Klimaschutz: Die Wende beschleunigen
Der Weg vom Laborversuch zum großen Kraftwerk ist mühsam. Was für eine klimafreundliche Energieversorgung getan werden muss.
Vertreter von fast 200 Nationen ringen dieser Tage um den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2). Wer soll um wie viel reduzieren und vor allem wer soll die damit verbundenen Kosten tragen? Selbst wenn es am Ende zum Wunder von Kopenhagen kommen sollte und drastische Reduktionen beschlossen werden: Sie werden sich kaum umsetzen lassen, weil klimafreundliche Energiequellen gar nicht so schnell in wirklich großem Umfang erschlossen werden können. Das behaupten zumindest Gert Jan Kramer und Martin Haigh im Fachjournal „Nature“ (Band 462, Seite 568).
Die Wissenschaftler, beide sind für Shell tätig, formulieren dort basierend auf Erfahrungen aus dem 20. Jahrhundert zwei Gesetze der Technikentwicklung, an denen auch die erneuerbaren Energien nicht vorbeikämen. Zum einen benötige jede neue Energietechnik im Schnitt 30 Jahre, um vom Labormaßstab bis zur volkswirtschaftlich spürbaren Dimension von einem Prozent des Welt-Energiemixes zu wachsen. Das Wachstum in dieser Zeit ist enorm, bei der Windenergie zum Beispiel waren es seit den Neunzigerjahren 25 Prozent im Jahr, berichten Kramer und Haigh. Um den exponentiellen Zuwachs überhaupt darstellen zu können, verwendeten die Forscher eine logarithmische Skala (siehe Grafik).
Ist die kritische Größe von einem Prozent des Welt-Energiemixes erreicht, geht das Tempo zurück. Es folgt die zweite Phase, in der das Wachstum bei wenigen Prozentpunkten liege, und zwar über alle Techniken hinweg. Der Grund dafür ist eine gewisse Sättigung des Marktes. Die Hersteller haben dann nicht mehr so viel mit Neubau im engeren Sinne zu tun, sondern eher mit dem Ersatz alter Anlagen. Auch da ist wenig zu holen, da deren Lebensdauer oft zwischen 20 und 50 Jahren liegt.
Entscheidend für den Klimaschutz ist aber die erste Phase: Wann kommen die neuen Techniken endlich zum Einsatz? In einem optimistischen Szenario von Shell erreichen demnach die meisten erneuerbaren Energiequellen eine nennenswerte Verfügbarkeit ab 2030, Fotovoltaik bereits ab 2020. Aber nicht früher.
„Umweltpolitiker wollen die erste Entwicklungsphase am liebsten in zehn statt 30 Jahren überwinden“, schreiben Kramer und Haigh. Doch dem stehen aus ihrer Sicht zwei Dinge entgegen. Zunächst das „scale-up“, die schrittweise Vergrößerung der Anlage. Es genügt eben nicht, ein Kraftwerk, das im Labor funktioniert, aus zehn- oder hundertmal größeren Bauteilen zusammenzuschrauben. Immer wieder tun sich technische Probleme auf, die von den Entwicklern gelöst werden müssen. Rund zehn Jahre müsse man einplanen, um ein Demonstrationskraftwerk einigermaßen störungsfrei zum Laufen zu bringen, schreiben die Shell-Mitarbeiter.
In dieser Phase befinden sich derzeit zum Beispiel die Biokraftstoffe der zweiten Generation, oftmals mit BTL (biomass to liquid) abgekürzt. Im Gegensatz zu Biotreibstoffen der ersten Generation, die aus dem Öl der Früchte stammen, werden bei dem neuen Verfahren komplette Pflanzen und sogar Bäume oder Altholz über mehrere chemische Prozesse zu Flüssigtreibstoff umgewandelt. Damit ist die Ausbeute größer, was wiederum die Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion verringert. Im Labor läuft das Verfahren schon eine Weile, in großen Anlagen mit meterhohen Reaktionskammern und kilometerlangen Stahlrohren gibt es aber nach wie vor Probleme.
Auch die CCS-Technik befindet sich in dieser ersten Wachstumsphase. Dabei soll Kohlendioxid aus dem Rauchgas von Kohle- oder Öl- und Gaskraftwerken abgetrennt und in tiefen Erdschichten entsorgt werden. Das Verfahren wird vor allem als Übergangstechnik auf dem Weg zu einer Versorgung aus CO2-freien Energiequellen wie Sonne, Wind, Erdwärme oder Kernfusion betrachtet. Erste Demonstrationskraftwerke werden zurzeit gebaut. Um einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz zu liefern – schließlich gehen allein in China im Wochentakt neue Kohlekraftwerke ans Netz – müssen nicht nur die CO2-Abscheider an vielen Orten gebaut werden. Es müssen auch in großem Umfang geeignete Gesteinsschichten für die Endlagerung des Treibhausgases gefunden und verbindende Pipelines gebaut werden. Die Dimension der CCS-Technik könnte möglicherweise die Größe der heutigen Erdgas-Infrastruktur erreichen, schreiben die Wissenschaftler.
Sofern die Technik politisch überhaupt unterstützt wird. In Deutschland zog die Union vor einem halben Jahr einen entsprechenden Gesetzentwurf zurück, weil er das Ergebnis der Partei bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein zu schmälern drohte. Einen neuen Anlauf für das Regelwerk auf nationaler Ebene wird es voraussichtlich im nächsten Herbst geben.
Doch selbst wenn Politiker und Ingenieure eine neue Technik nach Kräften voranbringen, gibt es ein weiteres Hemmnis: die industriellen Kapazitäten. Die sind nach Meinung von Kramer und Haigh sogar noch wichtiger als Geld. „Es braucht seine Zeit bis man Industrieanlagen und Personal im nötigen Umfang bereit hat“, schreiben sie.
Daher können klimafreundliche Energietechniken allein die Zunahme der CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht wirkungsvoll bremsen. Ebenso müsse die Energieeffizienz weiter verbessert und auch der Verbrauch insgesamt verringert werden. „Und das dürfte gerade in den Industrieländern schwer werden“, sind die Autoren überzeugt.
Auch Isabel Galiana und Christopher Green warnen in einem „Nature“-Artikel, dass es an den technischen Voraussetzungen fehle, um eine rasche Wende in der Energieversorgung zu schaffen (Band 462, Seite 570). „Wir brauchen eine technische Revolution, und die gibt es bisher nicht“, schreiben die zwei Ökonomen von der McGill-Universität Montreal. Zwar hätten in den vergangenen Jahren die CO2-Emissionen pro Energieeinheit jeweils um 1,4 Prozent abgenommen. Doch falle das nicht ins Gewicht, weil zugleich das Bruttoinlandsprodukt jährlich um gut drei Prozent zunahm; unterm Strich stiegen die CO2-Emissionen um ein Prozent pro Jahr.
Die Forderung von Galiana und Green ist radikal und lässt sich etwa so zusammenfassen: Die Welt sollte sich von ehrgeizigen Emissionszielen verabschieden, weil sie diese ohnehin nicht erreichen wird. Stattdessen sollte massiv in die Forschung und Entwicklung neuer Energietechnik investiert werden. Rund 100 Milliarden Dollar pro Jahr seien erforderlich, und das bis zum Ende des Jahrhunderts. Das Geld könne die Wirtschaft allein nicht aufbringen, weil das Risiko bei Zukunftstechniken hoch sei und sich nicht genügend Investoren finden. Stattdessen soll eine Abgabe von fünf Dollar für jede emittierte Tonne Kohlendioxid erhoben werden. Der Preis soll sich etwa alle zehn Jahre verdoppeln, um einen Innovationsdruck aufzubauen. Ihrem Plan zufolge werden die CO2-Steuern in einem Fonds gesammelt, der von einem politisch unabhängigen Komitee verwaltet wird. Galiana und Green sind überzeugt, dass auf diese Weise genügend Geld zusammen kommt, um mehrere Verfahren, von Geothermie über Wellenkraftwerke bis zur Kernfusion parallel zu fördern. Eine strenge Auswahl von „Gewinnern“ und damit eine Einschränkung der Möglichkeiten könne so vermieden werden.
„Die Idee ist nicht neu, und sie wird nicht funktionieren“, sagt Reimund Schwarze, Umweltökonom am Umweltforschungszentrum Leipzig. Etwas ähnliches habe der ehemalige US-Präsident George W. Bush in der Asien-Pazifik-Region angeregt. Doch es sei nichts daraus geworden, weil die Finanzierung scheiterte. Aus diesem Grund hält er den internationalen Superfonds erst recht für unrealistisch. „Die einzelnen Länder werden kaum so große Summen an eine internationale Organisation überweisen“, sagt Schwarze, der zurzeit in Kopenhagen die Verhandlungen verfolgt. Hinzu komme die Frage, wer den Fördertopf verwalten soll, da gehen die Meinung weit auseinander. Der Vorschlag, den Etat etwa der Weltbank anzuvertrauen, stößt bei den Entwicklungsländern auf heftigen Widerspruch.
„Selbst wenn es diesen Fonds gäbe, dann würde sofort der Kampf der einzelnen Lobbygruppen beginnen, um möglichst viel davon zu erhalten.“ Das wird aus seiner Sicht ein ähnliches Gefeilsche wie gegenwärtig um die Emissionsrechte. Spätestens in dem Augenblick, wenn über die Förderung von Kernenergie diskutiert wird, dürfte das Konzept scheitern, glaubt Schwarze.
Aus seiner Sicht ist eine Subvention der erneuerbaren Energien über nationale Einspeisetarife der bessere Weg. „Das Modell macht weltweit Schule, erst im vergangenen Jahr hat Südafrika eine Einspeisevergütung nach dem Vorbild Deutschlands und Dänemarks eingeführt.“ Geld allein könne keine radikale Innovation hervorbringen, fügt er hinzu. Allenfalls Detailverbesserungen.
Von einer simplen Lösung muss sich die Gesellschaft rasch verabschieden, machen auch Kramer und Haigh deutlich. „Keiner der Wege zum Klimaschutz ist leicht, und keiner geht schnell.“
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