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Keine Abgase. Zumindest nicht am Auto. Bei der Stromerzeugung entstehen so viele, dass die Umweltbilanz eher grau als grün ist.
© dpa

Elektromobilität: Die Mär vom grünen E-Auto

Die Umweltbilanz ist kaum besser als beim gewöhnlichen Pkw - stattdessen drohen die Städte noch mehr zu verstopfen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ralf Nestler

Emissionsfrei fahren, null Gramm CO2 pro Kilometer. Mit solchen Sprüchen wirbt die Autoindustrie und verteidigen Käufer von E-Autos ihre Investition. Nur, es stimmt nicht. Zwar haben die Flitzer tatsächlich keinen Auspuff, aus dem klimaschädliches Kohlendioxid oder gesundheitsschädlicher Feinstaub und Stickoxide geblasen werden. Aber am anderen Ende der Steckdose, in die das Ladekabel gesteckt wird, steht nur allzu oft ein Kraftwerk, das fossile Rohstoffe verbrennt. Hinzu kommt die Herstellung der Autos, die ebenfalls Energie und Rohstoffe erfordert.

Eine Million Elektrofahrzeuge will die Bundesregierung bis 2020 auf die Straßen bringen, sechs Millionen bis 2030. Erst kürzlich hat sie dafür eine weitere Milliarde Euro in Aussicht gestellt. Es lohnt sich also, genauer hinzuschauen, welche Umweltauswirkungen die Elektro-Initiative hat. Auch vor dem Hintergrund, dass etliche Politiker ab 2030 keine Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor mehr zulassen wollen.

Die Batterieproduktion befördert den Smog in China

Ehrlich ist es allein, den gesamten Lebenszyklus zu betrachten, einschließlich der Herstellung des Autos und seiner Treibstoffe beziehungsweise des Stroms, den es zapft. In dieser Rechnung sind einige Unsicherheiten. So ist beispielsweise nicht bekannt ist, wie viel Energie bei der Produktion von Batterien verbraucht wird, die meist in China erfolgt. Bekanntermaßen ist dort der Anteil an Kohlestrom, der die globale Erwärmung und lokalen Smog begünstigt, recht hoch.

Mobilität ist ein komplexes Thema wie alle umweltrelevanten Themen. In erster Linie geht es aber um unsere Lebensweise. Technische Lösungen sehen immer nett aus, suggerieren sie doch, dass man sonst nichts ändern muss.

schreibt NutzerIn UrbanJazz 

Überhaupt spielt der Anteil der einzelnen Energiequellen am Strommix eine maßgebliche Rolle. Auch in Deutschland dominieren Kraftwerke, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Das wird noch etliche Jahre so bleiben. Dementsprechend „schmutzig“ bleibt der Ladestrom für E-Autos – unabhängig davon, ob man einen Ökostrom-Tarif abschließt. In einer kompletten Lebenszeit-Analyse kommt das Heidelberger Umwelt- und Prognose-Institut daher zu dem Schluss, dass bei durchschnittlicher Nutzung E-Autos pro Personenkilometer nur unwesentlich weniger CO2 ausstoßen als Benziner und Diesel.

Trübe Bilanz auch beim Feinstaub

Auch bei Feinstaub und Stickoxiden sieht es nicht viel besser aus. Zwar entstehen diese beim E-Auto nicht in dicht besiedelten Städten wo sie viele Menschen schaden können, aber doch in Kraftwerken sowie bei der Gewinnung der Rohstoffe und der Herstellung des Autos.

Einen konkreten Vergleich erlaubt der Umweltrechner „Umbrella“, den das Heidelberger Ifeu-Institut im Internet anbietet: Jährliche Fahrleistung, Fahrzeuggröße und weitere Parameter sind frei wählbar, dann erstellt das Programm eine Bilanz für alte und neue Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor sowie für E-Autos, die mit dem realen deutschen Strommix beziehungsweise theoretisch 100 Prozent Windstrom geladen werden. Vor allem beim Feinstaub sieht es trübe aus für die Elektro-Flitzer. Da diese bei der Herstellung mehr Ressourcen erfordern als gewöhnliche Pkw, bleibt unterm Strich das paradoxe Fazit: Je mehr ich fahre, desto „grüner“ wird der E-Wagen im Vergleich zum herkömmlichen Fahrzeug.

Technischer Fortschritt wird die Bilanz verbessern

Die Bilanz kann und wird sich ändern, weil die Entwicklung der E-Autos gerade erst begonnen hat. Verbesserte Fertigung, sinkender Kohlestromanteil und ein schlüssiges Recyclingkonzept für die Akkus werden die Umweltauswirkungen verringern. Auf Null lassen sie sich naturgemäß nicht bringen. Und das ist das Problem.
In weniger als der Hälfte der Fälle ersetzt ein E-Auto einen herkömmlichen Wagen. Oft wird es zusätzlich angeschafft, weil die Reichweite zu gering oder die Ladedauer zu lang ist. Produktion und Betrieb dieser Zweit- und Drittautos verbrauchen Ressourcen, in den Städten blockieren sie Straßen und noch mehr Parkplätze.

Das E-Auto verlockt zum Fahren

Das gute grüne Gewissen, das E-Autos vermitteln, verlockt dazu, es häufiger zu nutzen - auch weil es Privilegien wie gesonderte Parkplätze oder kostenfreie Ladestationen gibt. In Norwegen, Musterland der Elektromobilität, fahren nahezu alle Käufer von E-Autos damit zur Arbeit. Vor dem Kauf nutzte ein Viertel von ihnen noch den Öffentlichen Personennahverkehr.
Meinte es die Regierung ernst mit Klima- und Umweltschutz, investierte sie in elektromobilen ÖPNV und Lieferverkehr. E-Busse haben kein Problem mit geringer Reichweite, aber sie tragen spürbar zur Luftverbesserung bei. Je mehr Pendler einsteigen und das Auto zu Hause lassen (oder gar nicht erst eins kaufen), desto größer ist der Umwelteffekt. Wenn die Regierung aber Industriepolitik machen will, soll sie es auch so benennen und nicht noch eine grüne Schleife drum machen.

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