Werbung im Fußball: Die wichtigste Währung heißt Medienpräsenz
Wirtschaftswissenschaftler Sascha Raithel erforscht die Beziehung von Trikotwerbung im Profifußball und Reputation der Clubs.
Die Tirade des Italieners dauerte 217 Sekunden. Und je mehr sich im Jahr 1998 der Trainer von Bayern München bei der Pressekonferenz nach der Schlappe seines Clubs gegen Schalke 04 in Rage brüllte, desto höher sprang der Werbeschriftzug von Opel auf seinem Sweatshirt – und damit ins Sichtfeld der Kameras. Kein Fernsehsender, der damals nicht zumindest Ausschnitte der Pressekonferenz übertrug, die Giovanni Trapattoni ermattet mit den Worten „ich habe fertig“ beendete; mehr als 1,7 Millionen Mal wurde das zornige Statement allein auf Youtube angeklickt.
Ein Glücksfall für Opel? Davon kann man wohl ausgehen: „Medienpräsenz ist für Trikotsponsoren die wichtigste Währung“, sagt Sascha Raithel, Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Er untersucht mit Kollegen der Freien Universität und der Ludwig-Maximilians-Universität München den Zusammenhang zwischen dem Ansehen der Bundesligisten und deren Sponsoring-Einnahmen. „Profi-Fußball bietet Marktforschern eine Sondersituation“, sagt er: Im Normalfall würden Marken nicht gehandelt, allenfalls bei Aufkäufen von Unternehmen oder von deren Sparten spielten Markenwerte eine Rolle. „Die Bundesliga ist ein Beispiel für einen besonderen Markt, in dem die Clubs ihre Trikotbrust an Sponsoren verkaufen – und in dem Unternehmen abwägen, wieviel sie dafür zahlen wollen.“ Haben etwa Vereine, die polarisieren – zum Beispiel Bayern München oder Bundesliga-Aufsteiger RB Leipzig –, einen höheren Wert für Sponsoren, weil sie auch die Fans konkurrierender Mannschaften elektrisieren? Um dies herauszufinden, werten die Wissenschaftler seit der Saison 2012/2013 aus, ob und wie sich die Beliebtheit der Clubs bei den Fans in Deutschland verändert.
Ist der Verein erfolgreich, wird auch der Sponsor positiver wahrgenommen
„Werbung auf Bundesliga-Trikots ist heute nicht mehr wegzudenken“, sagt Sascha Raithel. Die Höhe der Sponsorengelder werde in erster Linie durch sportliche Erfolge der Vereine und die damit verbundene höhere Medienpräsenz bestimmt. „Der wichtigste Effekt für die Unternehmen ist eine Verbesserung ihrer Markenwahrnehmung. Sie wollen durch Medienpräsenz ein gewisses Grundrauschen im Kopf der Fans erzeugen und Kaufentscheidungen beeinflussen.“ Gelinge es einem Unternehmen, einen Verein zu unterstützen, der sportlich erfolgreich sei, übertrage sich dies zu einem gewissen Grad auf den Sponsor, erläutert der Marketing-Experte. Bedingung sei aber eine langfristige Strategie. Die Vereine wiederum könnten sportliche Erfolge und lokale wie globale Medienpräsenz bei Verhandlungen mit Trikotsponsoren geltend machen. So soll sich der Betrag, den Bayern München von der Deutschen Telekom bekommt, in den vergangenen Jahren schätzungsweise um zehn Millionen auf 35 Millionen Euro jährlich erhöht haben. Die Rivalen Borussia Dortmund und Schalke 04 sollen vom Spezialchemie-Konzern Evonik und vom Erdgas-Unternehmen Gazprom je rund 20 und 17 Millionen Euro erhalten. Mit geschätzten 30 Millionen Euro und damit höher, als die Stärke in der Liga vermuten lasse, werde der VfL Wolfsburg vom Volkswagen-Konzern unterstützt. Am unteren Ende der Geldskala rangierten Darmstadt 98 und Ingolstadt mit bescheidenen 1,5 bis zwei Millionen Euro.
„Diese unterschiedlich hohen Einnahmen von den Trikotsponsoren allein bewirken keine Wettbewerbsverzerrung in der Liga, denn sie machen nur etwa vier bis sieben Prozent der Etats aus“, betont Sascha Raithel. Und doch hätten Vereine mit hohen Einnahmen aus Trikotwerbung zumindest Wettbewerbsvorteile: „Wer 30 Millionen Euro von einem Trikotsponsor einnimmt, kann damit einen Weltklassespieler verpflichten.“ Für die häufig beklagte Schere zwischen den Etats der Bundesliga-Vereine seien die Einnahmen von den Trikotsponsoren indes nicht verantwortlich, sagt der Wissenschaftler, der selbst Fußballfan ist. Entscheidend dafür seien weitere Faktoren, etwa die Höhe der Fernsehgelder, die Teilnahme an der Champions League, Ausrüsterverträge und die Einnahmen aus Merchandising-Produkten, die von der Zahl der Fans eines Vereins abhingen. „Problematisch ist es trotzdem, wenn ein Sponsor ausfällt, dessen Gelder eingeplant sind“, unterstreicht der Werbe-Experte. Dies habe Bayer Leverkusen zu spüren bekommen, als das Unternehmen Teldafax im Sommer 2011 Insolvenz anmeldete – und der Verein 2015 sogar rund 13 Millionen Euro zurückzahlen musste. Ganz ohne Risiko für einen Sportclub ist die Bindung an einen Sponsor nicht – dies gilt auch umgekehrt: 1995 etwa spielte der HSV so schlecht, dass Sponsor „TV Spielfilm“ werbewirksam anordnete, von der Trikotbrust genommen zu werden. Der VW-Abgasskandal wiederum könnte den VfL Wolfsburg treffen, wie Sascha Raithel argumentiert: „Was wäre, wenn VW in der Krise Erfolgsprämien an Mitarbeiter nicht auszahlt und gleichzeitig einen überproportional hohen Betrag an den Fußballclub rechtfertigen müsste?“
Die Braunschweiger umspielten das Werbeverbot - durch einen Tausch der Wappentiere
Noch bis Anfang der siebziger Jahre war Werbung im Fußball weitgehend auf Stadionbanden beschränkt. Pionier der Trikotwerbung im deutschen Fußball – wenn auch dabei letztlich erfolglos – war in der Saison 1967/1968 Wormatia Worms, ein finanziell klammer Club aus der Regionalliga Südwest. Um an Einnahmen zu kommen, warb der Club für den US-amerikanischen Baumaschinenhersteller Caterpillar, doch nach drei Spieltagen grätschte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit einem Verbot per Satzungsänderung dazwischen: Trikotwerbung blieb untersagt. Sechs Jahre danach ebnete Eintracht Braunschweig durch eine raffinierte Liaison mit dem Kräuterlikör-Hersteller Jägermeister den Weg für Werbung auch auf der Spielerbrust: Das Werbeverbot umspielten die Braunschweiger, indem sie schlicht den Löwen im Vereinswappen gegen einen Hirsch tauschten – den Jägermeister-Hirsch – und so 100 000 D-Mark Werbeeinnahmen erjagten. Der DFB war aus dem Feld geschlagen und konnte die Werbung nur noch in der Fläche begrenzen: 14 Zentimeter Durchmesser und damit kaum mehr als eine DVD durfte das Logo haben. „Die Braunschweiger Spieler wurden als Zwölfender verspottet“, sagt Sascha Raithel, „doch der Sponsor war in aller Munde.“ Schnell zogen andere Vereine nach – 1979 trugen alle Trikots Werbung; 200 Quadratzentimeter Fläche sind inzwischen erlaubt.
Werbewirksam rief 1988 auch der FC Homburg den DFB auf den Plan, als er den Kondomhersteller „London“ auf dem Trikot tragen wollte. Der Liga-Ausschuss des DFB verhinderte dies und schickte die Mannschaft zurück in die Kabine. Zwar hielt das vom DFB vorgebrachte Argument, Kondom-Werbung verstoße gegen „die im Sport gültigen Grundsätze von Ethik und Moral“, vor Gericht nicht stand, doch als Homburgs Präsident Manfred Ommer nach der Entscheidung übermütig spottete, die Ligafunktionäre seien zu verklemmt und wohl zu alt, um mit dem Produkt etwas anfangen zu können, schlug der DFB zurück und ließ die Werbung schwärzen. „Damals war das ein Skandal, heute wirkt das lächerlich“, sagt der Wissenschaftler.
Auch die Ausstatter der Trikots, Hosen und Stutzen werden immer wichtiger
Eine immer größere Rolle spielen die Ausstatter der Trikots, Hosen und Stutzen, an die sich die Vereine vertraglich binden. „Das führt immer wieder zu Problemen“, sagt Sascha Raithel, „denn viele Spieler haben eigene Ausrüster.“ Nur die Schuhe dürfe jeder im Spiel frei wählen. Als Bayern Münchens Neuzugang Mario Götze im Sommer 2013 sein neues Adidas-Vereinstrikot ausgerechnet in einem weißen T-Shirt von Nike in die Kameras hielt, soll eine fünfstellige Strafzahlung an den Verein fällig geworden sein.
Auf den Trikots der deutschen Fußball-Nationalmannschaft spielt Werbung eigentlich keine Rolle, denn bei solchen Spielen ist Sponsoring auf der Brust grundsätzlich verboten. „Doch für Werbung auf den Trainingstrikots ist die DFB-Elf ein äußerst begehrter Partner, und auch die Ausstatter der Trikots müssen hohe Summen zahlen“, sagt Sascha Raithel: Der Mercedes-Stern prangt auf der Trainingskleidung bereits seit 1972. Als Ausrüster muss Sportartikel-Hersteller Adidas künftig wohl tief in die Tasche greifen, wenn er über 2018 hinaus DFB-Partner bleiben möchte. Zwar verhalfen im WM-Finale von 1954 in Bern auch die von Adi Dassler mit sechs Stollen entwickelten Wunderschuhe der bundesrepublikanischen Elf zum Sieg über Ungarn bei „Fritz-Walter-Wetter“. Doch kann der amtierende Weltmeister weiterhin mit jährlich 25 Millionen von Adidas zufrieden sein, wenn die seit 50 Jahren titellosen Engländer von Nike 33 Millionen Euro bekommen?
Carsten Wette