Wahlkampf mit Big Data: Die Wahlschlacht der Datenbanken
Jeanette Hofmann untersucht den Einfluss gezielter Werbung auf den Ausgang von Wahlen. Die Politologin will herausfinden, ob und wie sehr der Umgang mit Big Data den Ausgang der Bundestagswahl bestimmt.
Gut 5000 Datenspuren hat die Mutter zweier Kinder im Internet hinterlassen. Mitte 50 ist sie, sehr gewissenhaft, fast schon neurotisch – das zeigt ihr Internetverhalten. Sie könnte sich von Trump überzeugen lassen, prognostiziert die Software des Datendienstleisters Cambridge Analytica, denn sie reagiert stark auf emotionale Botschaften. Wenn die Frau das nächste Mal Facebook ansteuert, wird sie ein aufgebrochenes Fenster sehen, das Glas zersplittert, dahinter Dunkelheit. Und sie wird den Rat bekommen: Vote Trump! Wähle Trump! Er macht Amerika wieder sicher und verteidigt das Waffenrecht!
Tatsächlich haben Firmen wie Cambridge Analytica bei den knappen Ausgängen der Präsidentschaftswahl in den USA und des Brexit-Votums Großbritanniens über einen Austritt aus der Europäischen Union möglicherweise die entscheidenden Stimmen eingefangen, auch wenn jüngst Zweifel am Einfluss solcher Methoden laut wurden. „Man darf sicher nicht vergessen, dass die Start-up-Firmen, die den Kandidaten solche Dienste anbieten, ein eigenes Interesse daran haben, den Einfluss ihrer Arbeit auf Wahlergebnisse als möglichst groß darzustellen“, sagt Professorin Jeanette Hofmann, Leiterin der Projektgruppe Politikfeld Internet am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Direktorin des Alexander von Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft (HIIG), die seit diesem Jahr als Sonderprofessorin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität lehrt: „Leider haben wir momentan kaum verifizierbare Daten und wissen viel zu wenig darüber, wie sehr diese neue, subtile Form der gezielten Wahlwerbung – auch Micro Targeting genannt – die Ergebnisse beeinflusst.“
Zahlreiche Start-ups bieten ihre Dienste in dem neuen Geschäftsfeld an
Derzeit bietet sie an der Freien Universität ein Seminar an, in dem sie sich genau mit dieser Frage beschäftigt. Fest steht, dass der Einsatz großer Datenmengen (Big Data) und die Verknüpfung von Erkenntnissen verschiedener Datenquellen in Kontinentaleuropa wesentlich weniger Einfluss auf die Wahlen haben als in den USA. „Der Datenschutz in der Europäischen Union ist einfach deutlich strenger als in den Vereinigten Staaten, wo selbst die Wahlregister öffentlich zugänglich sind und man somit feststellen kann, wer gewählt hat und wer nicht“, sagt die Politologin: „Gleichzeitig entstehen enorme Kosten, wenn man Daten kaufen, sammeln oder auswerten möchte.“
In den USA ist seit 2002 ein regelrechter Boom entstanden. Eine ganze Reihe von Start-up-Unternehmen bieten ihre Dienste in diesem neuen Geschäftsfeld an. Zum Teil seien sie aus den Kampagnen-Abteilungen der Parteien entstanden, sagt Jeanette Hofmann. Einen entscheidenden Beitrag etwa habe der von Obamas Team wiederentdeckte und wiederbelebte Häuserwahlkampf geleistet: „So konnten Obamas Unterstützer vor Ort wertvolle Informationen über die Bewohner ganzer Stadtteile sammeln und in ihrer nächsten Kampagne für zielgerichtete Werbung verwenden.“
In Deutschland dagegen scheuen die Wahlkampfzentralen der Parteien noch die Zusammenarbeit mit Facebook, Google und Co. Zum einen fehle es ihnen schlicht an Geld, um die horrenden Kosten für die Nutzungsrechte an den Datenbanken der Konzerne aufzubringen; zum anderen fürchteten die Verantwortlichen Berichte über Datenschutzverletzungen und unlauteren Parteienwettbewerb, sagt Hofmann. „Hinzu kommt, dass Micro Targeting das Wahlergebnis insgesamt um kaum mehr als ein bis drei Prozentpunkte beeinflussen dürfte“, gibt Hofmann zu bedenken: „Es könnte also für kleine Parteien, die mit dem Überspringen der Fünfprozenthürde zu kämpfen haben, ein interessanter Ansatzpunkt sein, aber insgesamt ist das deutsche Verhältniswahlsystem mit seinem Mehr-Parteien-Parlament weniger geeignet, die Machtfrage mithilfe von Big Data zu entscheiden.“ In Deutschland wird so wohl auch der nächste Bundeskanzler oder die nächste Bundeskanzlerin durch Sondierungs- und Koalitionsgespräche bestimmt.
"Auch die deutschen Parteien werden mehr mit Social Media experimentieren"
Einflussreicher ist Big Data nach Ansicht von Jeanette Hofmann dagegen bei Wahlen mit Mehrheitswahlrecht, wie sie in den USA und Großbritannien üblich sind, aber auch in Frankreich. „Bei der dortigen Präsidentschaftswahl im April und Mai hat Emmanuel Macron ebenfalls auf gezielte Wahlwerbung zurückgegriffen“, sagt Hofmann. Dort habe das Pariser Start-up Liegey Muller Pons (LMP) Macrons Bewegung En Marche! mit aufgebaut und geschickt den Häuserwahlkampf mit der modernen Datenanalyse verbunden. Die Firma habe einen Algorithmus entwickelt, mit dem sich die Routen der Werber durch die Städte optimieren ließen; er lieferte Erkenntnisse zur Fragen wie: Wo wohnen Wechselwähler? Wo können Nichtwähler mobilisiert werden? Demografische Daten wie Alter, Einkommen und Wahlbeteiligung gaben da Hinweise. „LMP hat angekündigt, nun auch ein Büro in Berlin zu eröffnen“, sagt die Politologin.
Dass die Arbeit der Datensammler schon bei dieser Bundestagswahl schlachtentscheidend werden könnte, hält Jeanette Hofmann für unwahrscheinlich. „Aber wir werden mehr Experimentierfreude der Parteien in den Sozialen Medien und auf Video-Kanälen sehen als bisher“, ist sie sich sicher. Und auch der Häuserwahlkampf erlebe eine Renaissance. „Die deutschen Parteien könnten den Wahlkampf 2017 nutzen, um sich auf den Wahlkampf 2021 vorzubereiten: Sie könnten Daten von Sympathisanten sammeln, die zwar nicht in ihre Partei eintreten möchten, aber bereit sind, Hilfe im Wahlkampf zu leisten. Und sie könnten die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, selbst Datenbanken anzulegen, indem sie das Einverständnis ihrer Sympathisanten zum Speichern von Daten einholen“, sagt Hofmann. „Ich bin mir sicher, dass schon heute Spezialisten für Big Data entsprechende Abteilungen in den Parteizentralen aufbauen. Aber dort lässt man sich momentan leider nicht in die Karten schauen.“
Die CDU jedenfalls hat kürzlich in Berlin einen ersten Einblick in den Wahlkampf der Zukunft gewährt: „Was wollen sie?“, blafft ein untersetzter Mann bedrohlich real aus einem mannshohen Bildschirm Generalsekretär Peter Tauber entgegen, als dieser die Holztür des Wahlkampf-Simulators öffnet. Der virtuelle Bürger soll Politikern und Unterstützern der Partei helfen, sich auf die Wahlkampftouren durch die Wohngebiete zwischen Greifswald und Freiburg vorzubereiten. „Guten Tag, ich bin von der CDU und würde Ihnen gerne unser Wahlprogramm erklären“, entgegnet Generalsekretär Tauber freundlich. „Hauen Sie ab, oder ich rufe die Polizei!“, tönt die Antwort vom Bildschirm. Auch der virtuelle Wahlkampf kann sehr ernüchternd sein.