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Ein größerer Junge sitzt in einem Zelt mit Plexiglaswänden an einem Tisch und hantiert mit Stiften und Papier.
© IMAGO/Political-Moments

Flucht nach Berlin: Die Ukraine will keine schulische Integration in Deutschland

Seitens der ukrainischen Bildungspolitik gibt es Vorbehalte gegen Willkommensklassen in Deutschland. Unterrichtet werden müsse nach dem Lehrplan der Heimat.

Wo verläuft er – der richtige Weg zur schulischen Betreuung der ukrainischen Kinder und Jugendlichen? Wer an Willkommensklassen wie für die syrischen Geflüchteten von 2015 denkt, kennt die Ansichten des ukrainischen Bildungsministers nicht. Die hat die ukrainische Generalkonsulin Iryna Tybinka der Kultusministerkonferenz mit auf den Weg gegeben.

Kurz gefasst: Die Ukraine sieht in den Willkommensklassen keine Lösung, sondern fordert Unterricht auf Ukrainisch nach ukrainischen Rahmenplänen.

Zur Begründung sagte die Diplomatin, dass es sich ja nur um einen vorübergehenden Aufenthalt handele. Daher müsse man jetzt für eine Kontinuität des Unterrichts sorgen, damit die Geflüchteten ihr Schuljahr abschließen und – in den höheren Klassen – ihre Abschlüsse machen könnten. Der Unterricht in der Ukraine sei „intensiver, vollzieht sich in kürzerer Zeit als in Deutschland und hat ebenso höhere Anforderungen“, betonte Tybinka.

Zudem gab sie der Befürchtung Ausdruck, in den Intergrationsklassen könnte die nationale Identität Schaden nehmen. Die Ukraine sei mit ihrer „jahrtausendalten Geschichte“ und von ihrem Territorium her das größte Land Europas, komme aber in den deutschen Schulbüchern kaum vor.

Vorwurf, in deutschen Schulbüchern dominiere russischer Imperialismus

Stattdessen dominiere in Deutschlands Lehrplänen und Richtlinien „nach wie vor Russland und russischer Imperialismus“. Daher stammten auch „die Neigungen und das Bestreben vieler Menschen in Deutschland, Russland zu verstehen, Russlands Verbrechen zu rechtfertigen, aber auch die Angst davor, Russland irgendwie zu kränken“.

[Lesen Sie auch diesen Artikel von Susanne Vieth-Entus zum Thema auf Tagesspiegel Plus: Willkommensklassen - ja oder nein?]

Weiter hörten die Kultusminsterinnen und Kultusminister von der Generalkonsulin die Einschätzung, „dass die so genannten Integrationsklassen für die ukrainischen Kinder eine Wand des Unverständnisses, das Gefühl der Minderwertigkeit und des geringen sozialen Schutzes bedeuten würden“.

Diese Intergationsklassen seien auch gar nicht notwendig, weil ein temporärer Unterricht nach dem ukrainischen Bildungssystem unter Einbeziehung ukrainischer Lehrkräfte ab sofort möglich sei – und zwar mit Hilfe einer Online-Plattform für die Klassen 5 bis 11. In Sachen Digitalisierung sei die Ukraine „ein äußerst modernes Land“. Es seien alle Schulbücher in allen Schulfächern in digitaler Form öffentlich zugänglich.

"Typische" Glorifizierung des Herkunftslandes?

Nachdem der Tagesspiegel Checkpoint diese Rede am Mittwoch in Auszügen dokumentiert hatte, folgte prompt die Reaktion der langjährigen Berliner SPD-Bildungspolitkerin Maja Lasic, die selbst als Jugendliche vor dem jugoslawischen Bürgerkrieg geflüchtet war und in Deutschland Abitur gemacht, studiert und als Biochemikerin promoviert hat, bevor sie von 2016 bis 2021 im Abgeordnetenhaus saß.

[Alle aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg können Sie hier in unserem Newsblog verfolgen.]

„Wie schwer das Loslassen und Ankommen sich anfühlt, lässt sich erahnen in den Äußerungen der ukrainischen Botschafterin“, twitterte Lasic. Die Glorifizierung des Herkunftslandes sei „eher typisch“ und es dauere ewig sie zu überwinden „und sich unserem System anzunähern.“ Lasic machte sich bei Twitter auch für die Willkommensklassen stark: Sie bereitete nicht nur sprachlich, sondern auch gesellschaftlich auf das Ankommen vor. „Ohne Berührung mit dem deutschen Bildungssystem setzen wir diesen Prozess schlicht aus. Warum sollten wir das tun?“, fragt Lasic weiter.

Sie hat gerade als Quereinsteigerin in einer Schule angefangen. Und erinnerte daran, dass sich „die Annahme, dass die Kinder schnell wieder weg sind, bisher bei keiner einzigen Fluchtbewegung bewahrheitet hat“.

Erste neue Willkommensklassen ab 21. März

In Berlin wird aktuell auf vielfältige Art versucht, die Kinder und Jugendlichen schulisch zu betreuen. An mehreren Schulen konnten sie bereits in Regelklassen integriert werden, die ersten neuen Willkommensklassen starten am Montag, berichtete am Mittwoch ein Sprecher der Bildungsverwaltung.

Ungeachtet der Ansagen aus der ukrainischen Politik nennt es die Behörde als Ziel, dass die ukrainischen Schülerinnen und Schüler möglichst zügig Deutsch lernen, um sich hier im Alltag zurechtzufinden und auch, „um sich angesichts der unklaren Lage in der Ukraine perspektivisch integrieren zu können“.

Die Voraussetzungen dafür seien gut, es hätten sich bereits viele ukrainischstämmige Personen gemeldet, die hier als Pädagoginnen und Pädagogen arbeiten wollten. Die Bildungsverwaltung arbeite auch daran, „anstehende ukrainische Schulabschlüsse zu beachten“.

„Alles was den Kindern Struktur ist, ist gut“, ergänzte der Leiter des Berliner Dreilinden-Gymnasiums, Jens Stiller. Die ersten ukrainischen Jugendlichen seien bereits da: Bei einem Kunst-Workshop lernen sie sich an diesem Donnerstag untereinander kennen, dann geht es in die Regelklassen. Zudem soll es in einigen Stunden die Möglichkeit geben,dem ukrainischen Online-Unterricht zu folgen, sofern er angeboten wird.

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