Unabhängig von Genen: Die Menschheit wird immer dicker
Personen mit Hang zum Übergewicht wiegen heute deutlich mehr als Menschen vor 40 Jahren. Aber auch Männer und Frauen ohne entsprechende Disposition legten zu
Egal ob genetisch für Übergewicht vorbelastet oder nicht - die Menschen in Industrieländern legen im Schnitt seit etwa drei Jahrzehnten deutlich an Gewicht zu. Das geht aus einer großen norwegischen Studie hervor, die im "British Medical Journal" veröffentlich wurde. Dabei habe die Gruppe der Menschen mit einer genetischen Disposition für Übergewicht im Durchschnitt mehr zugelegt als andere.
Das Team um Maria Brandkvist von der Norwegischen Universität für Naturwissenschaft und Technik in Trondheim analysierte Daten von knapp 120.000 Norwegern im Alter von 13 bis 80 Jahren. Diese reichten von 1963 bis 2008. Einen besonders deutlichen Anstieg des Gewichts gab es zwischen 1984 und 1997. So wogen zum Beispiel Menschen, die nach 1970 geboren wurden, als junge Erwachsene mehr als solche mit früherem Geburtsdatum. Die Forscher schließen aus ihren Daten, dass es etwa seit den 1980er Jahren ein Umfeld gibt, dass Übergewicht begünstigt.
Das genetische Risiko für Übergewicht sei zwar in verschiedenen Bevölkerungsgruppen weltweit bei Menschen verschieden und auch die jeweilige Umgebung fördere Übergewicht mehr oder weniger stark. Ein Zusammenspiel von solchen Genen und Umweltfaktoren existiere jedoch in der gesamten Welt, sagte Brandkvist. Vermeidungsstrategien sollten sich daher an die gesamte Bevölkerung richten, schreiben die Forscher. Die Rate der Fettleibigkeit hat sich nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO von 1975 bis 2016 global fast verdreifacht. 2016 waren demnach 13 Prozent der Erwachsenen fettleibig.
Gewicht steigt schrittweise an
Der Body-Mass-Index (BMI) im Normalbereich reicht von 18,5 bis unter 25. Er berechnet sich aus dem Gewicht in Kilogramm geteilt durch die Körpergröße zum Quadrat. Er wird daher in Kilogramm/Quadratmeter (kg/m2) angegeben. Übergewicht beginnt bei einem BMI von 25, Fettleibigkeit bei 30.
Der Studie zufolge stieg der Unterschied im BMI von Menschen mit oder ohne solche genetische Veranlagung seit 1960 schrittweise an. Bei Menschen mit hohem BMI stärker als bei schlankeren. Die Forscher teilten die Menschen in fünf Gruppen ein - von größter genetischer Disposition für Übergewicht bis hin zu der niedrigsten. In der Studie hatten zum Beispiel 35 Jahre alte Männer mit der höchsten Disposition für Übergewicht 1960 im Schnitt einen um 1,20 kg/m2 höheren BMI als die in der niedrigsten. Im Jahr 2000 betrug der Unterschied zwischen den Männern mit hoher und niedriger Disposition im Schnitt schon 2,09 kg/m2.
Männer mit einer Disposition für Übergewicht waren in den 40 Jahren also im Schnitt deutlich dicker geworden als die ohne solche Genvarianten. Bei 35-jährigen Frauen stieg der BMI-Unterschied zwischen genetisch vorbelasteten und unbelasteten Menschen im Schnitt von 1,77 kg/m2 auf 2,58 kg/m2. Die Differenz in der Entwicklung zwischen Menschen mit und ohne Hang zum Übergewicht (von im Schnitt 0,89 kg/m2 für Männer und 0,81 kg/m2 für Frauen) führen die Forscher auf ein Zusammenspiel der Umwelt und der Gene zurück.
Zu viel Essen, zu wenig Bewegung
"Unsere Studie kann keine Antwort über die Ursachen der Fettleibigkeitsepidemie geben", sagt Brandkvist. Nützlich sei ein Blick zurück, wie das Leben in den 1960er Jahren gewesen sei, "als es noch nicht so leicht oder sogar unmöglich war, sich für einen solchen ungesunden Lebensstil zu entscheiden", schlägt sie vor. "Was und wie viel haben wir damals gegessen, wie schliefen wir und wie viel haben wir uns bewegt?" Ihrer Hypothese zufolge ist die Fettleibigkeitsepidemie mit zu viel Essen und zu wenig Bewegung verbunden - beides sei auch gesellschaftlich bedingt. Zudem könnten auch Gifte und Mikroorganismen dazu beigetragen haben.
Die Aussagekraft des BMI und ab wann ein höheres Gewicht eine gesundheitsschädliche Wirkung hat, ist in der Forschung durchaus umstritten. Das liegt auch daran, dass der Index lediglich das Gesamtgewicht einer Person berücksichtigt - nicht jedoch, wie dieser Wert zustande kommt und ob jemand etwa besonders muskulös ist. Wichtig für eine Beurteilung ist darüber hinaus auch die Fettverteilung. So erhöht insbesondere ein ausgeprägtes Bauchfett die Gefahr für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
In einem Editorial des Journals schlagen US-Wissenschaftler vor, mehr auf einzelne Menschengruppen zu schauen und die individuellen Ursachen des Übergewichtes besser zu erforschen anstatt nur bevölkerungsweite Strategien zu verfolgen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt neben einer gesunden Ernährung für Erwachsene 150 Minuten körperliche Aktivität pro Woche. Bei Kindern sollte es eine Stunde pro Tag sein. Arbeitgeber sollten gesundes Essen und die Möglichkeit zum Sport anbieten. (dpa)