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Mit kräftigem Druck. Eine Herzdruckmassage kann vielen das Leben retten - Hauptsache, sie wird ausgeführt.
© dpa

Hilfe im Notfall: Die Wiederbelebung muss wiederbelebt werden

Nur 15 Prozent der Deutschen helfen im Notfall. Dabei könnte eine rasche Wiederbelebung vielen das Leben retten. Zeit zum Umdenken: Vorrang für die Herzdruckmassage und Abschied von der Atemspende. Ein Kommentar.

Was machen Sie, wenn neben Ihnen jemand bewusstlos zusammenbricht? Leider wissen wir, was die meisten Deutschen in dieser Situation tun: nichts. Lediglich 15 Prozent der Zeugen eines lebensbedrohlichen Kreislaufzusammenbruchs beginnen mit Erste-Hilfe-Maßnahmen. Kein kleines Problem: Jedes Jahr sterben 80 000 bis 100 000 Menschen in Deutschland am plötzlichen Herztod. Eine rasche Wiederbelebung (Reanimation) durch Laien könnte die geringe Überlebensrate nach einem Herzstillstand verdoppeln und so 5000 Menschen pro Jahr retten, schätzt die Stiftung Deutsche Anästhesiologie. Das sind deutlich mehr als die Zahl der jährlichen Verkehrstoten.

Vermutlich wollen die meisten Menschen helfen. Doch sie haben Angst, etwas falsch zu machen, und ekeln sich womöglich vor einer Mund-zu-Mund-Beatmung. Aktionen wie die alljährliche „Woche der Wiederbelebung“ sollen das öffentliche Bewusstsein für die Reanimation schärfen. „Prüfen. Rufen. Drücken!“ lautet der Dreischritt. Etwas ausführlicher: Reagiert der Bewusstlose, atmet er (1)? Wenn nicht, 112 wählen (2). Anschließend sofort mit der Herzdruckmassage beginnen (3), 100-mal drücken pro Minute.

In Europa bleibt alles beim Alten

Von der „Atemspende“ über Mund oder Nase ist zum Glück nicht mehr die Rede. Die alleinige Herzdruckmassage dagegen kostet zwar Kraft, ist aber leicht zu lernen und braucht keinen Widerwillen hervorzurufen. Die Hemmschwelle für die Wiederbelebung kann sinken, mehr Menschen können so gerettet werden. Die amerikanische Herzgesellschaft AHA propagiert für die Wiederbelebung durch Ersthelfer bei Erwachsenen seit 2008 „Nur Hände!“ („Hands only“). Sie ist davon überzeugt, dass die reine Herzdruckmassage ebenso gut ist wie der bislang gelehrte Wechsel von Beatmung und „Drücken“, vielleicht sogar besser. Denn die technisch anspruchsvolle Beatmung unterbricht die Herzdruckmassage, mit der das Blut in Richtung Gehirn gepresst wird. Die schlechtere Durchblutung durch den Versuch, Luft in die Lungen zu blasen, kann sogar dem Gehirn schaden.

Leider sind der Europäische Rat für Wiederbelebung ERC und seine deutsche Untereinheit GRC dem Beispiel der Amerikaner nicht gefolgt. In ihren neuen Leitlinien belassen sie alles beim Alten und setzen noch immer auf die Mund-zu-Mund-Beatmung durch Laien. Mit dem Argument, dass die Überlegenheit der alleinigen Druckmassage nicht belegt sei. Das stimmt, aber gilt auch in die andere Richtung. Auch die Kombi Massage plus Beatmung ist nicht nachweislich besser. Warum dann nicht der einfachen (und weniger belastenden) Methode Vorrang geben?

Laien überfordert die Atem-Choreografie

Vielleicht spielt es eine Rolle, dass der „Rat für Wiederbelebung“ maßgeblich für die Organisationen ist, die Erste-Hilfe-Kurse anbieten, etwa das Deutsche Rote Kreuz, den Arbeiter-Samariter-Bund und die Johanniter-Unfall-Hilfe. Sie alle müssten umdenken, wenn die Herzdruckmassage Vorrang bekäme. Doch es kann alles beim Alten bleiben. Jenseits der „Woche der Wiederbelebung“ passiert weiter so gut wie nichts.

Entsprechend trostlos ist die Situation. Wer zum Beispiel auf die Webseite des Deutschen Roten Kreuzes geht und sich dort über Wiederbelebung informiert, bekommt eine komplizierte Anleitung serviert. Die erste Phase der Atemspende wird wie folgt geschildert: „Atemwege freimachen durch Neigen des Kopfes nach hinten bei gleichzeitigem Anheben des Kinns. Mit Daumen und Zeigefinger der an der Stirn liegenden Hand den weichen Teil der Nase verschließen. Mund des Betroffenen bei weiterhin angehobenem Kinn öffnen. Normal einatmen und Lippen dicht um den Mund des Betroffenen legen.“ Bei dieser Prosa mag manchem Sanitäter das Herz aufgehen. Laien überfordert die Atem-Choreografie. Dann lieber gar nichts tun.

Ziemlich arg treiben es die Malteser. Sie zeigen auf ihrer Webseite zum Thema „Wiederbelebung“ einen Videoclip, in dem ein Mann Frauen auf der Straße überfallartig küsst. Daraufhin „erliegen sie seiner Leidenschaft“, lautet der Text der Malteser dazu. Am Ende des Clips stellt sich heraus, dass das Ganze der Tagtraum eines Jünglings ist, der an der Puppe Mund-zu-Mund-Beatmung übt. So kann man das natürlich auch sehen. Aber 5000 Menschenleben wird man auf diese Weise nicht retten.

Hartmut Wewetzer

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