Ablenkung häufigste Unfallursache: Die Sekunden vor dem Autounfall
Drei Jahre lang haben US-Forscher 3500 Autofahrer gefilmt, um Unfallursachen aufzuspüren. Der schnelle Blick aufs Handy ist demnach besonders riskant - auch in Deutschland.
Schminken während der Fahrt, die Ablenkung durch ein Werbeplakat, das Geschrei der Kinder auf dem Rücksitz, die SMS auf dem Handy – die Ursachen für Autounfälle sind vielseitig. Forscher der Virginia-Tech-Universität in Blacksburg, Virginia, wollten genauer wissen, was Autofahrer in den Unfall treibt. Dazu verkabelten sie das Cockpit von 3500 Autos und überwachten per Kamera und verschiedenen Sensoren das Verhalten der 16- bis 98-jährigen Fahrer. So sammelten sie so viele Daten über die Zeit kurz vor einem Unfall wie nie zuvor.
900 Unfälle gefilmt
905 Mal krachte es während des dreijährigen Beobachtungszeitraums. Dabei beobachtete das Team um Jonathan Hankey vier Kategorien von Unfallursachen. Zum einen Beeinträchtigungen wie Alkoholmissbrauch, Müdigkeit oder Gefühlsausbrüche, zum anderen echte Fahrfehler aber auch aggressiven Fahrstil und Rasen sowie schließlich Ablenkungen durch Handys oder Mitfahrer.
Sie stellten fest, dass etwa die Hälfte der Fahrer kurz vor Unfällen abgelenkt war. Ablenkungen verdoppeln das Unfallrisiko also, schreiben die Forscher im Fachblatt „PNAS“. „Aktivitäten, die den Fahrer dazu zwingen, die Augen von der Straße zu nehmen, erhöhen das Risiko am meisten.“ Allerdings sei die sehr häufige Interaktion mit einem erwachsenen Mitfahrer oder einem Teenager dabei noch am ungefährlichsten.
Handy erhöht das Unfallrisiko fast um das Vierfache, wohl auch in Deutschland
Vom Handy hingegen ließen sich die Fahrer in sechs Prozent der Fälle ablenken, wodurch sich das Unfallrisiko um das 3,6-Fache erhöhte. Mit den zunehmenden Möglichkeiten zum Versenden von Textnachrichten und Apps zum Internetsurfen per Handy in den letzten Jahren sei die Ablenkung durch Mobiltelefone wahrscheinlich der einzige Grund für den Anstieg von Unfällen in den USA – entgegen dem Trend sinkender Autounfallraten. Vier der elf Millionen Autounfälle pro Jahr in den Vereinigten Staaten könnten vermieden werden, wenn solche Ablenkungsfaktoren vermieden werden könnten.
Ganz ähnlich ist die Situation in Deutschland. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung des ADAC und des österreichischen Automobilclubs ÖAMTC aus dem letzten Jahr. Dabei fuhren 66 Testpersonen bei einer Geschwindigkeit von 30 bis 50 Stundenkilometern auf einer Teststrecke und lösten dabei verschiedene, alltagstypische Aufgaben - etwa einen Anruf auf dem Handy entgegennehmen, dem Nachwuchs das heruntergefallene Spielzeug aufheben, trinken oder essen oder auf dem Navi herumtippen. Die Forscher zeichneten das Fahrverhalten per Video auf, maßen Herz- und Hirnaktivität der Probanden und überprüften, ob ihr Blick und ihre Aufmerksamkeit der Straße galt oder nicht. Am längsten verloren die Probanden die Straße aus den Augen, wenn sie auf dem Navigationsgerät herumtippen mussten, gefolgt vom Telefonieren mit dem Handy. Die Aufgaben „Spielzeug aufheben“ und „aus der Wasserflasche trinken“ lenkten den Blick am wenigsten ab. "Die Fahrer unterschätzten jedoch systematisch die negativen Auswirkungen, die ablenkende Tätigkeiten auf ihr Fahrverhalten haben", erklärt der ADAC. Drei Viertel der Probanden fuhren bei der Navigationsaufgabe auf ein plötzlich auftauchendes Hindernis auf. Das Thema „Ablenkung“ müsse stärker als bisher in die Fahrausbildung integriert werden, auch um Fehleinschätzungen der eigenen Fahrkompetenz zu verhindern – der vor allem Männer erliegen.
Objektive Zahlen, wie sie die US-Studie nun erstmals über den Handygebrauch und den Zusammenhang mit Autounfällen erhoben hat, gibt es für Deutschland nicht, sagt Andreas Hölzel vom ADAC. "Aber man kann davon ausgehen, dass das Thema Smartphone dazu beigetragen hat, die Unfallzahlen durch Ablenkung in die Höhe zu jagen." Jeder zehnte Unfall mit Personenschaden in Deutschland werde durch Ablenkung hervorgerufen.
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