistisch untersucht. Dadurch wird es möglich, die einzigartige Strichführung des Malers in Maßzahlen zu übersetzen.
Die Wissenschaftler erprobten ihre Methode zunächst an der „Madonna mit Kind und Heiligen“, einem 1495/96 entstandenen Gemälde aus der Werkstatt des Renaissance-Künstlers Perugino. Dabei zeigte sich, dass es tatsächlich der Meister selbst gewesen war, der dieses Tafelbild gemalt hat, allerdings nicht allein. Die digitale Analyse der Pinselstriche ergab auch, dass die Maria und zwei der vier Heiligen ein und demselben Maler, wahrscheinlich Perugino selbst, zuzuschreiben sind. Beim Jesuskind und den beiden anderen Heiligen hingegen haben laut Rockmore mindestens drei andere Maler den Pinsel geschwungen.
Der Forscher gibt zu, dass die digitale Stilometrie bei Ölgemälden rasch an ihre Grenzen gerät. Doch er ist zuversichtlich, schon bald erheblich bessere und zuverlässigere Ergebnisse erzielen zu können.
Wenn es allerdings um Zeichnungen geht, funktioniert die digitale Stilometrie schon jetzt sehr gut. Das zeigt eine Studie, die Rockmore und sein Team unlängst im Fachjournal „PNAS“ veröffentlichten. Mit ihrem Verfahren analysierten sie acht mutmaßlich echte Zeichnungen Pieter Brueghels des Älteren sowie fünf Zeichnungen angewendet, die die kunsthistorische Forschung längst als gefälschte Brueghels identifiziert hat. Das Ergebnis war eindeutig. Während der Computer die echten Brueghels als dicht nebeneinander liegende Datenwolken abbildete, verrieten sich die Fälschungen dadurch, dass sie auf dem Bildschirm chaotisch angeordnete Datenpunkte erzeugten.
Demnächst wollen sich Rockmore und sein Team endlich an „unbekannte“ Kunstwerke wagen. Die Sammlung des Van-Gogh-Museums in Amsterdam verfügt mit 200 Gemälden und 500 Zeichnungen über die umfangreichste der Welt. Doch unter den Gemälden gibt es ungefähr 50, die im Verdacht stehen, gefälscht zu sein. Mit Hilfe der digitalen Stilometrie wollen die Wissenschaftler herausfinden, welche der Bilder nicht echt sein können.
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