Streit um Plastiktüten: Die Tütchenfrage
Die EU geht gegen Kunststofftüten vor. Doch die Umweltbilanz von vermeintlichen Alternativen wie Papier und Baumwolle ist nicht besser. Am sinnvollsten ist es, Beutel mehrfach zu nutzen.
Loses Gemüse im Supermarkt: ab in den Kunststoffbeutel. Ein Paar Socken im Kaufhaus: wieder ein Beutel. Drei Limos und Kekse im Spätkauf: noch ein Beutel. Das wird es bald nicht mehr geben, zumindest wenn es nach dem EU-Umweltkommissar Janez Potocnik geht. Er will gegen den Plastikmüll vorgehen und den europäischen Ländern erlauben, leichte Plastiktüten mit einer Wandstärke von weniger als 0,05 Millimetern zu verbieten.
Potocnik wie auch zahlreiche Umweltorganisationen begründen ihren Kampf gegen Plastiktüten mit den Umweltschäden, die diese hervorrufen. Die Beutel finden sich überall in der Landschaft oder an Küsten, besonders dort, wo sie in großer Zahl eingesetzt und nicht fachgerecht entsorgt werden. In den größeren Tüten können sich Tiere verfangen. Kleinere Stücke, die bei der Verwitterung entstehen, werden mitunter für Nahrung gehalten und gefressen. Nicht zuletzt erfordert die Herstellung der Beutel Erdöl, das gewonnen und verarbeitet werden muss.
„In Deutschland sind die Tüten nicht das Hauptproblem“, sagt Michael Angrick vom Umweltbundesamt (Uba). Tatsächlich belegt Deutschland mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von 71 Plastiktüten im Jahr 2011 einen der letzten Plätze in der EU-Statistik, rechnet das Uba vor. Im Schnitt sind es 198 Stück, Spitzenreiter ist Bulgarien mit 421 Beuteln.
Bekannt ist, dass hierzulande jährlich rund 70 000 Tonnen Kunststoff in Form von Plastiktüten verbraucht wurden, das sind gut 800 Gramm pro Person. Dann wird es aber dünn mit verlässlichen Zahlen. Weder ist die genaue Recyclingquote bekannt noch der Anteil der nun umstrittenen dünnwandigen Tüten. „Wir wollen das jetzt herausfinden, indem wir Hersteller befragen oder Einzelhandelsverbände“, kündigt Angrick an.
Ein Verbot von Folietüten, wie es etwa in Bangladesch oder Frankreich gilt, will er nicht. Aber er will die Anzahl schrumpfen sehen, durch eine Abgabe. „In Supermärkten muss man oft für Kunststoffbeutel bezahlen, das sollte auch für Bekleidungsgeschäfte oder Elektronikläden gelten“, sagt er. Und auch für die dünnen Tütchen am Gemüsestand. „Bei sensiblen Früchten wie Erdbeeren sind die Tüten natürlich hilfreich“, sagt er. „Aber Äpfel kann man auch lose kaufen und in der mitgebrachten Tasche nach Hause transportieren.“
Irland verlangt 22 Cent pro Tüte
Weg von kostenlosen Tüten, das ist auch die Strategie von Umweltverbänden. „In Irland kosten sie 22 Cent, daraufhin ging der Pro-Kopf-Verbrauch von 328 im Jahr auf 16 zurück“, sagt Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Das propagierte Verbot von 0,05 Millimeter dünnen Tüten hält er für falsch. „Dann werden bei der Herstellung einfach die Wandstärken erhöht und schon trifft die Regelung nicht mehr zu.“ Fischer setzt vor allem auf die Mehrfachnutzung: etwa faltbare Polyesterbeutel oder große Kunststofftaschen, die am besten aus recycelten PET-Flaschen hergestellt wurden und abwischbar sind. Ein wichtiger Aspekt, denn oft werden Tüten für Lebensmittel benutzt. Untersuchungen aus den USA zeigen aber, dass viele Stoffbeutel von Kunden mit zahlreichen Bakterien besiedelt waren, zwölf Prozent trugen sogar E.-coli-Bakterien. Dagegen hilft nur regelmäßiges Waschen.
Überhaupt ist der Umwelteffekt von Stoffbeuteln schlechter als ihr Image. Sie müssen mindestens siebenmal häufiger benutzt werden als die erdölbasierten Kunststoffbeutel, um eine bessere Ökobilanz aufzuweisen. Bezogen auf den Beitrag zur Erderwärmung müssen die Stoffis sogar 131-mal so häufig zur Hand genommen werden wie der Foliebeutel, zeigt eine Untersuchung der britischen Umweltagentur. Nicht ganz so gravierend, aber immer noch schlechter als die „Erdöltüte“, schneiden Papiertüten ab.
Die biologisch abbaubaren Beutel sind schlimmer als die erdölbasierten
Ein vermeintlicher Ausweg sind Tüten aus biologisch abbaubaren Kunststoffen. Doch auch bei ihnen ist die Ökobilanz negativ. Bezieht man die gesamte Herstellung ein, so sind die Umweltauswirkungen fast doppelt so hoch wie bei herkömmlichen PE-Beuteln, argumentiert die Deutsche Umwelthilfe.
Die neuen Tüten sind aber auch nach dem Gebrauch problematisch. Zum einen, wenn sie – wie andere Folien auch – im gelben Sack landen. Die Bioplastik muss von den anderen Kunststoffen getrennt werden. „Technisch ist es kein Problem“, sagt Thomas Probst vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung. Aber die Anlagen müssen umgebaut werden, die Kosten dafür gingen schnell in die Millionen. Doch die Biokunststoffe müssen aussortiert werden, denn sie stören beim Recycling des klassischen Plastiks. Das wird in 50 bis 70 Grad Celsius heißem Wasser gewaschen. „Darin lösen sich die Biokunststoffe teilweise“, sagt Probst. Auf anderen Kunststoffen bilden sie einen schleimigen Film. „Wenn diese später erhitzt werden, verbrennen die Biostoffe und es entstehen schwarze Einschlüsse.“
Wirft man die neuen Tüten in die Biotonne, ist es nicht besser. „Damit sich die Polymere zersetzen, müssen die Kompostieranlagen mindestens 35 Grad haben“, sagt Probst. Aber nicht jede verfüge über diese Technik. „In der Praxis ist es ohnehin so, dass die Kompostierer meist alle Tüten aussortieren, denn im organischen Abfall sehen sich Bio-Tüten und erdölbasierte sehr ähnlich – und Letztere zersetzen sich nicht, müssen also unbedingt entfernt werden.“
Ganz so einfach ist es also doch nicht mit der Plastiktüte. Für eine Symbolpolitik jedenfalls ist sie ungeeignet.
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