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Zeuge der Evolution. Die Berliner Paläontologin Julia Fahlke betrachtet ein 15 Millionen Jahre altes Walskelett in Bologna.
© Ruth Wolter

Paläontologie: Die Vermessung des Wals

Vor Jahrmillionen gingen die Tiere vom Land ins Wasser. Auch ihr Gehör passte sich an den neuen Lebensraum an. Die Berliner Geologin erforscht, wie das im Detail ablief.

Julia Fahlke spricht kein Italienisch, aber ein Wort versteht die Wissenschaftlerin sofort. „La Balena“, der Wal. Eine Mitarbeiterin des Geologischen Museums Capellini der Universität Bologna deutet auf die Vitrine. Dort ist das Tier. Oder vielmehr das, was nach rund 15 Millionen Jahren davon noch übrig ist, ein Skelett. Von der Größe her erinnert es eher an einen Schäferhund. „Der Vergleich ist gar nicht so falsch“, sagt Fahlke. „Bevor sich die Wale zu gigantischen Wasserlebewesen entwickelten, lebten sie an Land.“

Die Paläontologin zückt ihre Kamera und beginnt mit der Arbeit. Vor allem auf den Schädel des Tieres hat sie es abgesehen. „Ich benötige viele Fotos von allen Seiten, die sich überlappen“, erläutert sie. „Die gebe ich in ein Computerprogramm ein, mit dem ich ein 3-D-Modell errechnen kann.“ Zurück an ihrem Arbeitsplatz im Berliner Museum für Naturkunde wird sie die Daten gemeinsam mit Oliver Hampe, Initiator des Projekts, auswerten. Die Forscher wollen herausfinden, wie sich die Schädel der Wale im Lauf der Jahrmillionen veränderten und inwiefern das mit der Entwicklung des Hörens zusammenhängt.

Die Vorfahren der heutigen Wale, die Urwale (Archaeoceten), stammen von Huftieren ab, die an Land lebten, erzählt Fahlke, die seit ihrer Promotion die Entwicklungsgeschichte der Wale erforscht. „Sie konnten laufen und hatten Zähne statt Barten.“ In der geologischen Epoche des Eozäns, vor 54 bis 34 Millionen Jahren, gingen die Tiere buchstäblich ins Wasser. Warum, darüber streiten die Experten. „Die wohl plausibelste Erklärung besagt, dass sie im Wasser zusätzliche Nahrungsquellen erschließen konnten, in Form verschiedener Wassertiere“, sagt die Wissenschaftlerin.

Der evolutionäre Weg vom Land ins Meer lässt sich anhand der Skelette nachvollziehen. Sie zeigen die verschiedensten Übergangsformen, erläutert die Paläontologin. Ältere Fossilien haben Schwimmhäute zwischen den Zehen, dann gebe es Tiere, bei denen die Verbindung zwischen Wirbelsäule und Hinterbeinen deutlich zurückgebildet ist. „Die konnten ihr Körpergewicht an Land schon nicht mehr tragen.“ In der nächsten Anpassungsstufe waren die Hinterbeine nur noch als Stummel vorhanden.

So, wie sich der Körperbau wandelte, muss sich auch das Gehör der Urwale vom Landleben an die Unterwasserwelt angepasst haben. Schließlich änderte sich das Medium, in dem die Schallwellen zu den Tieren gelangten. Die Schädel der Urwale sind asymmetrisch aufgebaut. Die Ohren befinden sich nicht spiegelbildlich gegenüber, sondern sind ein bisschen nach vorn und hinten versetzt. „Wir vermuten, dass die asymmetrische Anordnung den Tieren half, räumlich zu hören.“ Eine ähnliche Anpassung gibt es bei Eulen und Delfinen.

Um möglichst viele Urwale und frühe Bartenwale zu erfassen, reist Fahlke durch Norditalien und dokumentiert die Fossilien verschiedener Sammlungen. In der Certosa di Calci nahe Pisa wird sie von dem Walforscher Giovanni Bianucci begrüßt, der durch die Ausstellung führt. An der Decke hängt ein Ambulocetus natans, ein fossiler Wal, der vermutlich laufen und schwimmen konnte und vor etwa 50 Millionen Jahren an Land und im Wasser gelebt haben soll. Darunter ist die Vitrine des Aegyptocetus, den Bianucci vor zwei Jahren entdeckte. Damit die Berliner Paläontologin den Schädel für die Datenaufnahme fotografieren kann, hebt Bianucci gemeinsam mit der Kuratorin Chiara Sorbini die schwere Glasplatte der Vitrine an, um den Walschädel herauszunehmen, und legt ihn auf einen blauen Ikea-Kindertisch.

Der Schädel besteht aus einzelnen Scheiben, die der Walforscher zusammengeklebt hat. Das Fossil ist rund 40 Millionen Jahre alt. In der nahen Marmorverarbeitungsstätte Carrara hatten Arbeiter beim Zerschneiden eines Marmorblockes aus Ägypten die fossilen Reste gefunden. In der Annahme, es handle sich um einen Dinosaurier, kontaktierten sie die Universität. Bianucci fand neben dem Schädel noch Rumpfknochen des Aegyptocetus. Wo sich der Rest befindet, weiß keiner. Der ägyptische Marmor wird in alle Welt verkauft.

Der Schädel liegt nun in jenem Teil des Klosters, in dem die Mönche früher Getreide verarbeiteten. Ein Stockwerk höher stehen fünf gewaltige Skelette von heute lebenden Walarten. „Ich habe noch nie so eine beeindruckende Walausstellung gesehen“, staunt Fahlke. Am hinteren Ende befindet sich das Skelett eines Blauwals. Diese Skelette bilden den Vergleichsrahmen für die fossilen Arten.

Die 3-D-Vermessung ist noch relativ neu in der Paläontologie, sagt Fahlke. „Die Skelette können damit präziser und unabhängig vom Ort vermessen werden.“ Ziel ist es, die Form der Schädel am Computer zu vergleichen. Die Daten werden dann mit den Ergebnissen Oliver Hampes verglichen, der die Evolution des Innenohrs erforscht.

Ruth Wolter

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