Vermüllte Weltmeere: "Die Plastikflut ließe sich erfolgreich bekämpfen"
Der Müll in den Ozeanen wäre beherrschbar, mit global koordinierten Maßnahmen. Das hätte positive Nebeneffekte, unter anderem für den Arbeitsmarkt, zeigt eine neue Studie.
710 Millionen Tonnen. So viel Plastik würde bis zum Jahr 2040 in die Umwelt gelangen, selbst wenn alle Länder der Welt ihren Plastikverbrauch umgehend und koordiniert nach bestem Wissen einschränken würden. Das schließt ein internationales Forschungsteam um Winnie Lau von der US-amerikanischen Pew-Stiftung und Yoni Shiran vom ThinkTank SYSTEMIQ in München aus ihrer Studie über die Möglichkeiten zum Eindämmen der globalen Plastikflut.
Die theoretische Menge an Kunststoff-Abfällen in der Umwelt ist zwar immer noch riesig, sie entspräche aber im Vergleich zum „Business as usual“ einer Verringerung der Verschmutzung um 78 Prozent. In den vergangenen Jahren haben Forscher unsachgemäß entsorgten Plastikmüll in Form von größeren Stücken bis hin zu Mikro- und Nanoplastik praktisch überall in der Umwelt entdeckt: von der Tiefsee über die Sedimente von Gewässern bis in die Atmosphäre, sowie von tropischen Korallenriffen bis in die entlegensten Polarregionen.
Weil Plastik über viele Jahrzehnte nicht abgebaut wird, sammelt es sich immer weiter an. Im Meer nehmen Fische, Wale, Schildkröten, Seevögel und andere Organismen Kunststoffe mit ihrer Nahrung auf. Plastik in ihren Verdauungsorganen und ihrem Gewebe schadet ihrer Gesundheit. Mit Meeresfrüchten und Fisch landet es auch im Essen vieler Menschen und gefährdet so möglicherweise auch deren Gesundheit.
Simulation der weltweiten Kunststoffströme
Die Forscher haben die wichtigsten Kunststoffströme der Welt von der Herstellung bis zur Entsorgung in einem Computermodell simuliert. Dort konnten sie die Wirkung verschiedener Maßnahmen testen. „Ausgegangen sind wir dabei von einer Reihe von Vorschlägen, mit denen Experten und Umweltgruppen die Plastikflut in den Griff bekommen möchten“, erklärt der Mitautor der Studie Martin Stuchtey, der an der Universität Innsbruck Ressourcenstrategien und -management lehrt und Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens SYSTEMIQ ist.
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Das Spektrum der Maßnahmen reicht von einer massiven Verringerung der Produktion von Kunststoffen, über gesteigerte Recyclingquoten und den Ausbau der Kapazitäten zum Verbrennen und Deponieren bis zur Entwicklung biologisch abbaubarer Kunststoffe und der Umwandlung von Plastikabfällen in Treibstoffe.
Dabei konzentrierten sich die Forscher auf die Kunststoffe, die besonders häufig im Meer landen. Von den im Jahr 2016 weltweit produzierten 335 Millionen Tonnen Plastik waren das 215 Millionen Tonnen.
Bis 2040 könnte sich die Plastikmenge vervierfachen
Die Ergebnisse sind ernüchternd: Bei Business as usual dürften 2040 etwa doppelt so viele Kunststoffe produziert werden wie 2016. Im Meer würde statt der heutigen 11 Millionen Tonnen beinahe die dreifache Menge landen. Insgesamt könnte sich die Gesamtmenge des Plastikmülls in den Ozeanen von derzeit rund 150 auf knapp 650 Millionen Tonnen mehr als vervierfachen.
„Dieser Eintrag sollte sich durch die bereits von der Politik und der Industrie beschlossenen Verpflichtungen um gerade einmal sieben Prozent reduzieren“, sagt Stuchtey. Dass heute jährlich für 80 bis 120 Milliarden US-Dollar Plastikverpackungen produziert werden, von denen 95 Prozent nach kurzem Einweggebrauch im Müll landen, sei auch ein wirtschaftliches Desaster.
700.000 zusätzliche Arbeitsplätze könnten entstehen
Erst die Kombination der bereits heute möglichen Maßnahmen zeigte im Modell deutlichere Wirkung: So soll der für 2040 angenommene Verbrauch um ein Drittel reduziert werden. Zu den Maßnahmen gehören der Ersatz von Einmal-Einkaufsbeuteln oder Plastikgeschirr und Besteck durch langlebige Produkte, das Vermeiden von Portionsbeuteln für Shampoos, Gewürze, Kaffee und weitere Produkte und das Ersetzen von Plastik durch Papier oder andere Materialien, die kompostiert werden können.
Die derzeitige Recycling-Quote von 21 Prozent könnte auf 54 Prozent steigen, wenn Produkte von vorneherein dafür konzipiert werden. „Milch wird heute häufig in Verpackungen verkauft, in denen drei Lagen aus Papier, Aluminium und Plastik miteinander verbunden sind, die sich kaum trennen und recyceln lassen“, nennt Stuchtey ein Negativ-Beispiel.
In Ländern, in denen derzeit wie in weiten Teilen Asiens Einmal-Plastik boomt, sollten die Abfallsammelquoten bis 2040 auf mindestens 90 Prozent in den Städten und 50 Prozent auf dem Land erhöht werden. Werden dann noch die derzeitigen Recycling-Kapazitäten auf weltweit 86 Millionen Tonnen im Jahr verdoppelt und die übrig bleibenden Kunststoffe zu weltweit 13 Millionen Tonnen neuen Kunststoffen recycelt, bleiben 23 Prozent, die zur Energiegewinnung verbrannt oder sicher entsorgt werden müssten. Kunststoffmüll-Exporte würden um 90 Prozent reduziert.
Im Vergleich zum Business as usual gelangten mit all diesen Maßnahmen fünf Millionen Tonne weniger Plastikmüll in die Weltmeere, was einem Rückgangvon 82 Prozent entsprechen würde. Die Regierungen sparen 70 Milliarden US-Dollar. 700.000 zusätzliche Arbeitsplätze könnten entstehen, während gleichzeitig für hygienische und kundenfreundliche Verpackungen 55 Prozent weniger Kunststoffe neu hergestellt werden und die Treibhaus-Gas-Emissionen um ein Viertel sinken. „Ähnlich wie der Klimawandel lässt sich also auch die Plastikflut erfolgreich bekämpfen, wenn man das wirklich will und alle an einem Strang ziehen“, sagt Stuchtey.