Evolution: Die Zeiten durchschwommen
Quastenflosser gibt es seit mehr als 300 Millionen Jahren. In dieser Zeit haben sie sich jedoch nur wenig verändert. Das zeigt eine umfassende Analyse ihres Erbguts.
Der Quastenflosser überrascht Biologen immer wieder. Das begann 1938, als das bis dahin als ausgestorben geltende Tier quicklebendig vor der südafrikanischen Küste gefangen wurde. Später fanden Forscher bei Tauchfahrten heraus, dass die behäbig wirkenden Tiere bei der Jagd nach Futter noch schneller durchs Wasser pflügen können als Hechte. Und auch die soeben im Fachmagazin „Nature“ veröffentlichte Analyse der Erbinformationen, das Genom, überrascht die Biologen. „Das Erbgut hat sich deutlich langsamer entwickelt als in jedem anderen Fisch oder Landlebewesen, die wir bisher untersucht haben“, sagt Jessica Alföldi vom Broad-Institut in Cambridge (Massachusetts), eine der Hauptautoren der Studie.
Die Genomanalyse war mit Spannung erwartet worden. Schließlich ist der Quastenflosser ein lebendes Fossil. Seit 300 Millionen Jahren schwimmt diese Tiergruppe durch die Weltmeere. Vor etwa 420 Millionen Jahren lebte ein letzter gemeinsamer Vorfahre von Quastenflosser und Mensch. Aus ihm entwickelten sich auf der einen Seite die urtümlichen Fische mit dem wissenschaftlichen Namen Latimeria chalumnae. Auf der anderen Seite entstanden von Erdkröten, Eidechsen und Vögeln bis zum Menschen alle Wirbeltiere an Land.
Den Beinamen „lebendes Fossil“ hören Biologen wie Axel Meyer von der Universität Konstanz dennoch ungern. „Auch der Quastenflosser entwickelt sich weiter“, sagt der Spezialist für die Evolution von Fischen. So hat sein Kollege Manfred Schartl von der Universität Würzburg erst vor kurzem gezeigt, dass sich die Quastenflosser in den Tiefen des Indischen Ozeans vor den Steilküsten der Komoren-Inseln, vor Tansania und vor Südafrika langsam auseinanderentwickeln.
Allerdings hat die Evolution ein paar Gänge zurückgeschaltet, wie die aktuelle Studie zeigt, an der auch die beiden deutschen Forscher beteiligt sind. Das hängt mit dem Lebensraum der altertümlichen Tiere zusammen. Quastenflosser sind meist in Tiefen zwischen 200 und 500 Metern unterwegs. Dort gibt es so wenige Fische, dass normale Energieverbraucher schlicht verhungern würden. Der Quastenflosser hingegen ist ein wahres Energiesparwunder und schafft es so, in den dunklen Tiefen zu überleben. Weil sich dort auch in vielen Jahrmillionen nur wenig ändert, können sich die Tiere eine viel langsamere Entwicklung leisten als die entfernte Verwandtschaft auf dem erheblich wechselhafteren Land.
Der Quastenflosser dürfte noch weitere Eigenschaften haben, die dem gemeinsamen Vorfahren vor 420 Millionen Jahren mehr ähneln als der Körperbau und der Stoffwechsel von schnelllebigen Organismen an Land. So ist der „Quasti“ genannte Fisch dann doch ein lebendes Fossil.
Er trägt diesen Titel aber noch aus einem anderen Grund: Biologen vermuteten lange, dass diese Tiergruppe mit den Dinosauriern vor 66 Millionen Jahren ausgestorben sei. Doch im Dezember 1938 holten Fischer ein Exemplar des vermeintlichen Fossils vor der Mündung des Flusses Chalumna in Südafrika aus dem Meer. Die Chefin des städtischen Naturkundemuseums im südafrikanischen East London Marjorie Courtenay-Latimer entdeckte die Art, als der Kapitän des Schiffes ihr diesen besonderen Fang zeigte. Später wurden weitere Quastenflosser vor den Komoren, vor Tansania sowie eine weitere Art vor Indonesien entdeckt.
Auch Laien fällt sofort auf, dass diese Fische sehr urtümlich aussehen. Quasti hat zum Beispiel Flossen, die den Paddeln eines Ruderbootes ähneln, deren „Stiel“ allerdings aus Muskeln besteht. Diese Flossen bewegen die Urfische ganz anders als nahezu alle übrigen Fische. Ihre Schwimmbewegungen ähneln eher dem Gang eines Salamanders an Land. Der Verdacht lag also nahe, dass die Vorfahren des Quasti vielleicht auch die Vorfahren von Salamandern – und damit auch von Mäusen und weiteren Säugetieren – sein könnten, die mit Hilfe dieses besonderen Gangs einst an Land kletterten. Tatsächlich entdeckten die Forscher im Erbgut des Quastenflossers eine „Insel 1“ genannte Erbinformation, die in Mäuseembryos bei der Entwicklung der Gliedmaßen eine entscheidende Rolle spielt.
Das Erbgut des Quastenflossers enthält noch weitere Hinweise auf die gemeinsame Vergangenheit und auf Eigenschaften, die später für das Landleben wichtig waren. So gibt es in der Luft viel mehr Düfte und Gerüche als unter Wasser. Tatsächlich finden die Forscher, dass sich bei den Landwirbeltieren genau die Erbeigenschaften gegenüber dem Quasti-Genom verändert haben, die mit dem Riechen zu tun haben.
Viele Biomoleküle in allen Organismen enthalten das Element Stickstoff, das nach Abbau dieser Moleküle als giftige Ammoniumverbindung vorliegt. Für Fische ist das kein Problem. Sie werden diesen Sondermüll einfach los, weil er sich in Wasser löst und so mit den riesigen Mengen der Flüssigkeit abgegeben werden kann, die sie beim Atmen durch ihre Kiemen spülen. An Land müssen die meisten Tiere Wasser sparen und könnten so nur einen Bruchteil des anfallenden Stickstoffmülls loswerden.
Als die Tiere an Land gingen, mussten also neue Wege für die Entsorgung dieser giftigen Verbindungen gefunden werden. „Deshalb wandeln Wirbeltiere an Land das Ammonium in harmlosen Harnstoff um, von dem relativ große Mengen mit verhältnismäßig wenig Wasser im Urin ausgeschieden werden“, erläutert Manfred Schartl. Er und seine Mitarbeiter analysierten daher die Erbeigenschaften für diese Stickstoffentsorgung im Erbgut des Quastenflossers – und fanden prompt, dass sich das für den Harnstoff-Weg entscheidende Gen CPS 1 zwischen Quasti und seinen Verwandten an Land einschneidend verändert hat.
Die Genomanalyse des Quastenflossers beantwortet zudem eine alte Frage der Evolutionsbiologen: Wer ist näher mit uns Landlebewesen verwandt, Quasti oder die ebenfalls urtümlich wirkenden Lungenfische, die in schlammigen Gewässern Afrikas, Südamerikas und Australiens leben? Der Konstanzer Forscher Meyer hatte bereits 1990 gemutmaßt, dass es der Lungenfisch sein müsse. Die umfassende Untersuchung des Erbguts, die inzwischen möglich geworden war, bestätigte seinen Verdacht. Quasti hat mit uns sehr wenig gemein. Seit Jahrmillionen lebt er in seiner eigenen Welt.
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