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An der Grenze zur Tat. Wer pädophile Neigungen hat, kann sich vorsorglich behandeln lassen.
© picture alliance / dpa

Kindesmissbrauch: Diese Therapie soll Pädophilen helfen

Therapeutische Angebote können Pädophilen helfen, ihre Neigungen im Zaum zu halten.

„Wegsperren – und zwar für immer?“ Die Angst vor Sexualstraftätern, aber auch die moralische Empörung der Bevölkerung kommt im Titel der Fachtagung, die derzeit in Berlin stattfindet, deutlich zum Ausdruck. Der Untertitel „Möglichkeiten und Grenzen der Arbeit mit sexuell auffälligen Menschen“ deutet darauf hin, dass die therapeutischen Bemühungen um Sexualstraftäter nicht immer fruchten. Verlässliche Zahlen fehlten zwar, doch es gebe ohne Zweifel Fälle, in denen es nicht gelinge, einen schon straffällig Gewordenen mit Therapieangeboten noch zu erreichen, sagte dort Klaus Beier, Direktor des Berliner Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charité. „Ich muss dann als Gutachter immer wieder auch die Notwendigkeit der Sicherheitsverwahrung bejahen.“

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Seit Jahren bemüht der Sexualmediziner sich um Menschen, die als Patienten zu ihm kommen, um sich und ihre Umgebung zu schützen und ihre pädophilen Neigungen überhaupt nicht erst auszuleben. Als er zusammen mit Kollegen vor mittlerweile elf Jahren das Präventionsprojekt „Kein Täter werden“ startete, sei das in Öffentlichkeit und Fachwelt skeptisch beäugt worden, so berichtet er. Inzwischen hat sich ein Netzwerk mit elf Standorten gebildet, über 6000 Betroffene aus dem gesamten Bundesgebiet haben sich dort schon gemeldet, 231 Therapien wurden erfolgreich abgeschlossen, ebenso viele laufen noch.

Anfällige Jugendliche sollen lernen, Verantwortung zu übernehmen

Zusammen mit der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie im Vivantes-Klinikum Friedrichshain wurde zusätzlich im Jahr 2014 das Projekt Primäre Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch durch Jugendliche ins Leben gerufen. „In dieser Phase konkretisiert sich die sexuelle Ausrichtung“, sagt Baier. Viele Erwachsene, die sich bei „Kein Täter werden“ gemeldet hätten, hätten sich deshalb schon früher ein solches Angebot erhofft. Die Diagnose „Pädophilie“ könne man allerdings bei Heranwachsenden unter 16 Jahren noch nicht stellen. Beier spricht lieber von „sexueller Ansprechbarkeit“, von einer Besonderheit bei der Präferenz. „Es gibt diese Ausrichtung, und wer sie bei sich erkennt, muss Verantwortung übernehmen.“

Sigrid Richter-Unger von der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung und -vernachlässigung sieht therapeutische Angebote für Pädophile als wichtigen Baustein zum Schutz der Kinder vor sexuellen Übergriffen. „Das gilt sowohl für erstmalige Taten als auch für die Prävention von Folgedelikten.“ Auf keinen Fall dürfe man die verschiedenen Angebote gegeneinander ausspielen. „Auch bei den meisten straffällig Gewordenen gibt es schließlich den Wunsch, nicht rückfällig zu werden.“

Viele Täter schämen sich, ohne sich das einzugestehen

Zu Bernd Priebe kommen die Heranwachsenden meist nicht aus eigenem Antrieb. Sie werden erst zu ihm und seinen Kollegen geschickt, wenn sie schon Täter geworden sind. „Wir arbeiten vorwiegend mit Jugendlichen ohne eigenen Veränderungswillen“, sagt Priebe, Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit sexualisiert grenzverletzendem Verhalten. 57 Einrichtungen haben in deren Rahmen bisher nach einer aktuellen Erhebung rund 1000 Klienten betreut. „Die meisten wissen, dass sie etwas verkehrt gemacht haben, sie schämen sich, sie haben aber Probleme, das einzugestehen.“ Um zugleich „misslingende Biografien“ und deren Opfer zu verhindern, sei enge Zusammenarbeit mit den Eltern, aber auch mit Kinder- und Jugendpsychiatern wichtig, sagt Priebe. „Und ein gesellschaftliches Klima, das ohne Stigmatisierung und Zuschreibungen auskommt.“

„Unsere Patienten können erst Vertrauen aufbauen, wenn sie sehen, dass sie für ihre Fantasiewelt nicht moralisch verurteilt werden“, berichtet auch Beier. Die meisten neigten deshalb schon zu sozialem Rückzug und drohten zu vereinsamen. In der ein- bis eineinhalbjährigen, in Modulen aufgebauten Therapie sind sie die Patienten, denen Ärzte und Psychotherapeuten Verständnis entgegenbringen. Zugleich dient die Therapie der Prävention von Straftaten und von Verletzungen anderer Menschen.

„Mein Körper gehört mir!“ lautet der programmatische Titel eines erfolgreichen Stücks der in Osnabrück ansässigen Theaterpädagogischen Werkstatt, die seit nunmehr 22 Jahren mit ihren Stücken durch Schulen und andere Bildungseinrichtungen zieht. Um Kinder und Jugendliche, also die möglichen Opfer, sensibel zu machen gegenüber sexualisierter Gewalt. Mit dem Monolog „(K)ein Anderer“, der am heutigen Freitag während der Fachtagung seine Uraufführung erleben soll, wolle man nun erstmals „in die Seele eines Menschen schauen, der pädophil ist, aber kein Täter werden will“, sagt die Geschäftsführerin Anna Pallas. Wer das schafft, ist nicht nur im Theater ein Held.

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