Konferenz "Digital Future": Die Weisheit der Daten
Vom Rechenknecht zum Wegweiser – in Berlin, wo das Computerzeitalter begann, blicken die Experten nach vorn. Eine Erkenntnis: In der Wissenschaft leiten Rechner jetzt wieder eine neue Ära ein.
Das Rechnen macht so gut wie kein Geräusch. Nur ein leises Klacken geben die Relais von sich, elektrische Schalter, wie sie der junge Berliner Ingenieur Konrad Zuse 1941 auch in seine wegweisende Rechenmaschine Z3 einbaute. Bit für Bit klackt es. Obwohl es bei der Konferenz über die „digitale Zukunft“, veranstaltet vom Berliner Zuse-Institut und dem Tagesspiegel im ehemaligen Kosmos-Kino, eher um den Blick nach vorn geht: der handlich-moderne Nachbau der Z3 aus dem Jahr 2001 ist der heimliche Star, wird umlagert und nostalgisch bestaunt. Wenn gerechnet wird, glimmen Lämpchen in den Relais kurz rot auf, was die Zuschauer noch mehr entzückt. Waren das Zeiten!
Müller: Berlin soll digitale Hauptstadt werden
Mit der Z3 fing alles an? Nicht ganz. Martin Grötschel, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, erinnerte daran, dass schon der Akademie-Gründer Gottfried Wilhelm Leibniz vor gut 300 Jahren eine Rechenmaschine baute. Leibniz wollte mit ihr hehre Geister von der „knechtischen Rechenarbeit“ entlasten, und mehr hatte Zuse beim Bau seines ersten Rechners angeblich auch nicht im Sinn. Klingt ein wenig nach gezielter Untertreibung.
Zuses erste Computer fielen dem Bombenkrieg zum Opfer, und das Berlin der Nachkriegszeit hatte seinen Nimbus als Hochburg von Industrie und Technik auf lange Zeit verloren. Aber das ändert sich, wie der Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller zu Beginn der Konferenz hervorhob. „Berlin kann wieder an alte Erfolge anknüpfen“, sagte Müller und wies auf die Initiativen für Digitalisierung und Informationstechnik in der Stadt hin, etwa auf die Schaffung neuer IT-Professuren (knapp 50 sagt Müller) und eine Zehn-Punkte-Agenda, die Berlin auch zur digitalen Hauptstadt machen soll.
Müller überreichte Urkunden an vier Wissenschaftler, die von einer Jury des Zuse-Instituts in die „Digital Hall of Fame“ gewählt worden waren (alle rund 75 Geehrten wurden in den letzten Wochen in der Serie „Digitale Pioniere“ im Tagesspiegel vorgestellt). Neben dem Berliner Klaus-Robert Müller (Technische Universität) wurden Leslie Greengard (Universität New York), Michele Parrinello (ETH Zürich) und – stellvertretend für seinen Vater – Horst Zuse ausgezeichnet.
Ungeheure Datenflut
Moderne Rechner sind zig-milliardenfach schneller unterwegs als die Z3, sagte Christof Schütte, Leiter des Zuse-Instituts. Sie sind längst mehr als nur Rechenautomaten und haben sich aus dem Hintergrund in die erste Reihe geschoben. Der verstorbene amerikanische Informatiker Jim Gray hat von einem „vierten Paradigma“ gesprochen. Am Anfang der wissenschaftlichen Entwicklung stand das Experiment, gefolgt von der Theorie und von der Ära des Computers. Viele Naturereignisse werden mit Hilfe von Computern gemessen, berechnet oder simuliert. Das Ergebnis ist eine ungeheure Datenflut. Um dieses „vierte Paradigma“ in den Griff zu bekommen, bedarf es neuartiger Instrumente der Informationswissenschaft. Laut Jim Gray kommt es nicht mehr darauf an, immer größere Rechner zu bauen. Stattdessen sollte „verteilt“ gerechnet werden, auf vielen Computern.
Open Data: eine neunjährige „Hobbyforscherin“ entdeckt eine Supernova
In diese Richtung zielt etwa der internationale Sloan Digital Sky Survey, der ein Viertel des Himmels nach Objekten absucht. An der Auswertung kann sich auch die Öffentlichkeit beteiligen, wie Tony Hey, leitender Datenwissenschaftler am britischen Science and Technology Facilities Council in Berlin berichtete. Dabei entdeckte eine neunjährige „Hobbyforscherin“ eine Supernova. Weiteres Beispiel ist die amerikanische Ocean Observatories Initiative. Mit diesem „Internet der Ozeane“ werden ständig Daten aus den Meeren erhoben und ausgewertet.
„Jim Grays Vision war es, dass alle wissenschaftlichen Daten online frei zugänglich sein sollten“, sagte Hey. Also nicht nur Publikationen von Forschern, sondern auch die Daten, auf denen sie beruhten. Das könne die Wissenschaftler schneller und produktiver machen, hoffte Gray. Eine Vision, die noch nicht Wirklichkeit geworden ist.
Wie sehr der Computer schon jetzt der Wissenschaft hilft, machen große Geister wie Albert Einstein oder der Quantenphysiker Paul Dirac deutlich. Diese hatten Anfang des 20. Jahrhunderts damit zu kämpfen, dass die Anwendung der von ihnen gefundenen Naturgesetze zu Gleichungen führten, die zu kompliziert waren, um sie zu lösen. Der Ruf nach dem Rechenknecht war nun unüberhörbar.
Ein Beispiel dafür war Einsteins (in Berlin 1915 ausgebrütete) allgemeine Relativitätstheorie und die aus ihr abgeleiteten Gravitationswellen. Erst mit Hilfe immer besserer Computer war es viele Jahrzehnte später möglich, Gravitationswellen und die Schwarzen Löcher, bei deren Verschmelzung sie entstehen, im Rechner zu modellieren. Das geschah zu einem wesentlichen Teil auch in Berlin, wie der Physiker Ed Seidel von der Universität Illinois bei der „Digital Future“-Konferenz berichtete. Möglich wurde der Erfolg durch die Zusammenarbeit zwischen dem Zuse-Institut und dem Potsdamer Albert-Einstein-Institut.
Ein bisschen kann die Stadt stolz darauf sein, dass die beiden größten wissenschaftlichen Revolutionen des 20 Jahrhunderts – Physik und Computerwissenschaft – zu einem wichtigen Teil hier begonnen haben.
Altmaier: Digitalisierung verändert Arbeitswelt massiv
Dass zumindest der IT-Branche hier auch eine große Zukunft bevorsteht, ist für Peter Altmaier (CDU), Chef des Bundeskanzleramts, offenkundig. Berlin sei der ideale Ort für Start-ups, höre er immer wieder von Leuten aus aller Welt: „Ein bisschen chaotisch, aber offen für die Zukunft“, erzählten sie ihm.
Altmaier machte klar, dass die Digitalisierung die Arbeitswelt massiv verändern wird. Um Schritt zu halten, sei Bildung nötig. „Wir brauchen künftig zehn-, vielleicht sogar zwanzigmal so viele IT-Fachkräfte wie heute.“ Nicht nur die Jobs änderten sich, letztlich unser gesamtes Leben. Es sei die Aufgabe der Politik, die Befürchtungen der Menschen ernst zu nehmen und sie auf diesem Weg mitzunehmen. Aufhalten, das steht für ihn fest, lasse sich digitale Revolution, jedenfalls nicht. (mit nes)