Stephen Hawking: Die posthumen Antworten des Genies aus Cambridge
Im Frühjahr starb der Physiker Stephen Hawking. Ein Buch, an dem er noch selbst mitarbeitete, widmet sich den „großen Fragen“.
Schwarze Löcher. Schwerkraftfallen, die ganze Sterne verschlucken. Die auf engstem Raum so viel Masse in sich vereinen, dass ihnen nicht einmal Licht entkommen kann. Vermag ihnen nur ein Magier ihre Geheimnisse zu entreißen? Stephen Hawking wurde durch seine Forschungen zu schwarzen Löchern berühmt. Jetzt äußert sich der britische Physiker erneut dazu: posthum, in einem aus seinem Archiv zusammengeklaubten Buch, das laut Verlag aber noch unter seiner Ägide vorbereitet worden war. Titel: „Kurze Antworten auf große Fragen“. Auf Fragen, die zu Lebzeiten immer wieder an ihn herangetragen wurden: Was befindet sich in einem schwarzen Loch? Sind Zeitreisen möglich? Wie hat alles angefangen? Gibt es einen Gott?
Angezogen von den großen Fragen
„Er fühlte sich von großen Fragen immer angezogen, egal ob sie in seiner Wissenschaft tief verwurzelt waren oder nicht“, erzählt der Physiker Kip Thorne und räumt ein, selbst vor derartigen Fragen zurückzuschrecken. Thorne wurde im vergangenen Jahr für seinen Beitrag zur Entdeckung von Gravitationswellen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Hawking hat diese Auszeichnung nie bekommen. Seine Wissenschaft war experimentellen Tests unzugänglich und mitunter allzu spekulativ. Dennoch war kein Forscher seit Einstein so populär wie das Orakel aus Cambridge, an dessen Aussagen gerade das Dunkle, Geheimnisvolle, jede alltägliche Erfahrung Übersteigende faszinierte.
Auch der Mensch Hawking gab Rätsel auf. Kaum hatte er angefangen zu studieren, als er merkte, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Bewegungsstörungen, unvermittelte Stürze, Artikulationsschwierigkeiten. 1963, er war gerade 21 alt, diagnostizierten Ärzte bei ihm Amyotrophe Lateralsklerose, eine Erkrankung, bei der die motorischen Nervenzellen nach und nach zugrunde gehen. Würde er noch zwei Jahre leben? Oder drei?
Es sollten 55 werden. Jahre, in denen seine Beweglichkeit immer weiter abnahm, in denen er seine technischen Hilfsmittel den wachsenden Einschränkungen anzupassen suchte, bis er seinen Sprachcomputer nur noch mithilfe von Augenbewegungen steuern konnte. Im März diesen Jahres Jahr ist er gestorben. Vor vier Monaten wurde die hölzerne Urne mit seiner Asche in der Westminster Abbey beigesetzt.
Wie man in das Schwarze Loch hineinruft...
Auch seine monotone Synthesizerstimme entschwand an jenem 15. Juni symbolhaft in den Weltraum: „Ich habe mein Leben damit verbracht, im Geiste durch das Universum zu reisen ...“ Die Europäische Weltraumagentur schickte die Botschaft mittels eines Radioteleskops ins All. Und zwar in Richtung des schwarzen Lochs A6202-00, das lediglich 3500 Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild Einhorn liegt.
Man dachte wohl, wenn man in ein schwarzes Loch hineinruft, schallt nichts heraus.
In dem soeben erschienenen Buch warnt Hawking jedenfalls ausdrücklich davor, irgendwelche Botschaften ins All zu senden und damit womöglich die Aufmerksamkeit extraterrestrischer Intelligenzen zu erregen. Die Risiken sind seiner Ansicht nach deutlich größer als die Chancen: Wir bräuchten nur auf uns selbst zu schauen, um zu sehen, wie sich intelligentes Leben in etwas verwandeln könne, dem wir nicht zu begegnen wünschten. „Wenn wir in unserem gegenwärtigen Stadium mit einer höher entwickelten Zivilisation zusammenträfen, könnte es uns ergehen wie den amerikanischen Ureinwohnern bei der Begegnung mit Kolumbus – und ich glaube nicht, dass die Indianer darüber besonders glücklich waren.“
Intelligenz muss nicht von Vorteil sein
Hawking-Lesern sind solche Sätze vertraut. In der Frage nach außerirdischen Zivilisationen hält er sich jedoch – im Unterschied zu Kollegen, die Formeln für die Häufigkeit von Aliens in die Welt setzten – zurück. Im Rahmen der Evolution sei die zufällige Entstehung intelligenter Lebewesen wahrscheinlich nur eines von vielen möglichen Resultaten. „Es steht noch nicht einmal fest, dass die Intelligenz irgendeinen langfristigen Überlebenswert hat“, wendet er angesichts von Überbevölkerung, Klimawandel und atomarer Bedrohung ein. Bakterien könnten noch leben, wenn längst alles andere Leben auf der Erde durch menschliches Handeln ausgelöscht wäre.
Und überhaupt: Wenn es anderswo intelligentes Leben gäbe, müsste es in großer Entfernung von uns existieren, weil es die Erde sonst längst besucht hätte. Fortgeschrittene Zivilisationen müssten über kurz oder lang zu Nomaden im Weltraum werden. Da jeder Planet von Kollisionen mit anderen Himmelskörpern bedroht ist, da jeder Stern irgendwann erlischt, wären fremde Zivilisationen, so es sie gibt, dazu gezwungen, die Heimat früher oder später zu verlassen und andere Planeten zu kolonisieren. Zwar sei ein Universum, in dem Asteroiden wie Geschosse dahinjagen, in dem Supernovae tödliche Strahlung aussenden und schwarze Löcher aufeinanderprallen, nicht sonderlich einladend. Dennoch sollten auch wir uns ins All hinauswagen.
Weltraum, ich komme
Unterhaltsam, mal ernst im Ton, dann wieder humorvoll, regt Hawkings Buch zum eigenen Denken und an etlichen Stellen zum Widerspruch an. Als Leser mag man zum Beispiel bezweifeln, ob eine Menschheit, die ihre Lebensgrundlage auf der Erde mehr und mehr gefährdet, irgendwann dazu in der Lage sein könnte, mit den völlig lebensfeindlichen Bedingungen anderswo im All zurechtzukommen. Hawking teilt die Begeisterung für die bemannte Raumfahrt mit der Generation Apollo.
„Space, here I come!“ Mit diesen Worten bestieg er im Jahr 2007 ein Flugzeug, um die Schwerelosigkeit am eigenen Körper zu spüren. „Es war fantastisch!“ Von Kind auf hatte er von Raumflügen geträumt, die erste Mondlandung aber verpasst.
Lediglich dunkelgraue Löcher
Während die Familie am 20. Juli 1969 vorm Fernseher saß, weilte er bei einer Konferenz über Singularitäten, sprich: über schwarze Löcher, die entstehen sollten, wenn ein massereicher Stern, der seinen Brennstoff verbraucht hat, so weit kollabiert, bis die Materie in einem Punkt konzentriert ist. Selbst für Licht würde es kein Entrinnen mehr geben, falls es sich innerhalb einer mysteriösen Grenze befindet, dem Ereignishorizont. Daher der Name „schwarze Löcher“. Galten sie in den 1960er Jahren noch als mathematische Artefakte, haben Sternengucker mittlerweile zahlreiche Indizien für die Existenz solcher Objekte gesammelt. Schwarze Löcher befinden sich demnach im Kern unserer Milchstraße, in der Region rund um das galaktische Zentrum und in unserer kosmischen Nachbarschaft.
1974 erkannte Hawking, dass schwarze Löcher wohl doch nicht ganz schwarz sind, sondern eine Strahlung aussenden, bis sie verdampfen (siehe Kasten). Diese „Hawking-Strahlung“ gilt als seine größte Entdeckung, auch wenn die Theorie innere Widersprüche birgt. Hawking ventilierte sie so lange, dass man in seinem Vermächtnis gerne mehr dazu erfahren hätte, wie er zuletzt darüber dachte. Gerade hier verliert sich das Buch in Metaphern.
Warnung vor KI
Auffällig bleibt, wie oft er, obschon für seinen Optimismus, seine Technikbegeisterung und Freude an der Wissenschaftspopularisierung bekannt, in den letzten Lebensjahren vor Gefahren technologischer Entwicklungen warnte. Auch im Hinblick auf die künstliche Intelligenz (KI). Maschinen würden in Zukunft nicht nur immer besser darin werden, ihre eigene Konstruktion zu überarbeiten und zu verbessern. Sie könnten auch Ziele verfolgen, die nicht den unseren entsprechen.
„Bestimmt sind Sie kein schlimmer Ameisenhasser, der diese Tiere aus purer Bosheit tottritt“, so Hawkings augenzwinkernder Vergleich. „Wenn Sie allerdings die Verantwortung für den Bau eines Wasserkraftwerks zur Erzeugung von Ökostrom haben und ein Ameisenhügel im betroffenen Gebiet geflutet wird – Pech für die Ameisen. Wir sollten es vermeiden, die Menschheit in die Lage dieser Ameisen zu bringen.“
Hawkings letzte wissenschaftliche Veröffentlichung erschien ebenfalls nach seinem Tode, mit der These, das Weltall sei einfacher als meist angenommen - und nicht unendlich.
Buchhinweis: Stephen Hawking: „Kurze Antworten auf große Fragen“. Aus dem Englischen von Susanne Held und Hainer Kober. Klett-Cotta, 2018. 240 Seiten, 20 Euro.