HIV-Heimtests: "Die Schwelle zum HIV-Test wird geringer"
Seit Oktober dürfen in Deutschland HIV-Heimtests frei verkauft werden. Experten hoffen, dass Menschen erreicht werden, die vor einem Test beim Arzt zurückschrecken.
Jens Spahn hat den Weg frei gemacht, der Bundesrat hat zugestimmt – seit Oktober dürfen auch in Deutschland HIV-Heimtests frei verkauft werden. Experten halten das kleine Test-Set, das jetzt für 20 bis 50 Euro in Apotheken, Drogerien oder im Internet gekauft werden kann, für einen großen Schritt im Kampf gegen HIV und Aids. Schließlich wird man damit vermutlich viele Menschen erreichen können, die bislang vor einem Test beim Arzt oder beim Gesundheitsamt zurückgeschreckt sind.
Den eigenen HIV-Status zu kennen, ist wichtig, weil andernfalls das HI-Virus ungewollt weitergegeben werden kann. Und es ist Voraussetzung für eine rechtzeitige Therapie. Der Erfolg hängt nämlich wie bei fast allen Erkrankungen maßgeblich vom Zeitpunkt der Diagnose ab: Laut Robert Koch-Institut wurde im Jahr 2016 bei knapp einem Drittel der HIV-Erstdiagnosen bereits ein fortgeschrittener Immundefekt diagnostiziert. Die eingeleitete Therapie kann dann zwar die Vermehrung des HI-Virus verhindern, aber sie kann keine bereits eingetretenen körperlichen Schädigungen beheben.
„Know your Status“ heißt darum das Motto des diesjährigen Welt-Aids-Tags am 1. Dezember. Mit dem unmissverständlichen Appell verleihen die Vereinten Unionen nochmals ihrem 90-90-90-Ziel Nachdruck, wonach bis zum Jahr 2020 mindestens 90 Prozent ihren HIV-Status kennen sollten, 90 Prozent Zugang zu Therapien haben und bei 90 Prozent die Viruslast nicht mehr nachweisbar sein sollte.
Nur der Testende erfährt das Ergebnis
Deutschland darf sich durchaus angesprochen fühlen. Zwar ist die Neuinfektionsrate mit rund 3800 Erstdiagnosen pro Jahr im internationalen Vergleich konstant gering. Doch zwischen Küste und Alpen leben schätzungsweise 12 700 Menschen, die von ihrer HIV-Infektion nichts wissen. Europas stärkste Wirtschaftsmacht ist also vom 90-90-90-Ziel noch ein gutes Stück entfernt.
Dass man mit der Einführung des HIV-Selbsttests dem Ziel näher rücken könnte, das wünschen sich natürlich die hiesigen Aids-Organisationen. Die geschäftsführende Vorstandsvorsitzende der Deutschen AIDS-Stiftung Kristel Degener sieht darin eine wichtige Ergänzung der bisherigen Möglichkeiten. „Der Heimtest hat erstmals den Vorteil, dass nur der Testende das Ergebnis erfährt. Man bleibt in den eigenen vier Wänden und muss nicht ins Gesundheitsamt oder in die Beratungsstelle“, sagte sie. „Die Schwelle zum Test ist somit geringer.“
Gut findet sie auch, dass die Selbsttester nicht alleingelassen werden. Auf den Verpackungen der Test-Kits sind Kontaktdaten von Beratungsstellen aufgedruckt, an die sich die Nutzer wenden können. Außerdem haben das Bundesgesundheitsministerium und das Paul-Ehrlich-Institut eine Onlinehilfe ins Netz gestellt, auf der wichtige Fragen erklärt und Produkte vorgestellt werden: www.pei.de/hiv-selbsttests.
Dass die neue Möglichkeit nun das Allheilmittel im Kampf gegen HIV/Aids sein soll, glaubt die Stiftungschefin allerdings nicht. „Um bewusst mit der eigenen Gesundheit umzugehen und sich fair dem Partner gegenüber zu verhalten, ist ,Know Your Status‘ unerlässlich“, betont Degener. Ein HIV-Test sei dabei der erste wichtige Schritt. „Aber man muss auch entsprechend informiert sein“, sagt sie. „Wissen, das für eine Zielgruppe selbstverständlich erscheint, muss bei der anderen stets wiederholt oder ganz neu aufgebaut werden.“ Eines der Kernprobleme im Kampf gegen HIV/Aids ist, dass Botschaften wie „Know Your Status“ oder „Ich mach’s mit – und du?“ bei vielen gesellschaftlichen Gruppen verhallen, die eigentlich gute Gründe hätten, hinzuhören.
Auch bei vielen Ärzten ist die Hemmschwelle groß
Dazu gehören zum Beispiel Menschen, bei denen eine HIV-Infektion eher als unwahrscheinlich gilt und die sich daher weder von Präventionskampagnen noch vom neuen Testangebot angesprochen fühlen. Wie aber bewegt man zum Beispiel eine Hausfrau, einen Familienvater oder einen Rentner zu einem HIV-Test, wenn die nichts von der eigenen Infektion ahnen?
Am besten über Ärzte. Hausärzte, Hautärzte und Zahnärzte sind diejenigen, die bei bestimmten Krankheitsbildern ihren Patienten eigentlich zu einem Test raten müssten. Die Hemmschwelle ist allerdings auch bei vielen Ärzten groß, insbesondere wenn eine HIV-Diagnose kaum zum Profil des Patienten passt. Der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) hat daher bereits vor einigen Jahren die Fortbildungsreihe „Let’s talk about sex“ auf den Weg gebracht. Ärzte werden dort in ihren kommunikativen Kompetenzen zu diesem sensiblen Thema geschult und bekommen das nötige Fachwissen vermittelt. „Ohne ihre Mithilfe werden wir die 12.700 Menschen, die unwissentlich HIV-positiv sind, nicht diagnostizieren können“, erläutert Degener die wichtige Vermittlerrolle von Ärzten. Manche Menschen lassen sich über diesen Kanal jedoch kaum bis gar nicht erreichen: Es sind Menschen, die ohnehin nur schwer Zugang zum Gesundheitssystem finden. Hierzu gehört insbesondere eine bestimmte Community von Männern, die Sex mit Männern (MSM) haben, sowie Personen mit Migrationshintergrund. Bei Geflüchteten kommt hinzu, dass sie oft aus Ländern stammen, wo über Sex und sexuell übertragbare Krankheiten nicht geredet wird. Folglich sind die Kenntnisse über das „Tabuthema“ äußerst mager.
Kultursensibel vorzugehen sei wichtig
Victor Trofimov kann ein Lied davon singen. Er ist vor Kurzem von der Berliner zu Potsdamer Aids-Hilfe gewechselt und leitet jetzt das Projekt „Pass gut auf Dich auf! HIV/Aids und STI für Flüchtlinge im Land Brandenburg“. Das Projekt wurde 2015 gegründet, um Neuankömmlinge an das Thema HIV/Aids und sexuell übertragbare Krankheiten (STIs) heranzuführen. Speziell geschulte Berater gehen dafür in die Übergangswohnheime Brandenburgs, bieten dort Workshops an und verteilen Flyer in verschiedenen Sprachen. Dabei werden sie von Multiplikatoren unterstützt, die selbst einen Migrationshintergrund haben und die Botschaft kultursensibel übersetzen können. Gesprochen wird über die Krankheit an sich, die Übertragungswege, die Präventionsmöglichkeiten, den HIV-Test und die Behandlungsmöglichkeiten.
Kultursensibel vorzugehen sei mit das Wichtigste, meint Trofimov. Besonders in muslimisch geprägten Ländern sei Sexualität ein Tabu, und sich dem Thema zu öffnen, falle vielen schwer. Männer und Frauen aus den fraglichen Ländern werden daher von vornherein in den Workshops getrennt. „Man muss den richtigen Dreh finden, wie man das Thema anpackt, sonst erreichen wir die Leute nicht“, erzählt der Sozialarbeiter.
Das aber ist Voraussetzung, um die neuen HIV-Infektionen unter Migranten zu senken. Laut Trofimov stecken sich die meisten erst in Deutschland an – aus Unkenntnis. Zahlen der Aids-Hilfe Potsdam spiegeln die Problematik indirekt wider: Inzwischen ist jeder Zweite, der sich dort beraten lässt, ein Asylsuchender.
Flüchtlinge sollen die gleichen Chancen haben, sich zu schützen
Ähnlich sieht es bei der Berliner Aids-Hilfe aus. Hier hat man schon vor 20 Jahren Begegnungsangebote für Migranten mit HIV/Aids geschaffen. Die „BeKAM“-Gruppe besteht aus einem harten Kern von etwa 50 bis 60 Personen; darüber hinaus sind jedes Mal wieder neue Asylsuchende dabei. Bei den Treffen im ehrenamtlich geführten Café „Ulrichs“ der Berliner Aids-Hilfe tauscht man sich bei Kaffee und Croissants über Krankheit und Gesundheit, Kinderwunsch und Arbeit oder Aufenthaltsfragen aus. Es gibt auch ein inhaltliches Programm in mehreren Sprachen. Die neuen Mitglieder bekommen so erste wichtige Informationen, die alten können ihr Wissen vertiefen. „Die Gruppe geht ungeachtet ihrer Unterschiedlichkeit harmonisch und solidarisch miteinander um“, erzählt Volker Mertens von der Deutschen Aids-Stiftung, die das Projekt seit vielen Jahren finanziell unterstützt. „Wir tun das, weil wir ein niedrigschwelliges Angebot für Migrantinnen und Migranten mit HIV-Infektionen für äußerst sinnvoll halten.“
Neben der „BeKAM“-Gruppe fördert die Stiftung viele andere Projekte, die sich an Menschen mit Migrationsgeschichte richten, darunter auch das Brandenburger Projekt „Pass gut auf Dich auf!“. Das Geld – genauer gesagt 100 000 Euro jährlich – kommt wiederum von der PKV. „Wir möchten, dass Zugewanderte die gleichen Chancen haben, sich und ihre Partner zu schützen“, betont Kristel Degener. „Und da die meisten ja in Deutschland bleiben, ist die gezielte Projektförderung langfristig eine sehr gute Investition.“
Victor Trofimov überlegt, wie er den HIV-Heimtest in den Workshops für Flüchtlinge unterbringen soll. Erfahrungen damit gibt es noch nicht. Vielleicht wartet er damit noch, bis er den richtigen Dreh findet.
Beatrice Hamberger